Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Nationalsozialistische Dorfarchitektur und Raumplanung
im Saarland und in Lothringen (1939/1940–1944)

Erbhöfe und Wohnhäuser im Saarland: Walsheimer Straße 12 und 13, Gersheim; Bebelsheimer Straße 2, Reinheim/Gersheim; Kaiserstraße 1 und 3, Bebelsheim/Mandelbachtal; Gipsgrube 3, Ormesheim/Mandelbachtal; Im Brühl 12 und 13, Biringen/Rehlingen-Siersburg; Dorfstraße 8, Dörrenbach im Ostertal/St. Wendel; Erfweiler-Ehlingen/Mandelbachtal; Wittersheim/Mandelbachtal; Am Kappelberg 1, Wolfersheim/Blieskastel; Fechinger Straße 28 und 30, Bliesransbach/Kleinblittersdorf; Erbhöfe in Lothringen: Ogy; Kanfen; Boust

Erzwungene Hausabrisse

Einzelne Abrisse von Bauernhäusern erfolgten in den Dörfern der geräumten Roten Zone bereits im Frühjahr 1940. Es gab weder ein einheitliches Konzept für den Wiederaufbau im Saarland und ab Juni 1940 in Lothringen, noch eine rechtlich gültige Grundlage oder einheitliche Richtlinien für die Abrisse. Die Entscheidungen über die künftige Gestaltung einzelner Orte wurden nach Ortsterminen von einer Kommission gefällt, die vom jeweils zuständigen Leitenden Architekten der betreffenden externen Wiederaufbauabteilung geleitet wurde. Die dem Leitenden Architekten unterstehenden Ortsarchitekten hatten ab Juni 1940 weitgehend freie Hand. Die vorgedruckte Standardformel, mit der im Neuordnungsplan unter der Überschrift „Vorgesehener Abbruch“ die Abrisse begründet wurden, brauchte nur um die Angaben zu den einzelnen Häusern ergänzt zu werden: „Aus verkehrstechnischen und städtebaulichen Gründen sind verschiedene Häuser abzubrechen, deren Bauzustand im allgemeinen auch so schlecht ist, daß eine Instandsetzung nicht lohnt. Es sind dies…“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 90). Um die erwünschte bauliche Auflockerung der Dörfer zu erzielen, konnten die Ortsarchitekten geringfügig oder gar nicht beschädigte Häuser abreißen lassen. Die technische Durchführung der Abrisse oblag der Organisation Todt, vor Ort wurden auch Bauunternehmer dafür herangezogen. Einzelne Gemeinden, sogenannte Wiederaufbaugemeinden oder Neuordnungsgemeinden, sollten vollständig neu geplant werden. Entlang der Grenze im Bliesgau und im Saargau wurden Schätzungen zufolge rund 2000 Häuser abgerissen, die teilweise kaum oder gar nicht beschädigt waren. Beispielsweise wurde in Bliesransbach (heute Ortsteil von Kleinblittersdorf) durch Abriß ein Dorfplatz geschaffen. Die Dorfmitte war zuvor dicht und unregelmäßig bebaut gewesen, einen Dorfplatz hatte es nie gegeben. Zahlreiche weitere Orte im Bliesgau wie Reinheim, Gersheim, Medelsheim, Utweiler, Riesweiler, Peppenkum und Brenschelbach waren ebenfalls betroffen. Diese Maßnahmen führten nach der Rückkehr der Evakuierten zu erheblichen Konflikten, die jedoch von der nationalsozialistischen Verwaltung totgeschwiegen wurden. Nach dem Krieg wurde um Entschädigungen prozessiert, teilweise bis in die 1950er Jahre hinein. Die Verfahren gingen für die Betroffenen nicht immer erfolgreich aus.

Erbhöfe und Wohnhäuser im Saarland

Einige der im Saarland tatsächlich gebauten Häuser und Erbhöfe der Wiederaufbauzeit stehen heute unter Denkmalschutz. Die Wohnhäuser in Gersheim (Walsheimer Straße 12), erbaut Anfang der 1940er Jahre, stehen in Zusammenhang mit dem Erbhof (Nummer 13). Der Gersheimer Erbhof selbst entstand 1941–1943, sein Backsteinbau wurde 1990 erstmals verputzt. Die Erbhöfe und Wohnhäuser in Reinheim, Bebelsheim und Ormesheim wurden ebenfalls Anfang der 1940er Jahre errichtet. Die Säulen im Eingangsbereich des Haupttraktes bei den Erbhöfen in Bebelsheim und dem Gersheimer Erbhof bilden als architektonische Elemente eine Ausnahme. Im Rahmen des Wiederaufbauprogramms der Saarpfalz, das für den Bliesgau erstellt worden war, entstanden auch Erbhöfe im Saargau. Die beiden denkmalgeschützten Erbhöfe im Dorf Biringen (bei Merzig) sind Teil eines geplanten Komplexes von vier Höfen, von denen aber nur diese beiden realisiert wurden. Erbhof Im Brühl 13 wurde 1940/1941 fertiggestellt und bezogen, Erbhof Im Brühl 12 1941 begonnen. 1942 wurde das ursprüngliche große Bauprogramm reduziert und provisorisch fertiggestellt, bezogen wurden die Gebäude aber erst nach dem Krieg. Beide Hofanlagen zeigen die gleiche Gestaltung: ein zweigeschossiges Wohnhaus, daran angebaut ein schmaler Verbindungstrakt zum großen Wirtschaftsgebäude. Weitere Beispiele für Erbhöfe und Wohnhäuser aus dem Wiederaufbauprogramm befinden sich z.B. in Erfweiler-Ehlingen, Wittersheim, Wolfersheim sowie in Dörrenbach (Ostertal). Der kleinere Erbhof in Dörrenbach ist eine Ausnahme, da das Nordostsaarland nicht zum Einzugsbereich der Roten Zone gehörte. Der geräumige Wirtschaftsteil des winkelförmigen Baues wurde mit geringfügigen Veränderungen im Inneren zwischenzeitlich als Restaurant „Zum Erbhof“ umgestaltet. Die Wohnhäuser in Wittersheim fallen als besondere Gruppe teils trauf-, teils giebelständiger Bauten entlang der Hauptstraße am südlichen Ortseingang auf. Sie sind – wie die in Reinheim und Bliesransbach errichteten Wohnhäuser – wohl als kleine Landwirtsstellen dimensioniert worden. In Bliesransbach wurden an der Fechinger Straße zu Anfang der 1940er Jahre zwei Wohnhäuser errichtet. Die traufständigen, zweigeschossigen Häuser, jeweils mit Wirtschaftsteil versehen, wurden als langgestrecktes Doppelgebäude mit durchlaufendem First und Steilwanddach an der Hauptstraße errichtet. Der Wohnteil des Hauses Nummer 28 ist in restaurierter Form noch erhalten und zeigt jeweils zwei Fenster zu beiden Seiten der Tür. Die roten Sandsteingewände der Tür sind geschwungen und leicht barockisierend gestaltet, die der Fenster gerade und ohne Verzierung. Beide Häuser wurden nach dem Zweiten Weltkrieg eingreifend umgebaut, dabei wurde der Scheunenbereich von Haus Nummer 28 ebenfalls in ein Wohnhaus umgebaut (heute Nummer 28a). Haus Nummer 30 wurde in den späten 1950er oder frühen 1960er Jahren umgebaut. Der Scheunenteil von Haus Nummer 30 beherbergt seit seinem Umbau in den späten 1990er Jahren ebenfalls ein Wohnhaus.

Abrisse, Funktionsbauten, Erbhöfe und Wohnhäuser in Lothringen

Zunächst mußte bei Beginn des Wiederaufbaus im Juli 1940 für die Unterbringung der Ernte gesorgt werden. Zu diesem Zweck errichtete man allein im Kreis Diedenhofen (Thionville) 70 Notscheunen, die meist auf freiem Feld entstanden. „Die Architekten“ – so Ulrich Höhns – „fanden entvölkerte, zerstörte Dörfer vor. Fast die gesamte französischsprachige Bevölkerung war nach Frankreich vertrieben worden, und der mit der provisorischen Einbringung der Ernte beauftragte ,Reichsarbeitsdienst‘ hatte die Verwüstungen eher vergrößert. Seit August 1940 hatte außerdem die ,Einsatzgruppe Lothringen‘ der Technischen Nothilfe etwa acht Monate lang die Schäden des Krieges an Straßen und Versorgungsleitungen behoben und provisorische Sicherungs- und Wiederaufbaumaßnahmen an Gebäuden eingeleitet. Es wurden allerdings auch umfangreiche Sprengungen durchgeführt, die einsturzgefährdete Häuser niederlegten und Ortsdurchfahrten freilegten, so daß sich die Schadensbilanz auch hier eher verschlechterte“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 231f.).

