Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Ostertalbahn (Ottweiler–Schwarzerden)

Eisenbahnbrücke, Oberkircher Straße und Seitzweiler Straße, Haupersweiler/Freisen; ehemaliger Bahnhof, Zur Selgenbach, Fürth im Ostertal

Baugeschichte

Seit den ersten Vorschlägen des Glantaler Eisenbahnkomitees 1856 im Rahmen der Planung der Nahe-Bahn gab es immer wieder Anläufe zum Bau einer Bahnstrecke durch das Ostertal, eines der idyllischsten Täler des Saarlandes. Verkehrstechnisch wurde das malerische Tal aber seit der verstärkten Industrialisierung ein benachteiligtes Gebiet. Die Dörfer wünschten seit ersten eigenen Anläufen (1894) eine kleine schmalspurige Bahnlinie, um der zunehmenden Zahl auspendelnder Arbeiter die Wege nach Neunkirchen und anderen Orten zu verkürzen. Da jedoch zunächst aus bergbaulicher und unternehmerischer Sicht kein Interesse an dieser Strecke bestand, verzögerte sich das Projekt immer wieder, auch wenn der Bergfiskus den Bau der Bahn wegen neu prognostizierter Kohlevorkommen zwischenzeitlich empfahl. Der Plan blieb auch deshalb jahrelang auf dem Instanzenweg stecken, weil die Anwohner eine preiswerte Kleinbahn bevorzugten, der Staat aber die Genehmigung nur einer Bahn zu militärischen Zwecken, mit breiter Spur und verlängerter Trasse erteilen wollte. Erste Vorarbeiten für eine der zwei möglichen Trassen (Neunkirchen–Hangard–Fürth–Dörrenbach–Werschweiler) wurden 1913 abgeschlossen, doch ab 1915 stockte das Projekt aufgrund des Kriegsverlaufes. Bei Kriegsende konnte wegen der unklaren Rechtslage keine Entscheidung zum Baubeginn herbeigeführt werden. Der Status des Projektes blieb auch in den 1920er Jahren in der Schwebe, nun erschwert durch die Zoll- und Verwaltungsgrenze seit 1920, denn das Ostertal gehörte nicht zum Saargebiet, sondern lag auf Reichsgebiet. Auf saarländischer Seite scheiterte die geplante Finanzierung, daher wurde vertragsgemäß am 30. Juni 1931 die Konzession des Saarbrücker Bauunternehmers Heinrich Lenhard an eine neugegründete Gesellschaft übergeben, die Ostertal-Kleinbahn GmbH. Die grenzüberschreitenden Verhandlungen stockten, bis man sich auf reichsdeutscher Seite im Herbst 1934 zum einseitigen Baubeginn entschloß. Neuer Zielpunkt der um 6 km verkürzten und dadurch preiswerteren Bahn war Ottweiler. Die Länder Preußen und Bayern führten die Bauarbeiten durch, später ging diese Teilstrecke in Reichseigentum über. Am 28. Oktober 1934 wurde bei Hoof der symbolische erste Spatenstich an der Bahntrasse bis zur Grenze des Saargebietes getan. Die tatsächliche Arbeit verrichteten Arbeitslose im Rahmen von dreimonatigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Nach der Rückgliederung des Saargebietes wurden die Arbeiten auf saarländischer Seite an der ersten Teilstrecke Ottweiler–Niederkirchen vom Februar 1936 bis zur Eröffnung am 26. September 1937 durchgeführt. Am 15. Mai 1938 wurde die zweite Teilstrecke eröffnet, mit Schwarzerden als neuer Einmündungsstelle in die Strecke Türkismühle–Kusel. Die 21 km lange Ostertalbahn war die letzte Ausbaumaßnahme am Schienennetz des heutigen Saarlandes. Wegen Unrentabilität wurde der Personenverkehr auf der Ostertalbahn am 1. Juni 1980 stillgelegt. Die Bahnhofsgebäude werden seither teilweise zu geschäftlichen, teilweise zu Wohnzwecken genutzt, so z.B. der ehemalige Bahnhof Fürth. Bis 1998 diente die Strecke zur Anlieferung schadhafter Militärfahrzeuge bei den Industriewerken Saar (IWS), einem für Bundeswehr und US-Army tätigen Instandsetzungsbetrieb in Schwarzerden. Danach sollte die Strecke vollständig abgebaut und zum Radweg umgestaltet werden. Eine rührige Gruppe von Eisenbahnbegeisterten bemüht sich seither, die Strecke und Trasse für eine zukünftige touristische Umnutzung zu erhalten.

