Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Europadenkmal Berus

Orannastraße, Berus/Überherrn

Baugeschichte

In Überherrn konstituierte sich Mitte der sechziger Jahre der „Verein zur Errichtung eines Denkmals für die Großen Europäer“, der auf Initiative von Gerhard Burg (Bürgermeister der Gemeinde Überherrn) und Helmut Bulle (saarländischer Minister für Öffentliche Arbeiten und Wohnungsbau) das Europadenkmal errichten ließ. Den ersten Spatenstich führte Altbundeskanzler Konrad Adenauer am 2. Juli 1966 durch, enthüllt wurde das Denkmal im Mai 1970. Die Urkunde im Grundstein gibt den konkreten Anlaß der Denkmalserrichtung wieder: „Wo einst [...] im Zeichen des nationalen Gegensatzes trutzige Bauten errichtet worden waren, wird nun dieses Denkmal von der deutsch-französischen Freundschaft künden. Wie die Wallfahrtsstätte St. Orannens seit Jahrhunderten über Saar, Lothringen und Moselland hin ausstrahlt, so soll diese Gedenkstätte dem neuen europäischen Geiste dienen, der durch den Staatsmann Robert Schuman und seine großen Mitstreiter geprägt worden ist“ (Urkunde, zitiert nach: Gemeinde Überherrn, S. 32) Das Europadenkmal besteht aus zwei senkrecht aufragenden, 16 m hohen Betonplatten, die in ihrem unteren Teil eine Aussichtsplattform mit durchsichtigem Geländer durchbrechen. An ihren oberen Enden sind die beiden rechteckigen Pylone mittels eines Strahlenbündels aus mehreren Metallstäben miteinander verbunden. Auf der Innenseite der beiden Pylone ist oberhalb der Plattform in Augenhöhe eine Gedenktafel für die Politiker Konrad Adenauer, Robert Schuman und Alcide De Gasperi angebracht. Weitere Plaketten für Helmut Bulle, Josef Besch und Paul Henri Spaak wurden nach der Einweihung angebracht. Das Europadenkmal steht auf der Höhe bei Berus, von der aus man einen weiten Blick in die Landschaft beiderseits der Grenze genießt – linker Hand bis weit jenseits des Saartales, rechter Hand in Richtung Bolchen (Boulay-en-Moselle).

Regionalgeschichtlicher Kontext

Das Europadenkmal ist heute das Wahrzeichen der Grenzgemeinde Überherrn. Seine Lage und die Aussicht machen das Denkmal zum beliebten Haltepunkt auf Spaziergängen und Ausflügen. Die Stirnseite des Denkmals ist ungefähr in Richtung auf Saarbrücken orientiert, was auf die uralte Brückenfunktion des Saarraumes als Kreuzungspunkt von Fernwegen und auf seine weit jüngere Brückenfunktion im deutsch-französischen Verhältnis verweist. Gerald Motsch versuchte, die deutsch-französische Geschichte im Laufe der Jahrhunderte in vertikaler Form durch die beiden Platten ins Bild zu setzen. Die horizontale Plattform des Denkmals signalisiert die gemeinsame historische Wurzel der beiden Nationalstaaten im keltisch, romanisch und germanisch geprägten frühgeschichtlichen Kulturraum. Während die Betonplatten außer im Untergrund und in der Plattform nirgends verbunden sind, wurde in ihrem oberen Teil durch die gebündelten Stäbe eine Verbindung aus Metall, d.h. aus einem anderen Material geschaffen, die nach Aussage von Motsch für die „nach dem letzten Kriege angeknüpften vielseitigen freundschaftlichen Verflechtungen“ stehen und „nach einer Zeit des Nebeneinanders das Miteinander symbolisieren soll“ (Motsch, zitiert nach Gemeinde Überherrn, S. 32). Diese Selbstinterpretation durch den Künstler ist zwar schlüssig, negiert allerdings die historische Vielschichtigkeit der deutsch-französischen Beziehungen. Insbesondere die vier Jahrhunderte, die dem Zweiten Weltkrieg vorausgingen, waren weniger Zeiten des einfachen Nebeneinanders als vielmehr meist Zeiten des Gegeneinander, gelegentlich aber auch schon des Miteinander. Das Europadenkmal wurde errichtet in geistiger Abgrenzung zum früheren Hindenburgturm, der 1935–1939 den Beruser Bann überragte, und im Rückgriff auf die Oranna-Wallfahrt. Kaum 100 m südöstlich vom heutigen Europadenkmal entfernt war er 1934 im Abstimmungskampf um die Saar (1933–1935) als weithin sichtbares Zeichen des nationalistischen Deutschtums errichtet worden. Der historische Rückbezug des Europadenkmals von 1970 in bewußtem Kontrast zum 1939 abgerissenen Hindenburgturm von 1934 markiert die demonstrative Abkehr von dem deutsch-nationalen und nationalsozialistischen Denken, in dessen Geist der Hindenburgturm errichtet worden war. Die beiden Länder Frankreich und Deutschland stehen in diesem „Denkmal für die Großen Europäer“, wie es auch bezeichnet wird, zugleich als Kern und Anfang eines neuen, vereinten Europa, wie es in der Vision der damaligen Politiker Schuman, Adenauer und De Gasperi vertreten und in den folgenden Politikergenerationen aufgriffen wurde. „Gemeinde Überherrn – ein kleines Stück Europa“, so lautet längst der Wahlspruch der Grenzgemeinde im Bisttal.

Quellen und weiterführende Literatur

Gemeinde Überherrn (Hg.), Geschichte und Sehenswürdigkeiten, Überherrn o.J. [nach Januar 1998].

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.