Von der Hauptaufgabe, den geplanten 1000 Erbhöfen, 500 Arbeiterwohnhäusern und 500 Siedlungshäusern, wurde nur ein Bruchteil realisiert, da schon 1942 die Mängel der Kriegswirtschaft begannen. Außerdem wurden ab 1941 die Instandsetzungsarbeiten im ehemaligen Grenzbereich zugunsten der Neubauten in der westlothringischen „Umsiedlungszone“ stark eingeschränkt. Es wurden im April 1941 in großem Umfang Bauarbeiter aus den Kreisen beiderseits der ehemaligen deutsch-französischen Grenze abgezogen, und dies war erst „der Beginn einer größeren Kräfteverschiebung“, wie der Regierungspräsident formulierte (zitiert nach Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 77). Pläne wurden unter anderem für Erbhöfe in den nordlothringischen Orten Gänglingen, Telingen, Lubeln und Diedringen erstellt. Einer der Erbhofbauten, die tatsächlich zur Ausführung kamen, war der Erbhof in Ogy/Pange. Dort wurde im Stallteil das genormte Stützensystem der Planungsarchitekten Walter Hoss und Richard Döcker angewandt.

Weitere sogenannte „Umbau-Erbhöfe“ sollten im Kreis Diedenhofen (Thionville) entstehen. Der dortige Leitende Architekt Rudolf Steinbach orientierte sich an den vorgefundenen Strukturen lothringischer Dörfer und Bauernhäuser und verfocht auf dieser Grundlage eine Konzeption schonender Integration bestehender Gebäude in den Wiederaufbau. Sein Mitarbeiter Emil Steffann formulierte das folgendermaßen: „Das Lothringer Dorf kehrt sich von außen nach innen. Die Straße ist der Lebens- und der Arbeitsraum seiner Bewohner, und die Häuser öffnen sich nach der Straße. Die Wirtschaftsausgänge münden zur Straße, während Fluchten weit abgeschleppter, bis zu den Gärten hinabreichender Dächer wie ein großes, gestuftes, gemeinsames Dach den Innenraum beschließen. Die Neuordnung des Dorfes hat den Wandel seiner bisherigen Form zur Folge. Durch die Verlagerung der Wirtschaft von der Straße hinter das Haus wird die alte abgeschlossene Gemeinschaftsform des Straßenraumes durchbrochen. Jeder Bauer erhält seinen eigenen Wirtschaftsplatz hinter seinem Haus: Das Dorf strahlt nach außen“ (zitiert nach Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 236). Einzelne so entstandene Umbau-Erbhöfe, so etwa in Rörchingen (Rurange-lès-Thionville) und Monterchen (Montrequienne), waren in Form und Bauvolumen dem traditionellen lothringischen Baubestand angepaßt, so behielt z.B. Rudolf Steinbach das für den historisch jüngeren Typ des Lothringischen Bauernhauses typische Flachdach bei, das der nationalsozialistischen Architektur als „undeutsch“ galt. Steinbach prognostizierte, daß die in Lothringen gesammelten Erfahrungen für den Wiederaufbau von Dörfern in Deutschland große Bedeutung haben würden. Diese Voraussage bestätigte sich, so etwa 1945 in der damaligen Ackerbauernstadt Crailsheim (Baden-Württemberg) sowie ab 1946 durch zahlreiche neue Bauerndörfer in Thüringen.

Rudolf Schwarz und die Raumplanung um Thionville

Erste Neuordnungspläne für lothringische Dörfer verfaßte Prof. Dr. Ing. Rudolf Schwarz, der 1941 zunächst beim externen Wiederaufbauamt Salzburgen (Château-Salins) im südlothringischen Salzland (Saulnois) tätig war. Die Gegend war durch die Vertreibung weitgehend entvölkert. Schwarz setzte sich intensiv mit dem vorhandenen Baubestand und der typischen Gestalt lothringischer Dörfer in dem als Landschaft unzerstörten agrarischen Südlothringen auseinander. Auf dieser Grundlage befürwortete er theoretisch eine Einbeziehung der alten Dorfräume, jedoch spiegeln seine erhaltenen Neuordnungspläne von 1941 diese Absichten kaum wieder, so sollte in Dalheim (Dalhain), Böllingen (Bellange) und Warnhofen (Vannecourt) die Dorfgestalt jeweils stark eingreifend verändert werden. Schwarz wurde im Januar 1942 Leiter der „Planungsstelle Diedenhofen“, er kam also in die industriell geprägte, durch Demontage ausgeplünderte Landschaft um Metz, deren Bewohner teilweise nicht vertrieben worden waren, weil sie in den Betrieben gebraucht wurden. Diedenhofen (Thionville) und das Tal der Fentsch zählten bis 1942 weder zum Neuordnungsgebiet der Roten Zone, noch zum Umsiedlungsgebiet im westlichen Lothringen. Das Gebiet, das außer der Stadt Diedenhofen (Thionville) aus vielen industrialisierten Ortschaften und einigen Bauerndörfern bestand, wurde erst 1942/1943 unter den veränderten Bedingungen der Kriegswirtschaft in den Wiederaufbau einbezogen.

