Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Sigrid Barmbold

Gewerbe- und Industriearchitektur in Sarreguemines

Keramikwerke Geiger/Utzschneider, Rue du Colonel Cazal, Sarreguemines; Cité ouvrière, 1–5, Avenue Casino und Rue du Colonel Cazal, Sarreguemines; Moulin de la Blies (Wackenmühle) – Musée des Techniques faïencières, 125, Avenue de la Blies, Sarreguemines

Mit Beginn der Frühindustrialisierung kam es auch in Sarreguemines zur Ansiedlung unterschiedlicher Unternehmen und Fabriken, die für die Bewohner der Stadt und des Umlandes Arbeitsplätze schufen. Drei Industriebranchen dominierten zu Beginn des 18. Jahrhunderts: die Tabakdosenherstellung, die Textilbranche und die Steingutfabrikation. Die größte Bedeutung hatte die Fayencerie, die 1790 von Joseph Fabry und den Gebrüdern Jacobi gegründet und bereits 1799 wegen finanzieller Schwierigkeiten an Paul Utzschneider (geboren in Bayern) übergeben wurde. Er führte das neue Unternehmen „Utzschneider et Cie“ auf geschickte Art und Weise, indem er neue Arbeitstechniken einführte und eine breite Warenpalette anbot. Zudem begann 1838 die Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Villeroy & Boch, eine Geschäftsverbindung, die sich bis 1945 fortsetzte und beiden Firmen zum Vorteil gereichte.

Anfang des 20. Jahrhunderts gehörten beide Unternehmen produktionsmäßig zu den größten Manufakturen in Europa (Estelle Trunkenwald, S. 20ff., 87). Im Laufe der Generationen, vor allem unter Alexandre de Geiger (Schwiegersohn Utzschneiders, geboren in Bayern), konnte sich das Werk weiter vergrößern, die Produktion steigerte sich beträchtlich und es mußten neue Werkstätten, Öfen und Mühlen gebaut werden. Die insgesamt vier Fabriken fanden ihren Standort entlang der Saar (rue de la Paix, rue du Maire Massing, rue du Colonel Cazal) und der Blies und prägten durch ihre riesigen Schornsteine auffallend das Stadtbild. Die Fabriken waren recht schmucklose, langgezogene Gebäude, die der Straße folgten, mit zwei bis drei Etagen, zahlreichen kleinen Fenstern, die für eine horizontale Gliederung sorgten. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das französische Unternehmen von den Deutschen unter Zwangsverwaltung gestellt und von der Gesellschaft Villeroy & Boch geleitet. Nachdem die Fabrik von der Gruppe „Lunéville-Saint-Clément“ gekauft worden war, stellte man die Produktion auf die Herstellung von Fliesen um und übernahm 1982 den Namen „Sarreguemines-Bâtiment“.

Nach dem schweren Bombardement von 1943, das vor allem die Fabrikanlagen und Wohnhäuser rechts und links der Saar zerstörte, sind im Stadtbild nur wenige Zeugen der Industriearchitektur geblieben. Ein einziger Fayence-Ofen – 1863 gab es davon 33 Stück –, der mit Steinkohle geheizt wurde, ist in der Nähe des Bürgermeisteramtes noch erhalten. Eine Pferderemise des Wohnhauses von Eduard Jaunez (heute beherbergt sie die „Halte-Garderie“, 3, place de la Poste), in der Nähe der Post, erstrahlt noch im alten Glanz. Für den Bau, entworfen 1883 durch den Pariser Architekten Guerinot, wurden die Materialien des Landes verwandt: Ziegelsteine im Erdgeschoß, Fachwerk im Obergeschoß; Hausteine wurden für den Sockel, die Fensterstürze, Einfassungen und Brüstungen der Öffnungen verwandt. Die Steingutkacheln sind als Fries rund um das Gebäude angeordnet und verschönern es durch ihre Farbgebung. Im selben neoklassischen Stil, der der französischen Formengebung nahe stand, präsentiert sich auch das „Casino des Faïenceries“ auf der anderen Saarseite. Die Direktoren der Fayencerie neigten in den nationalen Auseinandersetzungen eher zur französischen Seite und sahen sich als Hüter des französischen Gedankengutes, so auch der Architektur. Das Casino wurde 1878 von Paul de Geiger gebaut, um den Arbeitern und Angestellten einen angenehmen Aufenthaltsort zu bieten und sie gleichzeitig von den Cafés der Stadt fernzuhalten. Es gab eine Bibliothek, Möglichkeiten zum Kegeln, Turnhallen und im Sommer fanden im Park Konzerte statt. Als das Gebäude zu klein wurde, baute man 1890 neue Räume an, u.a. einen großen Konzert- und Tanzsaal. Berühmte Künstler gestalteten die Fassade mit farbigen Fliesen, unter anderen Alexandre Sandier, der die Allegorie der Keramik entwarf. 1979 wurde es von der Stadt gekauft, liebevoll restauriert und in den letzten Jahren zu einem Kongreßzentrum umgestaltet.

