Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Sigrid Barmbold

Stadtentwicklung und Verwaltungsarchitektur
in Sarreguemines

Hôpital du Parc, Rue de l’Hôpital, Ehemalige Eisenbahnbetriebsdirektion, 10, Rue du Parc, Lycée Jean de Pange, 16, Rue du Lycée, sowie Hôtel du district bzw. Villa Utzschneider, 99, Rue du Maréchal Foch, Sarreguemines

Seit dem 18. Jahrhundert kann Sarreguemines als eine Stadt von wachsender wirtschaftlicher und administrativer Bedeutung bezeichnet werden. Zur Zeit der Angliederung des Reichslandes Elsaß-Lothringen war Sarreguemines eine Kleinstadt, sie gehörte zum Bezirk Lothringen und war Hauptstadt des Kreises Sarreguemines. Durch verschiedene Faktoren, wie z.B. die Entwicklung der Industrie und der Verkehrswege, die Verstärkung der Garnison und die Immigration aus anderen deutschen Staaten nahm die Bevölkerungszahl stetig zu (1875: 8466, 1913: 15500 Einwohner). Damit diese Expansion der Stadt kontrolliert und gesteuert werden konnte, benutzte die Stadtverwaltung dieselben Planungsinstrumentarien wie die deutsche Verwaltung: die Bauordnung und die Bebauungspläne. Sie sollten die Voraussetzungen schaffen, um die Forderungen nach guten Verkehrsverbindungen, nach genügend Wohnraum, gesunden sanitären Anlagen und der Versorgung mit Trinkwasser zu gewährleisten. Die Bauordnung von Sarreguemines – sie trat 1899 in Kraft – war ein Regelwerk, das aus einer in zahlreichen Aspekten selbständigen Normenfindung resultierte, wobei jedoch die Anlehnung an die Straßburger Bauordnung von 1892 und somit indirekt auch an die 1882 für den Stadtkreis Berlin konzipierte Bauordnung nicht zu übersehen war. Die Bauordnung bewährte sich, blieb bis nach dem Ersten Weltkrieg in Kraft und war Vorbild für zahlreiche andere Städte in Lothringen. Damit übernahm die Stadtverwaltung von Sarreguemines eine Pilotfunktion für die Modernisierung lokaler Bauvorschriften in Elsaß-Lothringen (Rolf Wittenbrock, S. 187–196).

