Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Rainer Hudemann

Arbeitersiedlungen in Luxemburg

Nicht nur im administrativen und bürgerlichen, gutenteils zugleich Repräsentationszwecken dienenden Städtebau der Hauptstadt Luxemburg schlugen sich die vielfältigen historischen Einflüsse nieder. Auch der Kleinwohnungsbau, über den in Deutschland im Kaiserreich besonders vehement debattiert wurde, wirkte auf Luxemburg ein. Das galt zunächst für das Konzept der Gartenstadt. Im britischen Verständnis, wie Ebenezer Howard es 1898 formulierte, sollten Arbeiten, Wohnen und Freizeit in einem harmonischen gesellschaftlichen Geflecht zusammengeführt werden. In Deutschland hatte das Konzept eine große Wirkung, der Vorsitzende der deutschen Gartenstadtgesellschaft Hans Kampffmeyer propagierte es unermüdlich landauf landab, 1911 auch in Luxemburg. Das ganzheitliche britische Konzept verkümmerte allerdings bald zur einer Planung bloßer Gartenvorstädte, wenngleich in einigen der frühen daran orientierten Arbeitersiedlungen vor allem von Krupp – so Margarethenhöhe und Altenhof in Essen – wenigstens Wohnen und Freizeit noch stärker integriert wurden. Weithin wirksam wurde vor allem die Gartenstadt Hellerau bei Dresden, an der sich unter anderem auch Straßburg bei der Suche nach neuen Wohnmöglichkeiten für die von der Altstadtsanierung betroffene ärmere Bevölkerung orientierte.

In Luxemburg wurde das Konzept teils direkt aus Großbritannien rezipiert, teils über Deutschland (Antoinette Lorang). So wurde die Darmstädter Landesausstellung 1908 in Luxemburg genau verfolgt. Eine rege Diskussion über die Eignung der Gartenstädte oder wenigstens ihrer Bauformen für die Ardennenlandschaft schloß sich an, Wettbewerbe wurden ausgeschrieben. Das mangelnde soziale Problembewußtsein und Engagement der in Luxemburg tätigen Industriellen verhinderte aber, so Antoinette Lorang, eine weitere Verbreitung.

Eine etwas stärkere Wirkung kam den unmittelbar über den Werkswohnungsbau vermittelten Wohnformen zu. Dazu gehörten kleine Gartenstädte wie die Ehleringer Kolonie in Esch-sur-Alzette, aber auch einfachere Wohnungen. Die Luxemburger Montanbetriebe hingen großteils von deutschem, belgischem und französischem Kapital ab, und diese Firmen brachten ihre gewohnten heimischen Arbeiterwohnungsformen mit nach Luxemburg, so in Esch besonders die Gelsenkirchener Bergwerks AG. Der Arbeiterwohnungsbau blieb, gemessen an den dringenden Bedürfnissen in den fast explosionsartig von beschaulichen Dörfern zu Industriestädten anwachsenden luxemburgischen Industriezentren wie Esch-sur-Alzette oder Dudelange, zwar verschwindend klein. Dennoch stellen die von Thyssen in Lothringen oder von Gelsenberg in Luxemburg gebauten Siedlungen weitere Beispiele für den grenzüberschreitenden Transfer von Bauformen dar, der in diesem Fall weniger durch Modernisierungsgefälle als durch Kapitalstruktur und unternehmerisches Interesse an der Bindung einer Arbeiterelite an den Betrieb bewirkt wurde. Auf der Ebene der Direktorenhäuser wirkten in der Zwischenkriegszeit zudem – ihrerseits international beeinflußte – Bauformen des Luxemburger Limpertsbergs auf Industriestädtchen wie Esch-sur-Alzette ein. Die Interferenzen von Urbanisierungseinflüssen erfaßten, in im einzelnen unterschiedlicher Motivation und Ausprägung, die Wohnformen aller sozialen Schichten.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.