Die Belegschaft der Fayencerie stieg im Laufe der Zeit stetig an, 1906 waren es ungefähr 2650 Beschäftigte. Am Anfang waren vor allem Bürger aus Sarreguemines in diesem Unternehmen beschäftigt, bald kamen aber auch Spezialisten aus England und Belgien dazu. Die Schaffung von gesunden und billigen Wohnungen in der Nähe der Fabrik verlieh dem Patron die Möglichkeit, seine Arbeitskräfte an den Standort zu binden. 1869 begannen die Bauarbeiten zur Errichtung einer Kolonie, die auf dem damals modernsten Stand war. Vorbild war eine große Arbeitersiedlung in Mülhausen im Elsaß, und bald fand man das Vierhaus im Kreuzgrundriß in fast allen industriell fortschrittlichen Ländern. Die Pavillons sind alle gleich, aufgeteilt in acht Wohnungen mit jeweils zwei Zimmern und einer Küche. Ein kleiner Garten mit Schuppen umgab das Gebäude. 1988 wurde dieses architektonisch sehr interessante Ensemble komplett renoviert (Henri Hiegel, S. 135). Eine zweite Arbeitersiedlung wurde 1926 in der Nähe der ersten errichtet. Mit Hilfe der 1921 geschaffenen Stiftung „Claire Oster“ konnten in privater Regie für die Arbeiter der „Porzellanfabrik Saargemünd“ bis 1932 immerhin 47 Häuser mit 124 Mietwohnungen errichtet werden. Sie erhielt den Namen „Cité-jardin“.

Ein weiteres erhaltenes Industriegebäude, das 1999 liebevoll restauriert wurde und heute das außerordentlich gut gelungene „Musée des Techniques Faïencières“ beherbergt, befindet sich an der Blies, die sogenannte „Wackenmühle“. Das Hauptgebäude (1841) ersetzte die 1821 von N. Boh erbaute Mühle. Hauptaufgabe war die Herstellung von Steingut- und Porzellanmasse, die mit Hilfe von Schleppkähnen zu den Fabriken im Stadtzentrum transportiert wurde. 1909 installierte die Fayencerie in der Vechinger Mühle am gegenüberliegenden Ufer eine Turbine, um die Wackenmühle mit Strom versorgen zu können. Eine Eisenbrücke verband die beiden Mühlen, um den Zugang zum elektrischen Zentrum zu ermöglichen und um die Arbeiter aus Auersmacher und Bliesransbach passieren zu lassen. Sie wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Mühle arbeitete bis 1969, bis sich die Manufaktur entschloß, ihre Aktivitäten einzuschränken (Valerie Schmitt, S. 98; Henri Hiegel, S. 38). Heute existiert wieder eine Fußgängerbrücke – nicht weit von der früheren Stelle –, die am 11. Oktober 1996 eingeweiht wurde. Sie war ein Projekt, das mit Unterstützung der Europäischen Union realisiert wurde. Die Verbindung von Sarreguemines und Kleinblittersdorf illustriert eine gelungene Kooperation über die Grenzen hinweg.