Zur gleichen Zeit erfolgte auch die Ausarbeitung des Bebauungsplanes zur Stadterweiterung und zum Ausbau des Verkehrsnetzes. Die Projektierung gelang jedoch nicht in einem Zuge, sondern setzte sich aus mehreren Teilprojekten zusammen, die je nach Bedarf und Dringlichkeit vom Stadtbaumeister entworfen wurden. Die Stadtbaumeister kamen aus ganz verschiedenen Landesteilen des Deutschen Reiches, da in Elsaß-Lothringen eine Ausbildung dieser Art nicht möglich war. Auch ihre Gehilfen und die Techniker stammten aus den übrigen Gebieten des Deutschen Reiches und brachten die dort gesammelten Kenntnisse und Erfahrungen mit. Die bauliche Ausdehnung der Stadt nach dem Bebauungsplan von Stadtbaumeister Hartmann begann auf dem rechten Ufer der Saar, da diese am leichtesten zu erschließen war. Die Straßen zogen sich wie ein Netz über das Gelände. Dieses Straßensystem kann man nicht komplett, aber in großen Linien im aktuellen Stadtplan wiederfinden. In den Stadtvierteln rechts der Saar wurden in der Reichslandzeit die Evangelische Kirche (1898) neu erbaut, ebenso die Kavalleriekaserne (1880) und die Infanteriekaserne (1896) mit dem Offizierskasino, das 1898 von dem Berliner Architekten Gehring geplant wurde. Im großen und ganzen blieb es ein reines Wohnviertel, in dem noch viele alte Bürgerhäuser im gründerzeitlichen Stil, mit Fassaden aus Back- und Bruchstein, verziert mit Friesen aus Steingut (rue du Roth, avenue de la Blies, rue Alexandre de Geiger) erhalten sind (Jean-Jacques Cartal, S. 14ff.). Die Ausdehnung der Stadt machte auch im Süden Fortschritte. Nachdem endlich die Eisenbahn durch eine Brücke überwunden werden konnte, wurden die bereits bestehenden Anlagen und das neu geplante Viertel besser an das alte Zentrum, an den neu entstandenen Palais de Justice und die neuen Geschäftshäuser angeschlossen. Die Bebauung der „Kerb“ und des Blauberges im südlichen Teil der Stadt wurde immer wieder hinausgezögert, da dieses Gelände nur schwer zugänglich war. Einige Projekte konnten aber dennoch ausgeführt werden. Unter anderen das Hospital (Rue de l’Hôpital), von dem sich der Gemeinderat wünschte, daß es nicht nur ein praktischer, sondern auch ein äußerlich ansprechender Bau sein sollte. Es wurden Eindrücke und Erfahrungen von anderen Krankenhäusern genutzt, wie z.B. den Krankenhäusern in Offenbach am Main, in Lahr und in Saarburg. Es wurden die Entwürfe von Architekt Hartmann (er studierte an der Technischen Hochschule in Karlsruhe) verwendet, und Stadtbaumeister Paul Gläser (geboren in Chemnitz) fertigte die Grundrißzeichnungen und Aufrisse an. Das dreistöckige Gebäude (1903) steht frei und beherrscht das umliegende Gelände. Die Mauern wurden in weißem Hausteinmauerwerk mit einfachen frühgotischen Formen ausgeführt, so daß das Ensemble wie eine trutzige mittelalterliche Burg wirkt (Henri Nominé, S. 13). In demselben Stil wurde im selben Stadtteil auch das Gebäude des Bezirkskommandos (Rue du Lycée, heute zum Gymnasium gehörend) vom Garnisonsarchitekten Sieber errichtet. Ebenfalls in der Nähe befand sich die Eisenbahnbetriebsdirektion (10, Rue du Parc), ein imposantes Gebäude im Backsteinstil, umgeben von einem großzügigen Garten; in ihm befinden sich heute die „Archives Municipales de Sarreguemines“. Das Gymnasium (Lycée Jean de Pange, 16, Rue du Lycée) wurde 1897 neu gebaut nach einem Plan von Architekt Gehring aus Straßburg, da das bisherige Gebäude, das Schloß des Marquis de Chamborant (rue de la montagne), mehr ausreichte. Die Fassade ist ausgeführt im Stil der deutschen Renaissance, vermischt mit gotischen Elementen (Henri Hiegel, S. 14).

