Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Roger Seimetz

ARBED-Verwaltungsgebäude, Luxemburg

Verwaltungssitz Arcelor, 19, Avenue de la Liberté, Luxemburg

Baugeschichte

Geschäftssitz des luxemburgischen, weltweit tätigen Stahlproduzenten ARBED (Aciéries Réunies de Burbach-Eich-Dudelange) und Zentrale des Konzerns. Genehmigung des Kaufs des Baugeländes (23. Dezember 1919) bzw. des Baus der „Zentrale“ auf dem Plateau Bourbon, einem Areal südlich des Festungskerns, durch den Verwaltungsrat (29. Januar 1920); Verkauf des Baugeländes vom luxemburgischen Staat an die ARBED (5937 m²) am 24. März 1920; Gebäude errichtet in den Jahren 1920 bis 1922. Unter Berücksichtigung des Bebauungsplanes für das Plateau Bourbon haben die Bauherren gemeinsam mit dem französischen, in Brüssel lebenden Architekten René Théry (1869–1922) eines der repräsentativsten architektonischen Ensembles der „Avenue de la Liberté“ geschaffen, der stadterweiternden Allee, die die traditionsreiche Oberstadt mit dem modernen Bahnhofsviertel verbindet. Einweihung: 9. Dezember 1922.

Bauträger: ARBED-Imperium, Architekt: René Théry, Bauleiter: Sosthène Weis, leitender Architekt der ARBED, langjähriger Staatsarchitekt, Aquarellist; Bildhauerarbeiten: René Rozet, französischer Künstler, Schüler von Cavelier und Millet; Bauunternehmer: A. Giorgetti und Schmit & Wirtz.

Baugestalt

Palastartiger Bau in der historistischen Tradition französischer Schlösser des 17. und 18. Jahrhunderts (Tradition des „Louis XIV“-Baustils mit Stilelementen des 18. Jahrhunderts), versinnbildlicht die Position des Industriekonzerns Anfang der zwanziger Jahre auf dem internationalen Markt. Das Gebäude, ein vierflügeliger Komplex mit Innenhof von rund 1100 m², zeichnet sich durch eine in Sockel und zwei Geschosse unterteilte Fassade aus, die durch Steinquader und hohe Rundbogenfenster gegliedert ist (Mittelrisalit mit rundbogigem Portal). Die zweigeschossige Dachkonstruktion mit Mansardenfenster und hohen verzierten Kaminen betont den Palastcharakter ebenso wie die Eckpavillons mit ihrem erhöhten Dach. Das architektonische Konzept spiegelt sich in der Symmetrieachse, die das Hauptportal an der Avenue de la Liberté mit der Hofzufahrt am Boulevard de la Pétrusse bildet, wider.

Akkuratesse bis ins Detail: Schmiedearbeiten an Balkonen, Türen, Aufzügen; kunstvoll geschmiedetes Eisen- und Glastor; ARBED-Schriftzug und figurengeschmückter Giebel. Der Bezug zur französischen Architektur spiegelt sich auch im Baumaterial der Fassade wider, das aus französischen Steinbrüchen kommt: weißer (Comblanchien) und sandfarbener Stein (Savonnières).

Reiche Ornamentik: Putten, Vasen, Blumen, Girlandenschmuck haben ästhetische Funktion und verweisenden Charakter: Hammer, Flügel, Blasebalg, Zirkel, Amboß und Zahnrad als musische Symbole für Industrie und Handel; Schlägel, Schaufel, Grubenlampen, Zahnrad, Winde, Gabelstange, Hut als Symbole für Bergleute und Eisenschmelzer; Putto mit Weltkugel: Anspielung auf den Weltmarkt, Vorwegnahme der heutigen Globalisierung (Erdglobus: Versinnbildlichung der ARBED als einem der größten Stahlproduzenten der Welt); Kartusche, Maske, Girlande, Muschel – Dekorationsmotive einer (romantischen) Architektur der Sinne; die zentrale Figurengruppe von René Rozet ist eine Anspielung auf Wissenschaft, Handel und Industrie (die Siegesgöttin Viktoria überreicht Merkur einen Lorbeerkranz); die Trophäe mit Schiffahrtssymbolik (Schiff, Anker, Schiffslaternen, Frachtgut, Globus) deutet auf die internationalen Handelsaktivitäten und die Erbauung internationaler Märkte hin; lesende Frauenfigur; Tierkreiszeichen;

Innenarchitektur: funktionale Verwaltungszentrale; Hochparterre und erstes Stockwerk: 15300 m² Bürofläche; Hochparterre: Sitzungssaal, ausgestattet mit eingefärbter Täfelung und Holzsäulen mit ionischen Kapitellen; an den Wänden großformatige Ölgemälde, Portraits markanter Persönlichkeiten aus der luxemburgischen Stahlindustrie; Kellerräume: Archive, technische Installationen; Dachgeschosse: Repräsentations- und Empfangsräume, Salons und Speisezimmer, moderne Großküche, Kasino als Restaurant für die Mitarbeiter (holzgetäfeltes Restaurant), großer Festsaal und doppelte Kegelbahn.

Bauliche Veränderung

19. Dezember 1922: Ankauf von drei weiteren Parzellen für die Gestaltung von Grünanlagen (insgesamt 1639 m²). Zusätzliche moderne Büros im Untergeschoß; 1998: umfangreiche Restaurationsarbeiten werden abgeschlossen. Mit Berufung auf geschichtliche Werte möchte sich die aufsteigende luxemburgische Industriegesellschaft historisch verankern und ihre wirtschaftliche Position nach außen hin symbolisch darstellen: historische Legitimation und Verankerung in einer nicht kulturell, aber staatsexistentiell erlebten Epoche: 19. Jahrhundert (Historismus und systemisch-historische Ursprungssuche).

Historischer Zusammenhang

Die stilistische Anlehnung an den Eklektizismus des 19. Jahrhunderts wird geprägt durch ein sich emporarbeitendes Luxemburg, das nach dem Ersten Weltkrieg den Weg zu nationaler Identitätsfindung eingeschlagen hat, und einen Staat, der erst seit etwa einem halben Jahrhundert den Weg vom Bauern- zum Industriestaat geschafft hat. Verwaltungsgebäude sind für Luxemburg die „Schlösser“ der leitenden Schichten.

Das Plateau Bourbon konnte durch die Schleifung der Festung (ab 1867) erschlossen werden, zu dessen stadtarchitektonischer Entwicklung der Bau des Pont Adolphe (Nei Bréck bzw. Neue Brücke) als Verbindungselement zwischen Altstadt und Neuviertel Bahnhof beigetragen hat (Parzellierungsplan 1904 und 1906).

Quellen und weiterführende Literatur

Corporate Communications, ARBED S.A. (Hg.), ARBED. Das Verwaltungsgebäude – Ein architektonisches Denkmal als Symbol unternehmerischer Dynamik (ARBED-Broschüre).

Lorang, Antoinette, Plateau Bourbon und Avenue de la Liberté. Späthistorische Architektur in Luxemburg (Publications de la section historique de l’Institut Grand-Ducal de Luxembourg), Luxemburg 1988.

Trausch, Gilbert, L’ARBED dans la société luxembourgeoise, Luxemburg 2000.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.