Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Sakrale Bauten

Die grenzüberschreitenden architektonischen Beziehungen zwischen großen Sakralbauten des Mittelalters wie den romanischen Kathedralen in Verdun und Trier beispielsweise sind kunsthistorisch gründlich erforscht. Weniger gut bekannt sind die grenzüberschreitenden Bezüge und Wirkungen kleinerer und jüngerer Bauten und Heiliger Orte, somit die Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Religiosität im Dreiländereck. Und doch symbolisieren manche Sakralbauten und Heiligen Stätten als Ort selbst und durch ihre Veränderungen die jahrhundertealte Vielschichtigkeit der Erinnerung im Grenzraum – bisweilen geradezu demonstrativ. Skizzenhaft seien solche Bezüge in diesem Kapitel angedeutet.

Seit dem Mittelalter gab es in der Großregion mehrere Wallfahrtszentren, so etwa der Hügel von Vaudémont-Sion in Lothringen, die Oranna-Kapelle bei Berus oder die Wendelskirche in St. Wendel. Die Oranna-Kapelle, der Schutzheiligen Deutsch-Lothringens und des Saarraumes geweiht, wäre schon beinahe während oder kurz nach der Französischen Revolution untergegangen. 1934 wurde in ihrer Nähe ein Hindenburg-Turm im Zusammenhang der bevorstehenden Saar-Abstimmung errichtet und damals als symbolisch-zeichenartiger Anspruch auf Lothringen verstanden. Der Turm wurde nach Kriegsbeginn wieder abgerissen. In deutlicher Abgrenzung dazu wurde 1970 ein Europa-Denkmal für die Erfolge der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit neu konzipiert.

Zu den kulturellen und sozialgeschichtlichen Grundlagen grenzüberschreitender Vernetzungen gehört die Volksfrömmigkeit. Sie wird hier mit einigen Wegekreuzen, Mariensäulen und Lourdes-Grotten einbezogen. Diese symbolisieren zumeist als solche keine spezifisch grenzüberschreitenden Kontaktmuster, sondern sie trugen dazu bei, daß solche Vernetzungen auf anderen Ebenen wirksam werden konnten und können. In dieser Hinsicht repräsentieren sie etwas andere Spuren als die verschiedenen baulichen Ausdrucksformen der Hugenotten und ihrer Wanderungswege: auch bei ihnen ging es um Frömmigkeit, doch um eine spezifisch durch grenzüberschreitende Wanderungsbewegungen geprägte soziale Realität, nicht um eine von Grenzen wenig berührte und beeinflußte Ausformung katholischer Volksfrömmigkeit.

Eines der ältesten Wegekreuze stammt aus dem Jahr 1601 und steht im lothringischen Insming am Rande des Val de Gueblange. Erst sehr viel später kamen zwei Formen der Marienverehrung hinzu, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert im Grenzraum gepflegt wurden: Mariensäulen und Lourdes-Grotten. Deren Popularität ist in Lothringen bis heute besonders stark, führte aber auch im saarländischen Marpingen zu einer kontinuierlichen Wallfahrt; 1876 kam es dabei im Zusammenhang mit dem in der Region besonders hart empfundenen Kulturkampf des Reiches gegen die katholische Kirche zu einem lokalen Konflikt der katholischen Mehrheit der einheimischen Bergleute mit den zugezogenen protestantischen Beamten und Militärs.

Seit dem 16. Jahrhundert griffen die macht- und religionspolitischen Konflikte zwischen Protestanten und Katholiken in Frankreich zunächst auf das Herzogtum Lothringen über und beeinflußten bald auch im Saarraum das Territorium der Grafen und späteren Fürsten von Nassau-Saarbrücken. Die Fluchtbewegung der Hugenotten ging vom katholischen Metz, wo sie zunächst noch geduldet worden waren, weiter Richtung Osten, als sich die Religionspolitik der lothringischen Herzöge radikalisierte. Sie gelangten nach Courcelles-Chaussy, das bald eine Hochburg der Verfolgten bildete.

