Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Saarländisch-Lothringisches Nachbarschaftsfest
(Fête des voisins Sarrois-Lorrains)

Grenzübergang Metzer Straße, Forbach und Saarbrücken

Die Idee zu diesem Fest auf der Grenze entstand anläßlich der Öffnung des europäischen Binnenmarktes zum Jahreswechsel 1992/1993, die auch das Ende der Grenzkontrollen an den Grenzübergängen zwischen dem Saarland und Lothringen bedeutete. Ermöglicht wurde das Ende der Grenzkontrollen aufgrund des Schengener EU-Abkommens von 1992. Silvester 1992/1993 fand zur Feier dieses Ereignisses an der Goldenen Bremm ein riesiges grenzüberschreitendes Fest mit Feuerwerk, Lasershow und einem Konzert der lothringischen Sängerin Patricia Kaas statt, organisiert von der Landeshauptstadt Saarbrücken, der Stadt Forbach und der Region Lothringen. Da dieses Fest gut ankam, entstand der Plan, es wechselweise von saarländischer und lothringischer Seite zu organisieren und bei freiem Eintritt zur dauernden Einrichtung zu machen. Erstmals fand es am 13.–15. Mai 1994 am Grenzübergang Metzer Straße statt. Das Fest, das seither jährlich im Mai in einem großen Festzelt am Parkplatz Goldene Bremm gefeiert wird, steht unter dem Motto: „Europa fängt an unserer Grenze an“. Die Begegnungen auf der Grenze sollten „das auf dem Papier geschaffene Europa der offenen Grenzen mit Leben erfüllen“ (Wochenspiegel, 11. Mai 1994). Um diesem Zweck gerecht zu werden, beginnt das Fest seit 1994 stets mit einer öffentlichen Grenzwanderung der Politiker, bei der aktuelle Fragen der nachbarschaftlichen Politik besprochen werden. Im Anschluß daran lockt ein großes Aufgebot von Künstlerinnen und Künstlern aus dem Saarland und Lothringen, es gibt Musik, Tanz und alle möglichen Unterhaltungsformen von der Abendgala bis zum Kinderchor. Zu den vielen Veranstaltungen der Nachbarschaftsfeste seit 1994 zählten bzw. zählen bis heute je ein Europäischer, Saarländischer und Lothringischer Abend, Kinder- und Seniorennachmittag, politischer Frühschoppen, zwei Ausstellungen zum Euro und zur Geschichte der Goldenen Bremm, ein Boule-Turnier und französisches Theater im Rahmen des Saarbrücker Theaterfestivals Perspectives du Théâtre (des einzigen seiner Art in Deutschland), natürlich auch reichlich Essen und Trinken, wie sich das für ein Fest in unserer Gegend gehört...

1996 gab es Probleme mit der Finanzierung des Festes, da der lothringische Regionalrat kurzfristig seine Zuschüsse strich. Dr. Guy Herlory, Abgeordneter des rechtsextremen Front National, hatte in Abwesenheit des Vorsitzenden der Regionalrats-Kommission für europäische und grenzüberschreitende Angelegenheiten sowie internationale Beziehungen Olivier Kirsch im Hauptausschuß des Regionalrates gegen das Fest polemisiert. Es entbrannte eine Diskussion im Hauptausschuß um die Frage, ob das Fest überhaupt etwas mit internationaler Politik zu tun habe. Die politischen Differenzen hinsichtlich der grenzüberschreitenden Arbeit, die dabei zutage traten, konnten jedoch durch Kirsch überwunden werden, der sich um Schadensbegrenzung bemühte. Er erreichte vom Präsidenten der Region Gérard Longuet die Zusicherung, das Fest mittels seiner Mehrheit im Regionalrat zu retten. Seit 1997 hat das Fest eine neue Dimension erhalten, indem es erstmals in den sogenannten „Deutsch-Französischen Monat“ im Mai eingebunden wurde. In diesem Monat, auch „Französischer Monat“ genannt, werden seither im Saarland viele Veranstaltungen der unterschiedlichsten Träger im deutsch-französischen Raum zu einer Veranstaltungsreihe zusammengefaßt, um die deutsch-französische Freundschaft und Zusammenarbeit zu unterstreichen.

1997 kamen erstmals viel mehr lothringische Besucher als zuvor, sie hatten bis dahin nur rund ein Viertel der Besucher gebildet. Ein markantes regionalhistorisches Ereignis, das in das Nachbarschaftsfest 1997 integriert wurde, war die Übergabe eines Panzers durch die 70. Infanterie-Division der US-Armee, die 1945 unter anderem mit diesem Panzer Spichern befreite. Der Panzer und ein Denkmal der Division stehen seither auf den Spicherer Höhen am Schlachtfeld von 1870. Bei dieser Gelegenheit wurden in Spichern und am Saarbrücker Hauptfriedhof als Teil eines grenzüberschreitenden Friedensrundweges zwei Gedenkstelen eingeweiht. Der Friedensrundweg erinnert unter anderem an die Arbeit der emigrierten deutschen Widerstandskämpfer, die in Lothringen lebten und von dort den Widerstand im Dritten Reich unterstützten. Sie nutzten ein Loch in der Friedhofsmauer des Hauptfriedhofs Saarbrücken, die an dieser Stelle bis heute mit der Staatsgrenze identisch ist.

Im Vorwort zum Pressespiegel der Nachbarschaftsfeste wird seit 1994 stets darauf verwiesen, daß das Angebot eines Festes mit vielen Attraktionen und freiem Eintritt keine isolierte Veranstaltung ist: „Ein ganzes Bündel von Einzelprojekten und Maßnahmen ist im Gange, um auf den Gebieten Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft, Forschung, Verkehr, Umwelt und Regionalplanung zu einer engeren Kooperation zu gelangen.“ Da Europa nicht allein durch politische Reden und Verwaltungsnormen geschaffen werden kann, will man mit dem Fest die laufenden Bemühungen um kontinuierliche Verbesserung der grenzüberschreitenden Kooperation und Verminderung der Strukturprobleme auf unterhaltsame Weise abrunden. Regelmäßig dient das Nachbarschaftsfest daher dazu, neue Projekte der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit publik zu machen. Beim Nachbarschaftsfest 1997 wurde laut Le Républicain Lorrain erstmals öffentlich über die Eurozone gesprochen, das Projekt eines gemeinsamen Gewerbegebietes zwischen Saarbrücken und Forbach. Beim Nachbarschaftsfest wurde 1998 mitgeteilt, daß ein grenzüberschreitender Deutsch-Französischer Kultur- und Naturpark auf den Spicherer Höhen geplant ist. Inzwischen hat sich das Fest, das als Begegnung der Politiker und Verwaltungsmitarbeiter begann, in eine Begegnung der Bevölkerung verwandelt, wie die jährlich steigenden Besucherzahlen belegen: 4000–5000 beim ersten Fest 1994, rund 22000 beim fünften Fest 1998. Mittlerweile dient das Nachbarschaftsfest auch als jährlicher Treffpunkt für Vereine und Organisationen aus Lothringen und dem Saarland.

Quellen und weiterführende Literatur

Landeshauptstadt Saarbrücken/Région Lorraine (Hg.), Pressespiegel der Saarländisch-Lothringischen Nachbarschaftsfeste Goldene Bremm, erscheint jährlich seit 1994.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.