Dieses Viertel war unter Mithilfe des berühmten Kölner Stadtbaumeisters Joseph Stübben geplant worden. Es war als ein reines Villenviertel mit Gärten gedacht, in dem die Luft frei zirkulieren konnte und es keine Industrieansiedlungen geben sollte. In den Straßen um den Park und das Hospital kann man an der Architektur der Häuser ganz deutlich den deutschen Einfluß verfolgen. Die Besiedlung des Blaubergs vollzog sich nur sehr schleppend, und erst nach dem Ersten Weltkrieg erschloß die Stadt das Gelände und sorgte mit einer lockeren Villenbebauung und großen Gärten für ein angenehmes Bild. Bis in unsere Zeit finden sich in diesem Viertel keine Fabriken oder Geschäftshäuser, so daß der Blauberg heute, wie es geplant worden war, als ein reines Wohngebiet existiert, das mit seinem Park die grüne Lunge der Stadt bildet. Neben diesen repräsentativen Gebäuden des öffentlichen Lebens findet man in Sarreguemines auch zahlreiche prächtige Bürgerhäuser im Stil der Gründerzeit. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts bauten die Industriellen, um ihren finanziellen Erfolg und ihre Macht zu zeigen, riesige, außergewöhnliche Wohnungen, die man schon fast als Schloß bezeichnen kann. Begonnen hat der Hausbau der Honoratioren im Zentrum der Stadt. Alexander de Geiger und Eduard Jaunez wohnten in der Rue d’Or, Paul de Geiger in der Rue Poincaré. Bald darauf genügten die Stadthäuser nicht mehr und es zog die reichen Patrons an die Stadtränder. Émile Huber bewohnte eine Villa auf dem Blauberg, umgeben von einem riesigen Park. Die Familie Utzschneider besaß eine Villa in Neunkirchen und Eduard Jaunez baute ein Schloß in Remelfingen, von dem heute nur noch die prunkvollen Pferdeställe existieren. Es wurde sehr viel Wert auf den ästhetischen Aspekt gelegt, was als Reaktion auf die nüchterne und technisch orientierte Arbeit der Architektur-Ingenieure gesehen werden kann (Pierre Schaff, S. 6). Ein besonders schönes Beispiel für die „Industrieschlösser“ ist das sogenannte „Château Utzschneider“. Diese Villa mit ihren Nebengebäuden (Neunkirch, 99, Rue du Maréchal Foch) beeindruckt durch ihren Umfang und ihre Physiognomie. Die Architekten Gotfried Julius Berninger und Gustave Krafft, die beide in Straßburg geboren waren, in Stuttgart die Architekturschule besucht hatten und in Straßburg lebten, verwendeten gerne die A-Symmetrie. Elemente der Neorenaissance in den Säulen am Eingang und dem Giebeldreieck trafen zusammen mit mittelalterlichen Formen in den Türmchen und in der Verwendung von Bruchsteinen. Die Architekten hatten das Haus 1906 für die Witwe Utzschneider gebaut, aber schon nach 33 Jahren verließ die Familie das Haus. 1940–1944 war die Villa von den Nationalsozialisten besetzt und 1944–1945 diente sie zur Einquartierung der Amerikaner. Lange Zeit blieb das Anwesen vernachlässigt, bis H. Pierron die Pferdeställe (1956) und die Villa (1958) für sein Unternehmen für wissenschaftliche und schulische Ausstattung erwarb. 1983 zog die Firma ins Industriegebiet, und die Villa verwahrloste wieder, bis sie der Stadtverband Anfang der neunziger Jahre erwarb. Mittlerweile sind Haupt- und Nebengebäude liebevoll renoviert und restauriert worden, der Park wird wieder angelegt, so daß das „Hôtel du District“ einen würdigen Rahmen findet.

Deutsche und österreichische Städtebautheoretiker des Kaiserreichs, vor allem Joseph Stübben, R. Baumeister und Camillo Sitte, nahmen Einfluß auf die Stadtplanung in Sarreguemines. Der Erste Weltkrieg unterbrach die verschiedenen Planungsvorhaben. Trotz der auf einen völligen Bruch mit der Reichslandzeit gerichteten französischen Politik der Zwischenkriegszeit wurde in den zwanziger und dreißiger Jahren an die Planungen des Kaiserreiches aber unmittelbar wieder angeschlossen. Heute wird das Stadtbild von den damals geplanten Straßen und der Architektur der „Gründerzeit“ geprägt. Dabei läßt sich in der Verwaltungsarchitektur eher der deutsche Formenduktus beobachten, während bei den Privatbauten die französische Formensprache stärker durchscheint.

Quellen und weiterführende Literatur

Cartal, Jean-Jacques/Hemmert, Didier, Naissance d’une ville moderne, Sarreguemines 1899, Sarreguemines 1999.

Hiegel, Henri, Le Gymnase et la Reale de Sarreguemines de 1871–1918, Sarreguemines 1991.

Schaff, Pierre, Reconversion de la propriété Pierron à Sarreguemines en un espace culturel et un conservatoire de musique et de danse, Sarreguemines 1990.

Wittenbrock, Rolf, Bauordnungen als Instrumente der Stadtplanung im Reichsland Elsaß-Lothringen (1870–1918). Aspekte der Urbanisierung im deutsch-französischen Grenzraum, St. Ingbert 1989.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.