Die Devise Bürckels lautete, diese Teilregion für die Nachkriegszeit als Industriegebiet neu aufzubauen und den Zuzug weiterer Industrien vorzubereiten. Die industriellen Entwicklungsplanungen für diesen Raum, denen die staatlichen Planer nur noch folgten, lagen zum Teil bereits seit der Annexionszeit 1870–1918 fest, zum Teil waren sie bis 1939 weiterentwickelt worden. Wie in anderen Bereichen der Großregion Saar-Lor-Lux hatten auch hier die Administratoren beider Staaten auf Wunsch der Industrie gleichgerichtet an der infrastrukturellen Erschließung und Siedlungsgestaltung des Raumes mitgewirkt, woran wechselnde Staatsformen und Rechtsverhältnisse nichts änderten. „Im Industriegebiet Diedenhofen hatten die Interessen der Rüstungswirtschaft, d.h. der deutschen Konzerne, die als Treuhänder die lothringische Industrie verwalteten, verhindert, daß die Volkstumsfrage ähnlich brachial wie auf dem Lande gelöst worden wäre. Eine Deportation der seit Generationen ansässigen eingewanderten Arbeiter hätte hier zwar auch den Zielen der nationalsozialistischen Volkstumspolitik entsprochen, aber sie widersprach zu sehr den Zwängen der Kriegswirtschaft“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 295f.). Es war vorgesehen, sukzessive die „fremdstämmigen“ Arbeiter durch „deutschstämmige“ aus dem Saarland zu ersetzen. Zunächst wurden jedoch parallel zur Steigerung der Rüstungsproduktion (und dem ab 1943 verstärkten Einzug von Lothringern zum Kriegsdienst) Vertragsarbeiter aus Frankreich, Belgien und Holland, zwangsverpflichtete „Ostarbeiter“ und Kriegsgefangene herangezogen, was die Zahl der „fremdstämmigen“ Arbeiter im industrialisierten Nordlothringen ständig ansteigen ließ. Rudolf Schwarz’ Aufgabe beschränkte sich wegen der vorliegenden Industrieplanungen auf die Entwicklung von Wohnsiedlungen, wobei ihm daran gelegen war, die „fremdstämmigen“ lothringischen Arbeiter durch seine Planungen an die sanierten Industrieorte zu binden und von den neuen, großzügig angelegten Siedlungen für „deutschstämmige“ Arbeiter fernzuhalten. „Ostarbeiter“ und Kriegsgefangene sollten erst gar nicht angesiedelt, sondern abseits der ständigen Bevölkerung in Massenquartieren gehalten werden. Schwarz folgte der rassistischen Denkweise der SS, wenn er sich über den „völkischen Schutt“ im Industriegebiet beklagte, der noch nie nach rassischen Kriterien untersucht worden sei; die Auszählung nach Sprachzugehörigkeit liefere „ein rassisch ganz falsches Bild“ (zitiert nach Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 297). Später erklärte Schwarz, seine Zeit in Lothringen sei eine Art innerer Emigration gewesen. Schwarz schuf nach statistischen Vorerhebungen zu Wohnraumbedarf und Bevölkerungsentwicklung bei den lokalen Verwaltungen sowie nach Befragungen der vorhandenen Betriebe über ihre geplante Entwicklung und die Pendelwanderungen ihrer Arbeiter das neuartige Konzept einer „Stadtlandschaft Diedenhofen“. Gewohnheitsmäßig hatten die Erzbergleute geringe Pendelwege, die Hüttenarbeiter kamen dagegen von weit her. Innerhalb der „Stadtlandschaft“ plante Schwarz im Abstand von ein bis vier Kilometern von den Betrieben neue Siedlungen für jeweils rund 2500 Einwohner. Die Neusiedlungen sollten zu 90% aus Eigenheimen mit Gärten bestehen. Schwarz griff in seinen Planungen für das Fentsch-Tal explizit das Konzept der industriell geprägten „Bandstadt“ auf, das von vielen europäischen Architekten bis Anfang der 1930er Jahre stark diskutiert und von deutschen Architekten der „Brigade Ernst May“ 1930–1933 in den sowjetischen Industriestädten Magnitogorsk und Avtostroj bei Nishni-Nowgorod auch angewandt worden war. Nach Auflösung der „Planungsstelle Diedenhofen“ im Juni 1943 wurde Schwarz Leiter der neuen „Planungsstelle Metz“, die seinen bisherigen Wirkungskreis mitverwaltete. Schwarz’ Planungen von 1943 für sechs Orte im Raum Metz – Buchen (Féy), Kleinprunach (Pournoy-la-Chétive), Kubern (Cuvry), Kuberneck (Coin-lès-Cuvry), Pommeringen (Pommérieux) und Selzeck (Coin-sur-Seille) – enthalten ähnlich starke Eingriffe in die gewachsene Dorfstruktur wie in seinem ersten Wirkungskreis in Südlothringen. In Kubern (Cuvry) plante er mitten im Dorf eine formal und städtebaulich wie ein Fremdkörper wirkende Siedlung von Arbeiterhäusern. Demgegenüber bemühte sich Schwarz in Oberkontz (Haute-Kontz), den Zustand des stark kriegszerstörten Dorfes so weit wie möglich wiederherzustellen. Insgesamt suchte er jedoch stets ein zukünftiges graphisches Gesamtbild des Dorfes zu erstellen, was weit über die Neuordnungsidee hinausging. Schwarz erstellte 1943/1944 nach den gleichen Kriterien wie für Diedenhofen (Thionville) auch einen Raumneuordnungsplan für das lothringische Kohleabbaugebiet um St. Avold und Forbach, der aber nicht mehr zur Ausführung kam. Im März 1944 betraute man ihn mit der Leitung der „Planungsstelle Saarbrücken“ bzw. „Hauptgeschäftsstelle Saarbrücken“ mit Sitz in Neustadt, um den Wiederaufbau von Saarbrücken, Frankenthal und Ludwigshafen zu planen. Im September 1944 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, kehrte 1946 aus der Gefangenschaft zurück und wurde noch im gleichen Jahr Generalplaner für den Wiederaufbau in Köln, wo er bis 1952 tätig war. Schwarz, der von religiösen Vorstellungen geprägt und schon in den zwanziger Jahren im Kirchenbau tätig gewesen war, neigte nach 1945 immer stärker zur religiösen Überhöhung und formulierte architektonische Ideen seiner Zeit in Lothringen nun entsprechend um. 1949 verfaßte Schwarz einen Neugestaltungsplan für den industriell geprägten städtischen Großraum von Köln, der explizit auf seinen Arbeiten für die „Stadtlandschaft Diedenhofen“ fußte. Stärker auf die regionalen Bautraditionen ging insbesondere der Architekt Emil Steffann ein. In seiner Dorfscheune in Boust, die er nach dem Krieg als Kirche bezeichnete, wird dies deutlich.

Ausgangslage und Wiederaufbauphasen

Am 22. Juni 1940 trat der Waffenstillstand zwischen dem Deutschen Reich und Frankreich in Kraft. Nahe der Maginotlinie und dem Westwall waren die Zerstörungen am stärksten, insbesondere in vielen Dörfer direkt an der Grenze. Da man sich auf einen längeren Krieg mit Frankreich eingestellt hatte, befand sich der im Saarland und der südwestlichen Pfalz begonnene Wiederaufbau zum Zeitpunkt des Waffenstillstandes noch in den Anfängen. Allein im Bereich des Gaues Saarpfalz (Saarland und Pfalz) waren rund 16000 Häuser und landwirtschaftliche Anwesen, Hunderte von Brücken sowie industrielle und gewerbliche Betriebe herzurichten oder neu aufzubauen. Im Saarland hatte der Wiederaufbau bereits zu Kriegsbeginn mit der Evakuierung (2./3. September 1939) in einem nahezu menschenleeren Raum begonnen. Zwischen dem 25. Juni und dem November 1940 kam diese erste Phase des Wiederaufbaus zeitgleich mit der allmählichen Rückkehr der Bevölkerung zum Abschluß. Der Wiederaufbau wurde von Hitler als Reichssache definiert, er sicherte der evakuierten Saarbevölkerung den Ersatz zerstörter Gebäude und des Hausrates zu, generell wurde „ein großzügig bemessener Wiederaufbau in Aussicht gestellt“ (zitiert von Ulrich Höhns in Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 49). Die zweite Phase des Wiederaufbaus, zu dem nun auch die Neuordnungsmaßnahmen für das besetzte Lothringen zählten, begann mit der Jahreswende 1940/1941 und endete im Sommer 1944. Der Wiederaufbau verlief im Gau Saarpfalz, der zum „Altreichsgebiet“ zählte, etwas anders als in Lothringen, in dessen westlichem Landesteil aber aus politischen Gründen Vertreibungen und Umsiedlungen durchgeführt wurden. Für die Architekten und Planer des nationalsozialistischen Staates bot sich an der Westgrenze des Reiches mit diesem ersten Versuch des Reiches, in großem Stil weite ländliche Räume planerisch zu gestalten, eine neuartige architektonische Chance. Planungsgeschichtlich war es der weltweit erste Versuch, so viele Dörfer auf einmal neu zu gestalten. Grundsätzlich stellten sich den Planern zu beiden Seiten der bisherigen Westgrenze gleichartige Probleme im ganzen neuen Gau Westmark (Pfalz, Saarland und Lothringen, mit Saarbrücken als neuer Hauptstadt). Zur Debatte standen Bauformen für einzelne Bauernhäuser unterschiedlicher Größe, die Gestaltung kompletter Dörfer, Wegenetze und Felder sowie die Raumplanung des saarländischen Grenzraumes und ganz Lothringens, dessen Bewohner ebenfalls bei Kriegsbeginn evakuiert worden waren und im Verlauf von 1940 allmählich zurückkehrten.

Neuordnungs- und Umsiedlungsgebiet

Die Fläche, die beiderseits der Grenze von 1939 in die Neuordnungsplanung einbezogen wurde, umfaßte die Gebiete zwischen Westwall und Maginotlinie. Reichsinnenminister und Reichsfinanzminister hatten 117 kriegsbeschädigte Gemeinden in der Saarpfalz als „Neuordnungsgemeinden“ ausgewiesen, das entsprach im Bereich des saarländischen Westwalles einer Fläche von rund 60000 ha, darunter die Dörfer Biringen, Hemmersdorf (beide Kreis Saarlouis), Auersmacher (Stadtverband Saarbrücken), Altheim, Böckweiler und Seyweiler (alle Saarpfalz-Kreis). In Lothringen gab es 120 „Neuordnungsgemeinden“, einem inoffiziellen Papier zufolge sogar 157, insgesamt rund 280000 ha Fläche. Zusätzlich schuf man in Lothringen eine „Umsiedlungszone“, gemeint war damit „das ehemalige französische Sprachgebiet in Westlothringen, aus dem die französisch sprechende Bevölkerung ausgewiesen wurde und wo mit der Neubesiedlung durch deutsche Bevölkerung gleichzeitig eine Neuordnung der Ortschaften durchgeführt werden soll“ (zitiert von Ulrich Höhns in Cohen/Frank Bd. III, Teil 1, S. 54). Für die Umsiedlung kamen nach Schätzungen aus dem Frühjahr 1941 zwischen 2500 und 4000 Familien aus der Pfalz und dem Saarland in Frage. Der Planungsstand für Lothringen war zunächst vage; klar war lediglich, daß eine umfangreiche Modernisierung der Dörfer wie der landwirtschaftlichen Betriebe mit Grundstücksumlegungen in großem Maßstab vorgesehen war. Dazu zählte die Errichtung von Erbhöfen, Landwirtsstellen und Landarbeiter- bzw. Arbeiterbauernhäusern. Wie im bisherigen Reichsgau Saarpfalz begann man hier zunächst mit der Einstellung einzelner Beauftragter, wobei zum Teil grenzüberschreitende Aufgabenkreise gebildet wurden: Für die Kreise St. Ingbert und Saargemünd (Sarreguemines) wurde im Herbst 1940 der Architekt Robert Reutter als Beauftragter für den Wiederaufbau eingestellt. Im Rahmen seines Wiederaufbaukonzeptes für die Stadt Saargemünd (Sarreguemines) plante er Mitte November 1940 den Abriß von rund 60 Häusern zum Zwecke der Neuordnung. Für die lothringischen Städte, in denen die Neuordnungsplanung und erste Maßnahmen zu unterschiedlichen Zeiten erfolgten, galt ein allgemein gehaltenes Sanierungsprogramm, das vorsah, „ausgesprochene Elendswohnungen, wie sie wohl den größten Teil der lothringischen Altstadtwohnungen darstellen“, nach Maßgabe der zuständigen Ortsarchitekten zum Abriß freizugeben (zitiert von Ulrich Höhns in Cohen/Frank Bd. III, Teil 1, S. 51).