Mehrere hugenottische Glasmacherfamilien siedelten sich, von Courcelles kommend, im westlichen, lothringischen Teil des Warndt an, wo sie ihre Glashütten errichteten und das Dorf Creutzwald gründeten. Es war zwar noch im katholischen Herzogtum Lothringen gelegen, aber dicht genug an der Grenze, um im Notfall vor religiöser Verfolgung fliehen zu können. Der Ansiedlungsvorgang wiederholte sich kurz darauf im protestantisch beherrschten östlichen, Nassau-Saarbrücker Teil des Warndt. Auf diese Weise brachten die Hugenotten die Glasmacherkunst an die Saar und konnten im neuen frankophonen Dorf Ludweiler ihre Religion ungehindert ausüben. Ludweiler wurde für anderthalb Jahrhunderte zum Zentrum der Hugenotten Ostlothringens und des Saarraums. Zu den Glasmachern und Glashütten finden sich mehrere Texte Im Kapitel Industrie und Gewerbe. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts existierte mit der Friedenskirche in Saarbrücken eine zweite hugenottische Kirche an der Saar; hier wurde auf Deutsch gepredigt, während in Ludweiler das Französische erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts allmählich aufgegeben wurde.

Hugenotten-Emigrationsmuster fließen in der Sakralarchitektur Lothringens bisweilen zusammen mit dem deutsch geprägten Protestantismus der Annexionszeit 1871–1918. Die Kirche in Courcelles-Chaussy hat hier einen besonderen Stellenwert durch die Verbindung mit der Patronats-Tradition in diesem Dorf, in dem Wilhelm II. sich im Schlößchen Urville einen Wohnsitz einrichtete. Die auf mittelalterliche Herrschaftsmuster zurückgehende Tradition findet auch in seinem Porträt als David am Westportal der restaurierten Kathedrale von Metz ihren Ausdruck. Beide Bauten betreute Dombaumeister Tornow.

In der mehrheitlich katholischen Kleinstadt Saargemünd (Sarreguemines), nach 1871 gleichfalls im Reichsland gelegen, wurde die erste evangelische Kirche 1845 errichtet. Nach 1871 zogen aber so viele Protestanten aus dem Altreich zu, daß 1898 eine weitere evangelische Kirche in Saargemünd vollendet wurde: Ausdruck der Prosperität der kleinen Keramikmetropole zur Reichslandzeit, denn viele der neu Zugezogenen arbeiteten in der lokalen Industrie und im Handel. Die Kirche, welche stilistisch an die ebenfalls nach 1871 errichtete evangelische Stadtkirche in Metz erinnert, wurde stadtplanerisch als Fluchtpunkt und point de vue in den Ausbau der Stadt integriert.

Eine Ausnahme in der Kirchenbaugeschichte des Saarlandes und Luxemburgs ist wohl die kaum bekannte Tätigkeit des luxemburgischen Architekten Karl Arendt, der die Katholische Pfarrkirche St. Wendalinus in Großrosseln baute.

Das evangelische Gemeindezentrum Wartburg (St. Johann/Saarbrücken) und die Versöhnungskirche Völklingen wurden fast zeitgleich 1928 errichtet bzw. eingeweiht. Sie tragen beide in ihrer ursprünglichen Baugestalt und Nutzung einer vom Nationalismus durchdrungenen Glaubensidee Rechnung. Die Wartburg war 1935 Schauplatz der Auszählung der Volksabstimmung über die Zukunft des Saargebietes, deren Ergebnis am Morgen des 15. Januar 1935 von hier per Radio in alle Welt übertragen wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Radio Saarbrücken unter französischer Ägide hier seinen Sitz bis zum Neubau des Sendehauses auf dem Halberg. Die Völklinger Versöhnungskirche (sie wurde so erst 1968 benannt) wurde mit großzügiger Finanzierungshilfe des Völklinger Stahlunternehmers Hermann Röchling erbaut und zeigt unter deren vier allegorischen Fassadenfiguren die Treue als Soldatenfigur mit Handgranate. Im Innenraum ist nach mittelalterlicher Manier die Familie Röchling (außer dem Stifter selbst) in einer Darstellung des Jüngsten Gerichts als „sitzend zur Rechten“, d.h. als gerettete Seelen dargestellt.

