Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Neues Bauen  –  Wohnbau im Auftrag der Regierungskommission des Saargebietes (1920–1935)

Wohnanlagen, Großherzog-Friedrich-Straße 132–148, Halbergstraße 70–82, Hellwigstraße 7–13 und Lessingstraße 54–60, St. Johann/Saarbrücken; Wohnhauszeile, Riegelsberger Straße 17–25, Malstatt/Saarbrücken

Baugeschichte

Die international zusammengesetzte Regierungskommission des Saargebietes, die 1920–1935 im Auftrag des Völkerbundes das neu geschaffene Saargebiet verwaltete, war Auftraggeberin der Wohnanlagen an der Großherzog-Friedrich-Straße und ihren Nachbarstraßen. Nach Entwürfen von Regierungsbaurat Biel vom Hochbauamt für Militär- und Wohnungsbauten im Saargebiet wurden die Gebäude zwischen 1927 und 1929 errichtet. Die durch Gesimse gegliederte Anlage in der Großherzog-Friedrich-Straße (1927) ist vier- bis fünfgeschossig mit Satteldach, Gauben, optisch erhöhtem Erdgeschoß, spitzwinkligen Erkern und einem Torbogen zum Innenhof. Die dreigeschossige Anlage in der Hellwigstraße (1927) hat einen Backsteinsockel, spitze Treppentürmchen und ein Satteldach mit Gauben. Die Anlage in der Halbergstraße (1929) besteht aus einem Putzbau mit steilem Satteldach und Gauben, der von sechs flach gedeckten Treppentürmen aus rotem Backstein gegliedert ist. Ein Walmdach und spitze Erker prägen die Anlage in der Lessingstraße (1929). Das Hochbauamt errichtete 1931 an der Riegelsbergerstraße in Malstatt zum gleichen Zweck auch eine Wohnhauszeile aus dreigeschossigen Putzbauten mit Klinkersockel und Satteldach. Die Gestaltung der Häuser läßt Elemente des sogenannten Neuen Bauens erkennen, so z.B. den halbrunden Erker mit Fensterbändern am Haus Nummer 17. Diese Gestaltung dient optisch als Eröffnung bzw. Abschluß der Häuserzeile, je nachdem, von welcher Richtung aus man die Straße betritt. Die Häuser Nummer 19–25 sind mittels einer Vorgartenzone aus der Bauflucht zurückgenommen. Alle genannten Bauten dienen bis heute zu Wohnzwecken und stehen unter Denkmalschutz.

Regionalhistorischer Kontext

Zweck aller genannten Bauvorhaben war die Wohnraumgewinnung für Staatsbeamte. Die einzelnen Wohnungen waren entsprechend dem damals hohen sozialen Rang von Staatsbeamten mit vier bis fünf Zimmern sehr geräumig dimensioniert, verglichen mit zeitgenössischen öffentlichen oder privaten Wohnbauprojekten für Arbeiter oder für die Landbevölkerung, deren Zimmerzahl pro Wohneinheit wesentlich geringer war. Die Wohnanlagen in St. Johann und die Häuserzeile in Malstatt stellen eindrucksvolle Beispiele für die wenigen Bauten dar, welche die Verwaltung des Völkerbundes zwischen 1920–1935 im Saargebiet in Auftrag gab. An ihnen läßt sich in Übereinstimmung mit dem zeitgenössischen Stil des Neuen Bauens ein politischer Zug zum Aufgreifen internationaler Tendenzen der 1920er Jahre, ein Wunsch nach internationalem Austausch und Modernität ablesen. Es bleibt allerdings Spekulation, ob sich diese Charakteristika noch verstärkt hätten, wenn die Regierungskommission über 1935 hinaus für die Verwaltung im Saargebiet zuständig geblieben wäre. Die repräsentativen Bauprojekte im St. Johanner Ostviertel hatten in mehrfacher Hinsicht Vorbildcharakter: Zunächst signalisierte die Regierungskommission damit, welchen politischen Zielen und welchem geistigen Horizont ihre befristete Verwaltungsarbeit zu entsprechen suchte. Sie demonstrierte durch diese Bauten ihr politisches Credo einer aufgeschlossenen, rationalen Verwaltungsarbeit zum Wohl der Bevölkerung. Außerdem waren die Häuser schlicht zu halten, um der eigenen Rolle als Interimsverwaltung zu entsprechen, die Etats für öffentliche Bauten des Saargebietes nicht für unnötigen Prunk zu verschwenden und entsprechende Kritik der Saarbevölkerung zu vermeiden. Die errichteten Häuser trugen den Zielsetzungen der Auftraggeberin Rechnung: Ihre zurückhaltende Ausführung präsentiert den Formenkanon des Neuen Bauens, der noch heute an den äußerlich unveränderten Bauten erkennbar ist. Von den Bauzielen zeugt auch die Integration der Schmuckelemente und Variationen in den Baukörper und die Fassaden, die den Eindruck von Nüchternheit und schlichter Sachlichkeit nicht durchbrechen. Diese Bauten im Auftrag der Regierungskommission bilden einen architektonischen Gegensatz zu einigen privat finanzierten Wohnungsbauten (Robert-Koch-Straße 2, Behringstraße 8 und 10) im Stil der (gegen das Neue Bauen konkurrierenden) konservativen Stuttgarter Architektenschule, die 1923 bzw. 1934/1935 in Saarbrücken errichtet wurden, vermutlich mit dem bewußten Ziel, „deutsches“ Bauen zu demonstrieren.

Quellen und weiterführende Literatur

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 172–174, 300f.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.