Planungsziel ideales nationalsozialistisches Dorf: modern, maschinen- und parteigerecht

Die Dörfer sollten sich den Anforderungen des künftigen Straßenverkehrs, dem geplanten verstärkten Einsatz von Landmaschinen und dem Platzbedarf der Militärs anpassen, deshalb waren eng bebaute Dorfkerne nicht erwünscht. Auf den Feldern, die zu möglichst großen Einheiten zusammengefaßt werden sollten, war es das Ziel, die Zahl der Landarbeiter zu vermindern. Dem diente auch die geplante Flurbereinigung, die besitzrechtliche und anbautechnische Probleme der Erbteilung beseitigen sollte. Die Erbteilung hatte in Südwestdeutschland und dem grenznahen Frankreich seit Jahrhunderten bestanden und dazu geführt, daß die bäuerlichen Betriebe immer kleiner wurden und schmale Handtuchstreifen bewirtschafteter Flächen das Land bedeckten. Das Ziel des NS-Staates waren dagegen Hofeinheiten, deren Häuser entweder als Einzelhöfe inmitten ihrer maschinenbewirtschafteten Felder oder um einen großen Dorfplatz gruppiert sein sollten, wo sich das von der Partei gesteuerte Leben abspielen würde. Ortsdurchfahrten und alte Bausubstanz sollten in den betroffenen Dörfern für den künftigen Fremdenverkehr „verschönert“ werden – dieser Teil des Wiederaufbauplanes fügte sich in ein älteres Lieblingskonzept Bürckels, das mit der Eröffnung der „Deutschen Weinstraße“ (20. Oktober 1935) begonnen hatte. Deren offizielles Weintor mit zugehöriger Weingaststätte waren im Mai 1937 im pfälzischen Schweigen eingeweiht worden. Einer der daran beteiligten Architekten, Karl Mittel, wurde Anfang Juli 1940 als einer der ersten Architekten zur Landesplanungsgemeinschaft Saarpfalz der bisherigen Gauhauptstadt Neustadt bestellt und noch im gleichen Monat zum Leitenden Architekten für den Wiederaufbau im Kreis Zweibrücken ernannt. Das Wiederaufbauamt in der neuen Gauhauptstadt Saarbrücken wurde erst im Januar 1941 geschaffen. In Lothringen wurde ab Juli 1940 wie im Saarland der Baubestand festgestellt, auch festgelegt, daß die bestehenden Dörfer weiterhin die Siedlungskerne bleiben sollten; gelegentlich, je nach Architekt vor Ort, wurde sogar versucht, die Neubauten in das alte Dorf einzupassen, doch letztlich wurden die Dörfer ohne Rücksicht auf Bedürfnisse oder Interessen der abwesenden Bewohner mit dreifacher Elle gemessen: 1) Die Dörfer sollten durch Teilabbruch der alten Siedlungskerne baulich aufgelockert und das Ortsbild „bereinigt“ werden – eine Idee, die im Gegensatz zum tatsächlichen sozialwirtschaftlichen Gebilde Dorf stand. 2) Grünflächen – auf dem Land völlig unnötig – wurden in den prognostizierten größeren Platzbedarf der Siedlungen einkalkuliert, wodurch eine zersiedelte, verstädterte Landschaft projektiert wurde. 3) Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Funktionen sollten künftig schon vom Anblick her getrennt werden – eine Forderung, die für dörfliche Verhältnisse nur sehr begrenzt sinnvoll war. Der einzige Architekt in Lothringen, der konsequent eine dem lothringischen Dorf angepaßte und den dörflichen Verhältnissen gemäße Bauform wählte und damit zugleich kreative architektonische Ansätze verband, ohne allzu weit von der gesetzten Norm abweichen zu können, war Emil Steffann.

Theorie und Praxis des Bauprogramms

Die für den Wiederaufbau geplanten Häuser wurden von den Architekten Richard Döcker und Walther Hoss zwischen September 1941 und März 1942 in vager Anlehnung an regional vorgefundene Häuser entworfen, wobei mehrere sozial definierte Typen und Größenklassen geschaffen wurden: kleinste Häuser für Landarbeiter oder Arbeiterbauern, etwas größer die Landwirts- oder Siedlerstellen, sodann kleinere und große Erbhöfe. Die Erbhöfe wurden besonders sorgfältig geplant und ihre Entwürfe mehrfach korrigiert, da sie als ideologische Symbole des neuen Dorfes galten und eine Art „Dorfkrone“ bilden sollten. Für künftige Aufmärsche und die staatlichen Festtage sollten die Dorfplätze dienen, daher wurden sie und die zugehörigen Grünflächen im Verhältnis zur bisherigen dörflichen Gesamtfläche großzügig dimensioniert. Im Vergleich zu den Wohnhäusern war vorgesehen, für die politischen und sozialen Funktionsbauten direkt am Dorfplatz höheren architektonischen Aufwand zu betreiben (Haus der NSDAP, Heim der Hitlerjugend, Schule, Kindergarten der Nationalsozialistischen Volksfürsorge – NSV). Hier „drängt eine technische und politische Infrastruktur ins Dorf, die Platz beansprucht“ (zitiert von Wolfgang Voigt in Cohen/Frank, Bd. I, S. 247). Planungskommissionen sollten ab Mitte 1940 die gigantischen Bauprogramme in die Tat umsetzen. Die beiden kleinsten Haustypen der Westmark-Norm, das Arbeiter- und Arbeiterbauernhaus, herrschten in den Neuordnungsplanungen bei weitem vor. Demgegenüber wurde in der Öffentlichkeit vor allem das Erbhof-Programm beworben. Bis 1944 wurde jedoch nur ein Bruchteil des mit hohem Aufwand gestarteten Bauprogramms durchgeführt; so wurde etwa für 1942 der Baubeginn an 995 Häusern aller Typen und Größenklassen projektiert, aber nur 151 Rohbauten wurden begonnen, die meisten wurden nur fundamentiert. 110 Erbhofbauten waren geplant oder wurden begonnen in den Kreisen Merzig, Saarbrücken, Saarlouis (Saarlautern), St. Ingbert, Diedenhofen (Thionville, 37), Metz (25), Saaralben (Sarralbe), Saargemünd (Sarreguemines), Saarburg in Lothringen (Sarrebourg, 12)‚ Salzburgen (Château-Salins, 13), St. Avold und Bolchen (Boulay-en-Moselle, 23). Allein in Lothringen fand in mindestens 94 Orten eine Bautätigkeit in kleinerem oder größerem Umfang statt. Vollendet wurden 1942 im Bereich des alten Gaues Saarpfalz lediglich sieben und in Lothringen sogar nur drei Erbhöfe. Die fertiggestellten lothringischen Erbhöfe waren gegen Kriegsende das Ziel von Angriffen der lothringisch-französischen Widerstandsgruppe „Mario“.