Eine Sainte-Barbe-Kirche im lothringischen Crusnes (nordwestlich von Thionville) wurde 1939 von den Stahlunternehmerfamilie de Wendel gestiftet, denen die Erzgrube im Ort gehörte. Die damals hochmoderne Kirche besteht rundum aus einer Stahlkonstruktion und ist insofern einzigartig in Europa, doch liegt sie seit den Stillegungen im lothringischen Bergbau in einem gespenstisch ruhigen Dorf und Landstrich, der innerhalb der Großregion mit am stärksten vom Strukturwandel betroffen ist.

Die jahrhundertelangen politischen Belastungen der deutsch-französischen Beziehungen finden ihren Ausdruck im religiösen Bereich in der Basilika St. Epvre in Nancy und der Kathedrale St. Étienne in Metz. Aber auch der Wille der Kirche, nach 1945 nur noch für den Frieden einzutreten, kommt an den von Marc Chagall gestalteten Fenstern in St. Étienne ebenso zum Ausdruck wie an der Franziskaner-Klosterkirche in Sarrebourg und der Kapelle Wrecking (Wreckingen).

An die Zerstörung so zahlreicher Zeugnisse jüdischer Kultur und jüdischen Lebens im „Dritten Reich“ erinnern die ehemaligen Synagogen in Saarbrücken und in Saarlouis, in Bitche und Frauenberg bei Sarreguemines. Die grenzüberschreitenden Verflechtungen dieser Gemeinden gehören zu den Bereichen, in denen noch viele Spuren wiederaufzuspüren bleiben.

Quellen und weiterführende Literatur

Blackbourn, David, Wenn ihr sie wieder seht, fragt wer sie sei. Marienerscheinungen in Marpingen. Aufstieg und Niedergang des deutschen Lourdes, Hamburg 1997.

Bonkhoff, Bernhard, Die Kirchen im Saar-Pfalz-Kreis, Saarbrücken 1987.

Kirchen, Klöster und Pilgerwege in Rheinland-Pfalz, Saarland, Hessen und angrenzenden Gebieten, hg. von Anakonda Verlagsgesellschaft mbH, Mannheim 1997.

Mallmann, Klaus-Michael, „Maria hilf, vernichte unsere Feinde“. Die Marienerscheinung von Marpingen 1876, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard/Schock, Ralph/Klimmt, Reinhard (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier, 3. Auflage, Bonn 1995, S. 48–50.

Marschall, Kristine, Klassizismus an der Saar, in: Sancta Treveris. Beiträge zu Kirchenbau und bildender Kunst im alten Erzbistum Trier. Festschrift für Franz Ronig zum 70. Geburtstag, hg. von Michael Embach u.a., Trier 1999, S. 397–414.

Ronig, Franz, Der Kirchenbau im Saarland in der Zeit von 1870 bis 1918, in: Herrmann, Hans-Walter (Hg.), Das Saarrevier zwischen Reichsgründung und Kriegsende (1871–1918). Referate eines Kolloquiums in Dillingen am 29./30. September 1988, Saarbrücken 1990.

Rosenfeld, Claude/Lang, Jean-Bernard, Histoire des Juifs en Moselle, Metz 2001.

Zenner, Maria, Saarländischer Katholizismus in der Völkerbundszeit, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard/Schock, Ralph/Klimmt, Reinhard (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier, 3. Auflage, Bonn 1995, S. 143–147.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.