Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Oranna-Kapelle, Berus

Orannastraße, Berus/Überherrn

Baugeschichte

Die Oranna-Kapelle ist eine Grabkirche, die an der Stelle des einstigen Pfarrortes Eschweiler auf dem Beruser Bann steht. Die ältesten erhaltenen Teile der Kapelle im Bereich des Chores stammen aus der Zeit um 1230. Der Kapellenbau, der im Laufe der Jahrhunderte mehrfach zerstört und wiederaufgebaut wurde, geht zurück auf die Eschweiler Pfarrkirche St. Martin. Die Pfarrei Eschweiler war nach dem 6. Jahrhundert gegründet worden, der Pfarrort wurde jedoch von Truppen des Metzer Bischofs etwa 1325 oder 1337 zerstört. Bis 1220 hatte die Pfarrei Eschweiler zum Patronat des Ritters Marsilius aus Lisdorf gehört, danach bis 1793 zur Grundherrschaft des Klosters Wadgassen. Zur Pfarrei, die nun nach ihrem wichtigsten Ort als Pfarrei Berus bezeichnet wurde, gehörten bis 1750 unter anderem die Orte Altforweiler, Bisten, Felsberg, Neuforweiler. Ab 1750 bildeten die einzelnen Orte eigene Pfarrgemeinden, mit Ausnahme von Altforweiler, das erst 1920 eine eigene Pfarrei erhielt. Die Verehrung von Oranna entstammt der Verehrung zweier Frauen, die unter dem gemeinschaftlichen Namen Oranna (Oranda) oder auch unter den Namen Oranna und Cyrilla angebetet werden und in der Kapelle in einem einzigen Sarkophag bestattet waren. Ihnen wurden von jeher wundertätige Heilungen bei Kopfschmerzen und Ohrenleiden zugeschrieben. Der bereits jahrhundertelang etablierte Brauch erhielt im Spätmittelalter erheblichen Auftrieb, als der Metzer Weihbischof am 3. Mai 1480 zwecks kircheninterner Prüfung der Berechtigung der Wallfahrt unter Anwesenheit einer großen Volksmenge den Sarkophag in der Kapelle öffnete und dabei tatsächlich zwei Frauenskelette gefunden wurden. 1719 wurden die Gebeine in die Stadtkirche von Berus überführt, was zu einer Verlagerung der Wallfahrt nach Berus und zur baulichen Vernachlässigung der Oranna-Kapelle führte. Während der Französischen Revolution wurde der Orannenschrein zeitweise in einer Felsspalte im Wald versteckt. Die Oranna-Kapelle wurde versteigert, und obwohl die staatliche Auflage bestand, die baufällige Kapelle sofort abzureißen, wurden unter den ersten beiden Besitzern Josef Dalstein (Altforweiler) und Wilhelm Koenens (Bisten) weiterhin Gottesdienste abgehalten. Auf die Anzeige eines Revolutionsanhängers hin, die Kapelle sei Treffpunkt religiöser Klubs, wurde das Dach eingerissen.

In den folgenden Jahren wurde die Kapelle sehr baufällig; 1814 erfolgte ein Aufbau mit Spendengeldern, der jedoch die baulichen Mängel nicht hinreichend behob, denn 1829 war die Kapelle erneut einsturzgefährdet und die Gottesdienste wurden vom Trierer Bischof untersagt – seit 1821 gehörte die Pfarrei Berus nicht mehr wie während der Jahrhunderte zuvor zum Bistum Metz, sondern war nun dem Bistum Trier angegliedert. Im gleichen Jahr wurde die Kapelle dauerhaft wiederhergerichtet. Der 1829 hergestellte bauliche Zustand besteht im Wesentlichen bis heute. Die gesamte Inneneinrichtung wurde bei einem Angriff 1940 zerstört, während das gotische Gewölbe standhielt. Im Sommer 1946 wurde das Gebäude renoviert sowie die Quelle als Oranna-Brunnen mit einer Figur von Martin Fröhlich aus Bous neu gefaßt. Die Reparatur umfaßte Fenster, Inneneinrichtung, Arbeiten am Mauerwerk und Dach, wobei ein neuer Dachreiter mit Glocke angebracht wurde. Am Ostersonntag 1946 erfolgte die Neuweihe durch den Trierer Erzbischof Dr. Franz Rudolf Bornewasser.

Regionalhistorischer Kontext

Der christlichen Überlieferung nach stammte Oranna aus dem iro-schottischen Adel und kam mit ihrer Gefährtin, die erst Jahrhunderte später als Cyrilla bezeichnet wurde, im 6. oder 7. Jahrhundert in einer missionarischen Gruppe in den Saar-Mosel-Raum. Die beiden Heiligen, meist in einer Person als Heilige Oranna angebetet, sind seit der Christianisierung die Schutzheiligen Lothringens, des Saar- und Moselraumes. Insbesondere wird Oranna seit jeher im Grenzraum des Saargaues und Deutsch-Lothringens verehrt, d.h. des deutschsprachigen Grenzraumes bis etwa Bolchen (Boulay-en-Moselle) und Busendorf (Bouzonville). Die Grabkirche war schon im Frühmittelalter das Wallfahrtsziel vieler regionaler Pilgerinnen und Pilger. Der Beruser Schulneubau von 1961 wurde nach Oranna benannt. Bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg blieb in der katholischen Bevölkerung des Grenzraumes der Name Oranna ein traditioneller Mädchenname. Das nahe Berus, 1235 erstmals urkundlich erwähnt, war über weite Strecken seiner Geschichte lothringisch. Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges wurde die „Stadt auf dem Berg“ mehrmals belagert, besetzt und verwüstet, dabei wurden alle Wohnhäuser, Burg Scharfeneck und das erst errichtete Renaissanceschloß (16. Jahrhundert) des Architekten Jakob Lux bis auf das noch heute vorhandene Torhaus und das Bannhaus von 1580 zerstört. Berus konnte nicht mehr an die Vorkriegszeit anknüpfen und wurde zum Dorf.