Vertreibung, Umsiedlung und Neuordnung in Lothringen

Das Ostlothringen umfassende Departement Moselle wurde durch den Führererlaß vom 2. August 1940 aus der Militärverwaltung des übrigen Frankreichs ausgesondert und einer deutschen Zivilverwaltung unterstellt, somit faktisch annektiert. Für ganz Lothringen und das Elsaß war innerhalb der kommenden zehn Jahre eine Eindeutschung vorgesehen. Diese Eindeutschung sollte aber anders gehandhabt werden als während der Zeit 1870–1918, während der beide Regionen als Reichsland Elsaß-Lothringen in einem rechtlichen Sonderstatus zweiter Klasse gehalten worden waren, der stark zur Ablehnung der deutschen Herrschaft beigetragen hatte. Das Protokoll einer Besprechung über Westfragen am 25. September 1940 im Beisein von Hitler, Bormann und Bürckel hielt daher fest: „Elsaß und Lothringen sollen, obwohl die staatsrechtliche Einverleibung noch nicht stattgefunden hat, so behandelt werden, als ob sie bereits stattgefunden hätte. Die militärischen Stellen sollen Elsaß und Lothringen nicht als besetztes Gebiet, sondern als Heimatgebiet behandeln [...]“ (zitiert nach Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 284). Um die Eindeutschung und eine Neuordnung Lothringens im vorgesehenen Umfang durchführen zu können, mußten die Bewohner bestehender Höfe und Dörfer verschwinden. Auf Anweisung Bürckels vertrieben die Kreisleiter zwischen dem 11. November und dem 20. Dezember 1940 einen Großteil der frankophonen und daher als politisch unzuverlässig geltenden lothringischen Familien, rund 100000 Personen, nach Innerfrankreich, eine Maßnahme, die selbst in nationalsozialistischen Kreisen als überhastet kritisiert wurde. Insgesamt 328 lothringische Ortschaften waren ganz oder teilweise entvölkert und wurden bis zum Eintreffen von Neusiedlern durch den Reichsarbeitsdienst verwaltet. Einige Alteingesessene konnten bleiben, doch wurden lothringische Männer seit Oktober 1942 zwangsweise in die Wehrmacht eingezogen; im französischen Sprachgebrauch bezeichnete man sie daher als „Malgré Nous“ (gegen unseren Willen). Die Vertreibung und die Einziehung der Malgré Nous trugen stark zu der massiven, dauerhaften Ablehnung der Annexion in der lothringischen Bevölkerung bei. Bürckel als Reichsstatthalter der Westmark und Chef der Zivilverwaltung in Lothringen strebte – schon zur Vermeidung innerer Konflikte in seinem erweiterten Machtbereich – eine innere Gleichstellung und Gleichbehandlung bei den Wiederaufbaumaßnahmen des neuen Reichsgaues Westmark an. Bürckel galt als Spezialist für „Rückgliederungen“, seit er 1933–1935 als NSDAP-Gauleiter der Pfalz die dortige Kampagne zur Rückgewinnung der Saar geleitet hatte, die ihm den neuen Posten des Gauleiters Saarpfalz eingebracht hatte. Nach dem Anschluß Österreichs 1938 wurde er im Januar 1939 zusätzlich Gauleiter von Wien, von wo er erst bei seiner Ernennung zum Chef der Zivilverwaltung Lothringens zurückkehrte. Ein grundlegendes Gutachten „Lothringens Landwirtschaft, wie sie war und wie sie werden sollte“ verfaßte 1941 Adolf Münzinger, Professor an der Landwirtschaftlichen Hochschule Stuttgart-Hohenheim, in Bürckels Auftrag. Darin empfahl Münzinger künftige bäuerliche Betriebsgrößen für Lothringen von 40 ha in der Gegend um St. Avold und 5 ha im Bitscher Land (Pays de Bitche) bzw. in der Region um Sarrebourg (Lothringen). Dieses und ein weiteres Gutachten Münzingers über „Landwirtschaftliche Siedlungsfragen in Lothringen“ bildeten wesentliche Planungsgrundlagen für das Wiederaufbauamt. Der Leiter des Metzer Kulturamtes, Hans-Joachim Weiland, schloß sich Münzingers Vorstellungen an, erweiterte aber die Grenzen der Hofgrößen nach oben und unten. Aus Gründen technischer Neuerungen im Landmaschinenbau, aber auch für ideologische und rassepolitische Zwecke verfocht der radikale Nationalsozialist Weiland das Konzept einer Gruppe von Betrieben mit über 50 ha und einigen wenigen Großbetrieben mit über 100 ha. Diese sollten das neue bodenständige „Führertum“ hervorbringen, außerdem Zuchtaufgaben in der Rinder- und Pferdezucht sowie Aufgaben bei der Saatgutvermehrung wahrnehmen. Weiland sah zugleich einen Nutzwert in der Förderung der Arbeiterbauern bzw. Bergmannsbauern, dieser typischen Erscheinung des saarländischen und lothringischen Industriegebietes, denen seiner Auffassung nach aber höchstens 2–3 ha Land zugeteilt werden sollten. Sie würden in der künftigen nationalsozialistischen Gesellschaftsordnung die Masse der Bevölkerung stellen und als Menschenmaterial eventuelle Angriffe abfedern: „Dieser Arbeitnehmer ist mit der Scholle verwachsen, seine politische Zuverlässigkeit steht außer Zweifel und nach den im Saarland gemachten Erfahrungen herrschen bei ihm ein guter Gesundheitszustand, Kinderreichtum und Krisenfestigkeit. Da ein möglichst dichter Menschenwall erreicht werden soll, wird, je stärker die Grenze besetzt ist, um so reinlicher die Scheidung zwischen dem Bevölkerungscharakter diesseits und jenseits der Grenze sein“ (zitiert nach Jean-Louis Cohen/Hartmut Frank, Bd. III, Teil 1, S. 94). Die Praxis des Wiederaufbauamtes für die 120 lothringischen Dörfer im Bereich des Grenzraumes, die als Neuordnungsgemeinden definiert wurden, war wesentlich konservativer als einige der Planungen: „Selbst ein glühender Nationalsozialist wie Hans Joachim Weiland [...] sprach nicht davon, den gesamten Bestand abzureißen und ,deutsch‘ wiederaufbauen zu wollen. Der pflegliche Umgang mit dem als erhaltenswert eingeschätzten Baubestand Lothringens war für die Architekten Programm und Verpflichtung. Einige von ihnen beriefen sich sogar auf die ,deutschen Wurzeln‘ der lothringischen Architektur, wenn sie deren Bestand gefährdet sahen... Hier sollte keine ,welsche‘ Architektur eingedeutscht werden“ Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 242). Der weitaus größte Teil der deutschen Architekten in Lothringen war daher mit der Erfassung des vorhandenen Baubestandes befaßt, was viele Kräfte band und die Baumaßnahmen verzögerte. Dies trug dem Wiederaufbauamt bis 1942 herbe Kritik von seiten des Reichsnährstandes und der „Bauernsiedlung Westmark GmbH“ ein.

Das Erbhofkonzept wurde in Lothringen – ähnlich wie im Elsaß – von der einheimischen Bevölkerung abgelehnt: Nicht nur wegen der Betriebsgröße, denn 20 ha Bewirtschaftungsfläche erschien den Bauern, die meist kleinere Betriebe gewohnt waren, als viel zu viel, sondern auch, da man voraussah, deutschen Siedlern weichen zu müssen. Bürckels Umsiedlungspläne folgten (parallel zu Hitlers Theorie vom Lebensraum im Osten) einer Vorstellung von neuem Lebensraum im Westen. Wie ungeklärt das Verhältnis von nationalsozialistischer Theoriebildung und Praxis des Wiederaufbaus tatsächlich war, zeigen unterschiedliche, zur gleichen Zeit bestehende Auffassungen: Während Bürckel die Konzeption eines dichtbesiedelten „Menschenwalles“ bzw. als „Bollwerk im Westen“ bevorzugte, für diese Neubesiedlung saarländische Neusiedler vorsah und schon ab Februar 1940 entsprechende Pläne entwickeln ließ, war generell die bauliche Auflockerung der Dörfer, also gerade auch eine Ausdünnung der Bevölkerung, ein zentrales Wiederaufbauziel (Cohen/Frank Bd. III, Teil 1, S. 46–47). Der Leiter des Wiederaufbauamtes Clemens Weber und Dr. Diehl (1940–1945 Kriegsschädenreferent bei der Gauregierung in Saarbrücken) verfaßten im Sommer 1940 einen Gesetzentwurf für die Neuordnung des ländlichen Raumes, der sich eher an Bürckels Zielen orientierte. 1941 begann eine Umsiedlungsaktion, die reichsdeutsche Familien nach Lothringen brachte, um die dortige bäuerliche Bevölkerung vollständig zu germanisieren. Unter anderem wurden dazu saarländische Familien herangezogen, darunter einerseits Familien von Hüttenarbeitern, aber auch sogenannte Westwallbauern, deren Anwesen durch den Bau des Westwalles zerstört worden waren. Sie bekamen als Entschädigung Höfe in Lothringen zugewiesen. Außerdem sollte ab 1942–1943 der zunehmenden Wohnungsnot im Saarland, bedingt durch die vielen Ausgebombten aus saarländischen Städten, begegnet werden, indem man Familien ohne eigene Wohnung nach Lothringen umsetzte. Als neue Siedler waren daher oft auch Dorfbewohner aus dem Saarland und der Pfalz vorgesehen, in deren Heimatorten Wohnraum fehlte. Beispiele für amtliche Karteien und Umsiedlungsbescheide an solche Familien sind z.B. für das Köllertal belegt. Zu den Umgesiedelten zählten außerdem ca. 6000–7000 sogenannte „Buchenländer“ (Volksdeutsche aus der rumänischen südlichen Bukowina) sowie eine unbekannte Anzahl Wolga-Deutsche, die jeweils nach dem Westen des Reichs transportiert worden waren. Mehrere Hundert buchenländische Familien sollten Höfe in Lothringen zur Bewirtschaftung erhalten, die ersten 144 Familien wurden auch auf ausgewählte Höfe im Kreis Metz-Land verteilt, die meisten lebten jedoch bis Kriegsende in Auffanglagern, so z.B. in dem Lager Elsingen (Elzange) bei Diedenhofen (Thionville), das ab 1. Juli 1942 bestand. Ende August 1944, kurz nach der Befreiung von Paris, kehrten die Umgesiedelten auf der Flucht vor der näher rückenden Front mit Fuhrwerken voller Hausrat aus Lothringen zurück.