Regionalhistorischer Kontext

Das Ostertalbahnprojekt war eine Quelle lokalpolitischer Unzufriedenheit, daher wurden diesbezügliche Versprechen verschiedentlich für Wahlwerbung benutzt. Diese Situation machte sich 1934 das nationalsozialistische Regime für seine Propaganda eines „Sozialismus der Tat“ zunutze. Der Bahnbau im Ostertal zu diesem Zeitpunkt folgte keinem konkreten sozialen, wirtschaftlichen oder militärischen Grund, darüber waren sich alle Beteiligten klar. Ihn trotzdem zu verwirklichen, hieß ein politisches Zeichen für das nationalsozialistische Regime setzen und der Dankbarkeit der Talbewohner gewiß zu sein. Mit den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stützten die Nationalsozialisten zeitweilig das strukturschwache Tal, das wie das nahe Saargebiet unter den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise litt. Zugleich suggerierte dies der Bevölkerung im nahen Saargebiet, der nationalsozialistische Staat sorge überall für die lang ersehnte Arbeit, ganz besonders in den Randzonen des Reiches. Den „Schaufenstereffekt“ repräsentativer Baumaßnahmen nutzte die nationalsozialistische Regierung 1933–1935 überall an der Grenze zum Saargebiet als politisches Kampfmittel, daher wurden Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in dieser Zeit vornehmlich im Grenzraum durchgeführt. Die Ostertalbahn war ein wichtiger Baustein in diesem Kalkül. Ihre Verwirklichung sollte die Saarbevölkerung in der kommenden Volksabstimmung am 13. Januar 1935 beeinflussen. Die propagandistische Zusage, Hitler werde Arbeit für alle schaffen, wurde über den Fall des Ostertales hinaus in großem Stil eingesetzt, um die Abstimmung für Hitlerdeutschland zu entscheiden. Mitte 1934 informierte die nationalsozialistische Regierung außerdem vertraulich die Verwaltungen der Kommunen im Saargebiet über Pläne, die für die Zeit direkt nach der Abstimmung eine große Arbeitsbeschaffungs-Aktion im Saargebiet versprachen. Die Gemeindeverwaltungen wurden aufgefordert, dringende Bauvorhaben planungstechnisch vorzubereiten und bei der Reichsregierung einzureichen. Durch gezielte Indiskretion erfuhren viele Menschen davon, was seine Wirkung bei der Volksabstimmung wohl nicht verfehlte. Die internationale Regierungskommission des Völkerbundes, die für die Verwaltung im Saargebiet hoheitlich zuständig war, wurde von Berlin andauernd auf diese Weise umgangen. Nach der Abstimmung und der Rückkehr des Saargebietes zu Deutschland zeigte sich jedoch, daß das Investitionsvolumen der eingereichten Projekte die Mittel der Reichsregierung bei weitem überschritten hätte. Die Aktion mußte folglich drastisch zurückgefahren werden. Etliche versprochene Projekte (Schwimmbäder, Schulen o.ä.) wurden nicht mehr umgesetzt, da kriegsvorbereitende Maßnahmen wie der Bau des Westwalls nun Vorrang hatten.

Quellen und weiterführende Literatur

Feld, Reinhard, Die Organisation der Arbeit und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935–1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 99–113.

Hoppstädter, Kurt, Die Entstehung der saarländischen Eisenbahnen, Saarbrücken 1961 (Veröffentlichungen des Instituts für Landeskunde, Bd. 2).

Kunz, Reiner, Die Ostertalbahn – letzte „Neubaustrecke“ im Saarland, Dörrenbach o.J.; Typoskript mit Illustrationen; die Verfasserin dankt an dieser Stelle Herrn Kunz für die Übersendung des Textes.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.