Daß die Kapelle während der Französischen Revolution wegen Baufälligkeit im Zuge der antichristlichen Tendenzen der Revolution abgerissen und damit als Zentrum einer etablierten und kirchlich gebilligten Pilgertradition entfernt werden sollte, spiegelt auch die Sorge der französischen Revolutionäre und ihrer Anhänger im Saarraum vor einer Gegenrevolution wider. Der Oranna-Kult erlebte im 20. Jahrhundert einen Aufschwung im Zusammenhang mit den drohenden oder bereits begonnenen Weltkriegen. Er drückte sich besonders in zwei Musikstücken aus. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg schrieben in Metz-Queuleu die Lehrer Theodor Lerond aus Kochern bei Forbach und Michael Zurluth aus St. Johann bei Zabern (Saverne) das sogenannte Orannenlied auf Bitten der gläubigen Ehefrau des in Queuleu beschäftigten Hauptlehrers Beining. Das Orannenlied wurde seit seinem ersten öffentlichen Vortrag 1918 fester Bestandteil der Wallfahrt nach Berus. 1944/1945 schrieb der Verleger Hans Hausen (Saarlouis) zwei weitere Strophen zu dem Lied, zu dem heute sechs Strophen gehören. Hausens Verlag hatte während des Saarabstimmungskampfes deutsch-nationale Propaganda publiziert. Verschiedene Elemente des Orannaliedes kehren in der Orannamesse wieder, die der Domkapellmeister von Luxemburg, J. P. Schmidt, 1942 auf Bitten des Beruser Pastors Kornelius komponierte. Die Messe wurde erst nach Kriegsende vollendet und am Orannatag 1952 uraufgeführt. Der Oranna-Kult blieb eine weitgehend in der Volksfrömmigkeit verwurzelte Tradition. Die jährliche Wallfahrt am dritten Sonntag im September verbindet seit Jahrhunderten die Gläubigen im Grenzraum, und die Grabkirche von Berus verkörpert bis heute einen Bereich positiver Beziehungen zwischen dem Saarland und Lothringen.

Oranna-Kult in der nationalsozialistischen Propaganda (1934)

Die nationalsozialistischen Propagandisten im Saarabstimmungskampf (1933–1935) versuchten, die grenzüberschreitende Bedeutung des Oranna-Kultes zu instrumentalisieren: 1934 wurde zusätzlich zur Kapelle in der Nähe ein 28 m hoher Hindenburgturm errichtet, den man zunächst als „St. Oranna-Turm“ bezeichnete. Der Grund für diese religiöse Tarnbezeichnung war, daß die Errichtung von Hindenburgtürmen eine enge politische Verbindung zur nationalsozialistischen Herrschaft darstellte und man Sanktionen seitens der Internationalen Regierungskommission des Saargebietes umgehen wollte.

Nach Reichspräsident Hindenburgs Tod 1934 wurden im Reich zahlreiche Hindenburg-Türme errichtet – so auch im damaligen Saargebiet. Am 24. Juni 1934 wurde in Berus der Grundstein zu dem Aussichtsturm gelegt, der am 13. Januar 1935 in Hindenburgturm umbenannt und am 1. März 1935 der Öffentlichkeit übergeben wurde – genau am Tag der offiziellen Feiern zur Rückgliederung der nun Saarland genannten Region an das Deutsche Reich. Als symbolischer Anspruch auf das nahe lothringische und luxemburgische Moselland manifestierte der Hindenburgturm das aggressive Potential der nationalsozialistischen Ideologie. Sein Bau direkt in Grenznähe stellte aber vor allem eine politische Provokation für Frankreich dar, denn schon im optischen Überblick über das Grenzland, insbesondere über den deutschsprachigen Grenzraum bis etwa Bolchen (Boulay-en-Moselle) und Busendorf (Bouzonville), symbolisierte man unverhüllt einen territorialen Anspruch auf die seit 1918 wieder zu Frankreich gehörende Region. Der Turm entwickelte sich zu einem der beliebtesten Ausflugsziele der Region, so daß 1936 ein Gasthaus angebaut wurde. Bereits am 23. September 1939 demontierten jedoch die Nationalsozialisten ihr eigenes Werk. Der Turm wurde abgerissen, um der französischen Artillerie keinen Orientierungspunkt zu bieten – ebenso wie das Winterbergdenkmal in Saarbrücken und der Gollenstein, ein großer Menhir bei Blieskastel.

Quellen und weiterführende Literatur

Buchleitner, Hans Peter, Kultureller Wiederaufbau im Saarland 1945–1955, Bd. 1: Kirchlicher Wiederaufbau in der Landeshauptstadt wie in den Kreisen Saarlouis und Merzig-Wadern, Saarbrücken 1955, S. 44f.

Gemeinde Berus (Hg.), Berus. Eine kleine Heimatgeschichte, Kirchheimbolanden o.J. [zwischen 1964 und 1974].

Gemeinde Überherrn (Hg.), Geschichte und Sehenswürdigkeiten, Überherrn o.J. [nach Januar 1998].

Reclams Kunstführer Deutschland, Bd. 6 (Rheinland-Pfalz und Saarland), 8. Auflage, Stuttgart 1990, S. 384 und 498.

Saarbrücker Zeitung, 4. November 1953, Artikel von Elmar Zillgen.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.