Wiederaufbau und Industrieunternehmen

Rationalisierung und Normierung in der Bauwirtschaft spielten im Wiederaufbau von Anfang an eine Rolle und gewannen mit Fortdauer des Krieges laufend an Bedeutung, da sich anfänglich noch als solider Wiederaufbau gedachte Baumaßnahmen bis 1944 immer häufiger in reine Behelfsbaumaßnahmen verwandelten. Die Bestrebungen zur Rationalisierung des Bauvorgangs und zur Normierung von Bauteilen führten 1940/1941 zu einer Kooperation zwischen dem Wiederaufbauamt und der IG Farben (Ludwigshafen). Zur Produktion von künstlichen Mauersteinen aus Sand und industriell hergestellten Zuschlagstoffen wurde von der IG Farben das Iporitverfahren entwickelt, das in einer Großversuchsanlage bei Berlin erprobt wurde, um es später auf die Industriereviere der Westmark anwenden zu können. Hermann Röchling war seit Kriegsbeginn von Bürckel mit der „Sicherung“ der heimischen Stahlindustrie beauftragt und seit 1. Juli 1940 von Göring zum „Generalbeauftragten für Eisen und Stahl“ in Lothringen ernannt. Röchling sah in der Zusammenarbeit mit dem Wiederaufbauamt die einmalige Chance, die gesamte Hochofenschlacke seiner Stahlwerke, allen voran das Stammwerk im saarländischen Völklingen, zum Baustoff Bimsstein zu verarbeiten und so den Abfallstoff in profitables Rohmaterial zu verwandeln. Mit der Bimssteinproduktion wollte Röchling auch eine Schwefelsäure- und eine rationellere Zementproduktion verbinden, ihrerseits Rohmaterialien der chemischen bzw. Bauindustrie. Mit dem neuen Verfahren errichtete Röchling in Völklingen eine Versuchsanlage, um den teuren Transport von Bimsstein aus Neuwied am Rhein zu ersetzen, was für den sozialen Wohnungsbau des NS-Staates von großem Interesse war (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 87).

Aus dem künstlichen Bimsstein-Material der Völklinger Hütte waren maschinell großformatige Leichtbausteine zu fertigen, die nach Möglichkeit auch maschinell aufgemauert und bautechnisch zur Wärmedämmung eingesetzt werden sollten. Für 1942 plante man in Jockgrim in der Pfalz die Errichtung einer so gemauerten Versuchssiedlung in Plattenbauweise. Der Siedlungstheoretiker, Unternehmer und Erfinder Johann Wilhelm Ludowici, Inhaber einer als kriegswichtig eingestuften Ziegelfabrik in Jockgrim, arbeitete dort im Auftrag von Gauleiter Bürckel bereits an der rationalisierten Produktion von Einzelteilen in Fertigbauweise, um normierte Behelfsunterkünfte in stark beschleunigter Massenproduktion herstellen zu können. Ludowici, ein anerkannter Rationalisierungsfachmann, war trotz einiger Differenzen mit der NSDAP und seinem formellen Bruch mit der Deutschen Arbeitsfront (DAF) aktives Mitglied in den „Erfahrungsgemeinschaften“ des Ministeriums Todt. Eine von Ludowici konstruierte Baumaschine wurde beim Bau einer großen Siedlung der Hermann-Göring-Werke (Salzgitter) erfolgreich erprobt. In die Jockgrimer Fabrik wurde Professor Walther Hoss, der zunächst beim Wiederaufbau in Metz tätig gewesen war, 1944 nach einem Streit mit Bürckel versetzt. In Jockgrim kam es erneut zu einer Auseinandersetzung mit Bürckel, danach lebte Hoss bis Kriegsende in der Illegalität. Holz, Lehm und Beton wurden als tragende wie aussteifende Wandmaterialien von industriell hergestellten Bauteilen benutzt, die unter anderem in Konzentrationslagern angefertigt wurden. Gegen Kriegsende ließ z.B. die DAF solche Fertigteile mit mehreren Varianten für den Behelfswohnungsbau nach der von ihr entwickelten Norm „Reichseinheitstyp 001“ und den „Sondertyp 125“ fertigen. Dies war möglich, da mit Fortdauer des Krieges die formalen Zuständigkeiten beim Wiederaufbau kaum noch eine Rolle spielten. Insbesondere sanken seit 1942 die Einflußmöglichkeiten des Wiederaufbauamtes, dessen Arbeitsbereich durch Baustoppverordnungen immer weiter eingeschränkt wurde und schließlich zum Erliegen kam.

„Typologisch besteht eine starke Verwandtschaft zwischen diesem Fertigbausystem und etwa zeitgleich entstandenen, genormten Notwohnungen für die ausgebombte deutsche Zivilbevölkerung, die sog. ,Ley-Häuser‘“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 88). Die Ley-Häuser hatten ihren Namen im Volksmund nach Robert Ley, der 1940–1945 Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau war. Starke Ähnlichkeit bestand, materialtechnisch und volkswirtschaftlich gesehen, auch zwischen den verschiedenen Typen von nationalsozialistischen Fertigbauten und den späteren Plattenbauten der DDR, da sich dort das dringende Problem stellte, den Wiederaufbau möglichst preiswert und mit möglichst wenig Personaleinsatz durchzuführen.

Der französische Staat nach 1945 und sein Verhältnis zum nationalsozialistischen Wiederaufbau

Die Arbeitsloyalität der deutschen Architekten in Lothringen zu ihren nationalsozialistischen Arbeitgebern bewog wohl im November 1946 den Chefarchitekten der französischen Militärverwaltung, Bertrand Monnet, mit der Randbemerkung „culot“ (sinngemäß: „Frechheit“) auf ein Schreiben von Alfons Leitl an die Sektion Architektur der Militärbehörden in Baden-Baden zu reagieren. Darin hatte Leitl für sich selbst, Rudolf Schwarz und Emil Steffann um eine Beschäftigungsmöglichkeit in Lothringen ersucht, mit dem Hinweis, daß ihre Planungen und Bauten gerade friedlichem Wiederaufbau dienen könnten. „Dabei war ein solches Anliegen nicht für alle französischen Planer eine unerträgliche Vorstellung. Bereits kurz nach Kriegsende erschien André Sive, einer der drei wichtigsten französischen Planer im besetzten Saarland, bei Hans P. Koellmann, einem Architekten und späteren Mitherausgeber von ,Baukunst und Werkform‘. Sive ,hatte nach dem Architekten geforscht, der während des Krieges gewisse Industriebauten im lothringischen Revier errichtet hatte, und dieser wurde von ihm aufgefordert mitzuwirken an einem Zipfel des wohl europäisch notwendigen Aufbauwerkes‘“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 253–254, Hans P. Koellmann, Nachruf auf André Sive, in: Baukunst und Werkform, 1959, S. 156). Das französische Abgrenzungsbedürfnis gegen die Planer und Planungen der Zeit des Nationalsozialismus war letztlich nicht so groß, wie die rigide Haltung Monnets vom Jahresende 1946 nahelegt. „In vielen lothringischen Dörfern wurden die Neuordnungspläne aus den Kriegsjahren auch nach der Rückgliederung des Gebietes in den französischen Staat weiterhin als Planungsgrundlage für den Wiederaufbau verwendet“ (Jean-Louis Cohen/Hartmut Frank, Bd. III, Teil 1, S. 288). Stillschweigend wurden Konzepte der deutschen Planer übernommen. „Nicht nur unter der deutschen Besatzung, sondern auch unter der Vierten Republik erhält das regionalistische Bauen ausgedehnte Arbeitsfelder in den 1940 und 1944/1945 verwüsteten Kampfgebieten in Lothringen und im Elsaß. Die ,Libération‘ bedeutet außer der Tatsache, daß die aus dem Deutschen Reich gekommenen Architekten das Land verlassen mußten, keinen sehr tiefen Einschnitt. Deutsche und französische Architekten, die nacheinander im Sinne des Heimatschutzes bauen und dies erst im Auftrag eines Gauleiters, dann eines Präfekten bzw. Wiederaufbauministers tun, bedienen sich derselben Typologien und Materialien. So gibt es um 1950 im Rahmen des französischen Wiederaufbaus entstandene Bauernhöfe, die vom 1941 gebauten ,Erbhof‘ in der Nähe selbst für Experten mit hoher Detailkenntnis kaum zu unterscheiden sind“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 2, S. 631–632).