Neben der Fayencerie waren auch noch andere Branchen in Sarreguemines sehr erfolgreich, die im heutigen Stadtbild nicht mehr so offen zu Tage treten. 1860 gründete Emil Huber seine Seidenplüschfabrik mit 289 Arbeitern (700 Angestellte im Jahre 1869) und lieferte 40% sämtlicher schwarzer Plüsche für Zylinderhüte auf dem Weltmarkt. Nach dem Vorbild einer Firma aus Lyon lieferte der Unternehmer das Rohmaterial den Webern nach Hause, die in Heimarbeit den Stoff herstellten. Dann wurde er in den eigenen Fabriken (an der Steinbachstraße gelegen) weiterverarbeitet. Émile Huber war deutschen Ursprungs, behielt aber nach 1871 die französische Nationalität; darum nahm er am politischen Leben nicht mehr teil, engagierte sich aber stark auf ökonomischem und kulturellem Gebiet (François Roth, S. 67–89). Eine weitere Textilfabrik fand hier ihren Standort, „Escales und Hatry“, die 1869 aus Zweibrücken kamen. Gleich drei Zündhölzerfabriken haben sich an dem östlichen Ufer der Saar niedergelassen: 1. die Firma Custer et Cie (1848 gegründet, rue Alexander de Geiger) stellte täglich zwölf Millionen Streichhölzer her. 2. das Unternehmen „Nieman, Grumbach und Cahen“ (1849) und 3. die Firma „Barth und Jeanty“(1851). Die 1864 gegründete Keramikfabrik Utzschneider & Jaunez (Steinbachstraße) war spezialisiert auf die Herstellung von Mosaiken, Friesen und Plattenpflasterung. Wegen der hohen Qualität ihrer Produkte gelang es Eduard Jaunez rasch die Produktion zu steigern. Die Fliesen wurden in den U-Bahnstationen von Paris und London und vor allem zur Bürgersteigpflasterung genutzt (Didier Hemmert, S. 84). Auf dem Metallsektor taten sich P. Haffner und Cie hervor, die seit 1853 die Fabrikation von Stahlschränken betrieben und führend auf dem Markt waren. Zu dieser Zeit war Sarreguemines Teil der im Departement Moselle am stärksten industrialisierten Region. Die Schiffahrt auf der Saar (Öffnung des Saar-Kohlen-Kanals 1865) und die Erweiterung der Eisenbahnlinien ermöglichten eine bessere Anbindung an die Märkte, sowohl an die Kohlereviere als auch an Straßburg. Nach der Anbindung an das Deutsche Reich folgten neue Industrieansiedlungen wie Westermann und Cie (1890, Schlackenmühle) und die Ziegelwerke Siebler (1892). Nach Ende des Ersten Weltkrieges setzte sich Bürgermeister Nominé 1923 für die Schaffung eines Industriegebietes auf dem alten „Champ de Mars“ ein. Doch die schlechte wirtschaftliche Lage, der nahende Zweite Weltkrieg und die Errichtung der Maginotlinie machten Sarreguemines als Standort für eine Industrieansiedlung unattraktiv. Erst der Zweite Weltkrieg mit seinen Zerstörungen brachte auch eine neue Chance, eine Entwicklung hin zu einer „modernen Stadt“. Die Fabriken zogen aus der Stadt in das neu erschlossene Industriegebiet und das Zentrum selbst war nun von den industriellen Markenzeichen befreit; hier finden sich heute vor allem Betriebe des gewerblichen Bereiches und des Dienstleistungssektors. Sarreguemines machte über zwei Jahrhunderte große Wandlungen durch. Im Zusammenhang mit der Grenze erlebte es Perioden des Wachstums und des Niedergangs. Im Zeichen von Europa dürften die Chancen für die Zukunft nicht schlecht stehen.

Quellen und weiterführende Literatur

Benedick, Alain/Radunz, Ulrike, Sarreguemines – La Porcelaine, Sarreguemines 2002.

Hamman, Philippe, Une Ville, Une Entreprise, Une Famille: Les politiques de clôture paternaliste à l’œuvre aux faïenceries de Sarreguemines, Straßburg 1995.

Hemmert, Didier, L’esprit d’entreprise à Sarreguemines au milieu du XIXe siècle, in: Les Cahiers Lorrains Nummer 1, 1987.

Hiegel, Henri und Hiegel, Charles, La faïencerie de Sarreguemines de 1870–1918, Musée de Sarreguemines, 1996.

Nominé, Henri, 6. Jahresbericht des Député Maire M. Henri Nominé für 1929–1935, Sarreguemines 1935.

Roth, François, La Lorraine annexée (1871–1918), Nancy 1976.

Schaff, Pierre, Reconversion de la propriéteé Pierron à Sarreguemines en un espace culturel et un conservatoire de musique et de danse, Sarreguemines 1990.

Schmitt, Valérie, Les industries à Sarreguemines, Metz 1990.

Trunkenwald, Estelle, Relation entre les Faïenceries Utzschneider et Cie de Sarreguemines (Moselle) et de Villeroy & Boch Mettlach (Sarre) durant l’annexion (1872–1913), Metz 1997.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.