Planungskompetenzen und Organisationsstrukturen beim Wiederaufbau

Im Sommer 1940 war noch weitgehend unklar, welchen städtebaulichen, dorf- und landschaftsplanerischen Prinzipien der Wiederaufbau im Saarland und in Lothringen folgen würde und welche weiteren Architekten das Programm umsetzen sollten. Zwischen den einzelnen mit Wohnungsfragen befaßten Behörden und Institutionen begann schon im Frühjahr 1940 eine Auseinandersetzung um Richtlinienkompetenzen und Planungshoheit. Das Reichsheimstättenamt der DAF, das laut Führererlaß vom 15. November 1940 für den gesamten deutschen Wohnungsbau zuständig war, und seine Unterabteilung, die Heimstätte Westmark, waren zunächst ausschließlich am Wiederaufbau in der Saarpfalz interessiert, während die umfangreichen Bauaufgaben in Lothringen als Konkurrenz des DAF empfunden wurden, welche die eigenen Baumaßnahmen in der Saarpfalz hemmen würde.

Schließlich entschied die gerade erst in der Behörde des Reichsstatthalters neu eingerichtete Abteilung Bauwesen und Wiederaufbau (Wiederaufbauamt) unter Leitung von Architekt Clemens Weber in Saarbrücken (Schloßplatz 12) die Auseinandersetzung schon Anfang 1941 zu ihren Gunsten. Weber war seit 1. September 1940 zur Regierung des Saarlandes abgeordnet und wurde als Leiter des Wiederaufbauamtes verantwortlich für den Wiederaufbau an der Saar und in ganz Lothringen. Ihm waren im Bereich der Ortsplanung ab 1. September 1941 die Architekten Dr. Ing. Richard Döcker für den „Bezirk Saarpfalz“ und Prof. Walther Hoss für den „Bezirk Lothringen“ nachgeordnet. Beide waren, wiewohl aus Stuttgart kommend, Anhänger der Moderne. Hoss hatte bis dahin einige positiv beachtete Industriebauten realisiert, Döcker war der bekanntere von beiden und hatte sich mit dem Bau des Krankenhauses von Waiblingen einen Namen gemacht. Bei den Landräten der betroffenen sieben lothringischen und vier saarpfälzischen Kreise wurden außerdem insgesamt elf externe Abteilungen des Saarbrücker Wiederaufbauamtes eingerichtet. Jede Abteilung unterstand einem Leitenden Architekten. Beispielsweise war Prof. Rudolf Krüger der Leitende Architekt in den Kreisen Saarbrücken, St. Avold, zeitweise auch für Bolchen und Saaralben. In Absprache mit Behördenleiter Weber vergaben die externen Abteilungen die einzelnen Aufträge an private Architekten bzw. Ingenieurbüros, die dann als Ortsarchitekten tätig waren. Nahezu alle wichtigen Positionen beim Wiederaufbau in der Westmark wurden mit Spezialisten aus dem Reich besetzt, von denen etliche vorher bei der Neuordnung in den besetzten Ostgebieten tätig gewesen waren. Parallel zur Tätigkeit des Wiederaufbauamtes wurde die Gründung einer halbstaatlichen Siedlungsgesellschaft für das ländliche Bauen in der Saarpfalz vorbereitet. Die „Bauernsiedlung Saarpfalz G.m.b.H.“ mit den beiden Geschäftsführern Laubinger und Dipl. Landwirt Otto Jerratsch wurde am 22. August 1940 mit Sitz in Saarbrücken gegründet. Am 23. April 1941 wurde die Gesellschaft in „Bauernsiedlung Westmark G.m.b.H.“ umbenannt. Im Idealfall sollte die Wiederaufbauplanung als kooperative Aufgabe von Wiederaufbauamt, Landesbauernschaft und unter Mitsprache zahlreicher anderer Behörden durchgeführt werden, tatsächlich hatte jedoch das Wiederaufbauamt die alleinige Federführung. Daher entwickelten sich Rivalitäten zu bereits bestehenden Dienststellen des Reichsstatthalters wie z.B. zur Straßen- und Strombauverwaltung (zuständig für die gesamte Straßenplanung im Gau Westmark), deren Leiter Oberregierungs- und Baurat Schäffler sich vom Wiederaufbauamt übergangen fühlte. Das Wiederaufbauamt hatte auch Konkurrenz im eigenen Hause, so von Robert Lange, dem Gauwohnungskommissar und Leiter des Gauheimstättenamtes. Lange ließ beispielsweise 1941, unabhängig vom restlichen Wiederaufbauamt, Vorschläge für Geschoßwohnungen und Einfamilienhäuser erarbeiten, die in der Stadt Neunkirchen/Saar sowie den lothringischen Dörfern Wappingen und Machern auch umgesetzt wurden. Die Arbeiter-Bauernstellen in Wappingen und Machern wurden von der Heimstätte Westmark aufgrund einer Sondergenehmigung des Reichswohnungskommissars mit einer Dachneigung von 35% errichtet, dem für Lothringen typischen Flachdach. Die Errichtung dieser Bauten relativiert die spätere Behauptung führender Architekten des Wiederaufbaus in der Westmark, nur sie hätten mit Hausformen experimentiert, die im orthodoxen nationalsozialistischen Formenkanon nicht vorgesehen waren, und sich damit ständiger Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt.

Die Kompetenzen für den Wiederaufbau unter Kriegsbedingungen waren bis Sommer 1942 den Beteiligten entweder nicht klar oder gar nicht abschließend geregelt – diese organisatorischen Unwägbarkeiten waren wiederum eine Folge des Krieges, der keine zuverlässigen Aussagen über die auf Dauer verfügbaren Arbeitskräfte und das Ausmaß der Wiederaufbauarbeit zuließ. Bereits im Juli 1942 begann man auf Anordnung Bürckels und parallel zu den ersten Baustoppverfügungen die elf Außenstellen des Wiederaufbauamtes zusammenzulegen bzw. aufzulösen. Anfang März 1943 wurde ein Erlaß zur Einstellung der Siedlungsplanungen in der Westmark im Entwurf an die Fachbehörden verschickt; am 26. des gleichen Monats wurde per Verfügung die Arbeit des Wiederaufbauamtes Saarbrücken faktisch eingestellt. Es befaßte sich danach bis Kriegsende ausschließlich mit der Beseitigung von Bombenschäden an Straßen und Bahnlinien sowie Industriebetrieben.

Übertragung von Stadtplanung auf Dörfer

Das Thema Stadtplanung beherrschte seit den frühen 1930er Jahren die architektonische Diskussion in Deutschland. Beim Wiederaufbau im Saarland und in Lothringen wurden nun stadtplanerische Maximen auf das Dorf übertragen. Man folgte der schon in der Ausbildung der Architekten inhärenten Vorstellung von der Stadt als Maßstab architektonischer Gestaltung und bemühte sich im Vorfeld nicht um spezifische Vorgaben für Dörfer, obwohl es Ansätze dazu seit dem Ersten Weltkrieg gab. „Abgesehen von kleineren Projekten der Binnenkolonisation wie der Urbarmachung von Mooren oder der Eindeichung von Küstengebieten hatten sich in Deutschland seit Beginn dieses Jahrhunderts nur wenige namhafte Architekten oder ,Städtebauer‘ mit der Frage der Gestaltung ländlicher Siedlungen und ihrer Häuser beschäftigt. Dies änderte sich erst im Verlauf des 1. Weltkrieges und nach seinem Ende, als die großen Zerstörungen besonders in weiten Teilen Ostpreußens, aber auch in Elsaß-Lothringen einen planmäßigen Wiederaufbau erforderlich machten, an dem zahlreiche Architekten beteiligt waren […] In Ostpreußen war zum ersten Mal der ländliche Raum gezielt mit einer alle aktuellen Kenntnisse berücksichtigenden Planung überzogen worden […]“ (Cohen/Frank Bd. III, Teil 1, S. 185). In den frühen zwanziger Jahren hatte man in Schleswig-Holstein unter dem Eindruck moderner dänischer und anderer skandinavischer Bauten einzelne Bauernhäuser entworfen. Zu den Notverordnungen der Weimarer Republik zählte auch ein Kleinsiedlungsprogramm mit einer breiten Palette von Maßnahmen des sozialen Wohnungsbaus. „Zwischen 1918 und 1931 waren reichsweit ca. 42000 neue Siedlerstellen entstanden, mit deren Bau die Weimarer Regierung versuchte, die Landflucht einzudämmen und die Bevölkerungswanderung zu lenken. Das breite Spektrum der Siedlerstellen – für den ,Vollbauern‘ bis zum Haus des Landarbeiters – wurde geplant, gebaut und weiterentwickelt, es bildeten sich Trägergesellschaften für das ländliche Bauen, und es wurden mit der Einschaltung neugegründeter [sic!] ,Kulturämter‘ in den einzelnen Provinzen administrative Verfahren geschaffen, die später Vorbildcharakter auch für die ländliche Neuordnung in der Westmark besaßen“ (Ulrich Höhns in Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 185). Der NS-Staat übernahm das Kleinsiedlungsprogramm der Weimarer Republik und übertrug es auf strukturschwache Gegenden wie z.B. die Westpfalz. Einzelne theoretische Erörterungen zu dörflichem Wiederaufbau erschienen ab 1915 und befaßten sich mit dem Wiederaufbau in Elsaß-Lothringen und Ostpreußen. Bis in die späten 1930er Jahre folgten weitere einzelne Veröffentlichungen zum Thema Ländliches Bauen. Die weitaus meisten, der allein rund 100 Schriften, erschienen aber zwischen 1940 und 1942, und die meisten davon fußten auf den Erfahrungen in der Westmark.

Rationalisierung und Normierung im Wiederaufbau

Die Normierungsdebatte hatte in der deutschen Architektur bereits vor dem Ersten Weltkrieg im Deutschen Werkbund begonnen und war seither zum wichtigen Thema geworden. Die exponierten Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“ sahen in der Normung und industriellen Herstellung von Bauteilen einen Weg, den Wohnungsbau zu verbilligen. Walter Gropius befürwortete Normung und widersprach denjenigen, die einen Verlust von Individualität durch Normierung einklagten. „Erste wichtige, wissenschaftlich erarbeitete Ansätze zu einer Vereinheitlichung des ländlichen Hochbaus hatten mehrere von der – später von den Nazis aufgelösten – Reichsforschungsgesellschaft (RfG) 1928/1929 eingesetzte Arbeitsgruppen geliefert, die sich mit dem ländlichen Bauwesen und Möglichkeiten seiner Verbilligung befaßten“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 189). Die RfG veröffentlichte deren Arbeitsergebnisse in je einem Sonderheft zum Thema Kleinbauerngehöfte (1930) und Ausbaugehöfte (1931). Die Terminologie und Inhalte dieser Untersuchungen wurden auch nach 1933 zur Bauplanung für neue Bauernstellen benutzt. Rüstungsminister Albert Speer und in seinem Auftrag Ernst Neufert, ein früherer Gropius-Mitarbeiter, setzten diese Bestrebungen zu mehr Rationalisierung und Normierung fort und hatten sich zunächst gegen Vorwürfe der DAF zu wehren, die ihnen Gleichmacherei und baukulturelle Verarmung vorwarf. Die DAF und ihre Heimstättenämter fürchteten, durch diese Bestrebungen ihren Einfluß auf den Wohnungsbau zu verlieren. Anfang der 1940er Jahre hatte sich zumindest die Heimstätte Westmark genau die Argumente zu eigen gemacht und war nun ebenso wie das Wiederaufbauamt im Sinne der Kriegswirtschaft bemüht, den Bauvorgang zu rationalisieren und einzelne Bauteile zu normieren. Das Gauheimstättenamt richtete z.B. ein Archiv der „Landschaftsbauformen“ ein, worin etwa regionale Gehöftformen, Dachneigungswinkel und Fensterformen auf Karten erfaßt wurden, um anhand dieser Karten dann „Hauslandschaften“ festzulegen und auf dieser Basis die Normierungsbestrebungen mit regionalem Bezug voranzutreiben. Im Bereich der Normierung erweist sich also, daß die Architekten des Wiederaufbaus in der Westmark nicht so außergewöhnlich oder neuartig arbeiteten, wie von deren Seite nach 1945 behauptet wurde. Die Planungskompetenz für die Normierung und Rationalisierung beim Wiederaufbau der Westmark lag bei den dem Amtsleiter Clemens Weber direkt unterstellten Architekten Döcker und Hoss. Alle Bereiche des ländlichen Hochbaues sollten mit der von ihnen eigens geschaffenen „Wiederaufbau-Westmark-Norm“ vereinheitlicht werden, was sowohl die Herstellung der Bauteile für die Ställe und Scheunen als auch für den Wohnbereich in rationeller Massenfertigung ermöglicht hätte. Bei einigen tatsächlich gebauten Erbhöfen wurde im Stallbereich ein genormtes Stützensystem angewandt. Die „WAW-Norm war mehr als ein reines Zahlenwerk mit Vorgaben für den ländlichen Hochbau in dieser Region. Neben der Normung einzelner Bauteile wurde zugleich auch ein Typenprogramm für Bauentwürfe vorgelegt, das Rücksicht auf regionale Besonderheiten wie das Gelände, die Bodenstruktur und in begrenztem Ausmaß auch die lokale Bautradition nahm. In diesem Sinne entsprach die WAW-Norm weitgehend den Forderungen, wie sie von führenden Normungsbefürwortern der zwanziger Jahre aufgestellt und später dann von der RfG zusammengefaßt und weiterentwickelt worden waren“ (Cohen/Frank, Bd. III, Teil 1, S. 194).

Ziel all dieser Bestrebungen war und blieb die Verbilligung und Beschleunigung des Bauvorgangs sowie die Rationalisierung der Landwirtschaft durch Wirtschaftsbauten, in denen mehr und größere Maschinen Platz haben bzw. zum Einsatz kommen sollten. Dem entsprach in der Planung und Baupraxis der Westmark eine gesteigerte Aufmerksamkeit für die Stall- und Wirtschaftsbereiche eines Hofes, während man den Wohnbereich nachrangig behandelte. Mit diesem Ziel hatte die nationalsozialistische Baupolitik innerhalb weniger Jahre einen Schwenk um 180 Grad vollzogen, weg von den ersten, kaum maschinisierbaren Höfen für den „Reichsnährstand“ und hin zu maschinengerechten agrarwirtschaftlichen Betrieben.

Quellen und weiterführende Literatur

Cohen, Jean-Louis/Frank, Hartmut (Hg.), Les relations franco-allemandes 1940–1950 et leurs effets sur l’architecture et la forme urbaine. Projet de recherche commun 1986–1989 – Deutsch-französische Beziehungen 1940–1950 und ihre Auswirkungen auf Architektur und Stadtgestalt. Gemeinsames Forschungsprojekt 1986–1989, Abschlußbericht, unveröffentlichtes Manuskript, 3 Bde.

Höhns, Ulrich, „Eine tiefe innere Scheu vor dem rechten Winkel“ – Ländlicher Wiederaufbau in Lothringen um 1942, in: Hudemann, Rainer/Wittenbrock, Rolf (Hg.), Stadtentwicklung im deutsch-französisch-luxemburgischen Grenzraum (19. und 20. Jahrhundert). Développement urbain dans la région frontalière France-Allemagne-Luxembourg (XIXe et XXe siècles), Saarbrücken 1991, S. 325–328.

Krebs, Gerhild, Geschichte des Köllertals 1918–1948. Die Dörfer Köllerbach und Püttlingen, Manuskript.

Seck, Doris, Saarländische Kriegsjahre. Es begann vor 40 Jahren, Saarbrücken 1979, 7. Auflage 1986 (Saarländische Kriegsjahre, Bd. I).

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 51 (Gersheim), 52 (Reinheim), 81 (Bebelsheim), 83 (Ormesheim), 124 (Biringen).

Wolfanger, Dieter, Die nationalsozialistische Politik in Lothringen, Diss., Saarbrücken 1977.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.