Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Roger Seimetz

Centre Culturel Kulturfabrik

Alter Escher Schlachthof, 116, Rue de Luxembourg, Esch-sur-Alzette

Baugeschichte

Trotz massiven Protests seitens der Fleischerinnung beschloß der Escher Gemeinderat 1885 (der Kantonalhauptort Esch war gerade zur Stadt erhoben worden) den Bau eines öffentlichen Schlachthofs, der Wasserevakuierung wegen 800 m außerhalb des (damaligen) Stadtareals; er wurde 1886 eröffnet. Architekt: Alphonse Kemp.

Baugestalt

Eklektizistisches Beispiel der Architektur des späten 19. Jahrhunderts mit Spuren schlichten Jugendstils. Es ist eine gelungene Verbindung zweier Bauepochen: die sachliche Formensprache der zwanziger Jahre, ohne auf klassische Elemente zu verzichten. Jedes der fünf Gebäude hatte entsprechend seinem Zweck eine unterschiedliche Form und Größe. Vor dem Zweiten Weltkrieg waren es deren zehn, großhallige oder zweigeschossige, überwiegend aber eingeschossige Putzbauten mit ausgewogener architektonischer Gliederung. Märkte wurden seit 1934 regelmäßig in den Höfen abgehalten. Für die Anlage des Baues als Idealtyp spricht die Kombination der Konstruktionsprinzipien. Mit Hilfe der Größendimensionierung werden die Baukörper hierarchisch geordnet. Als Ordnungsprinzip dient die Längsachse, welche zwei Fronteingänge besitzt und auf der Schlacht- und Fleischerräume unterschiedlich formal aufgereiht sind (zur Luxemburgerstraße hin mit Pförtnerloge abgerundet; der Mittelrisalit trägt immer noch den segmentförmigen Giebel mit der Aufschrift „Abattoir Municipal“); Rhythmisierung geschieht durch Höhen- und Größenstaffelungen. Die angestrebte, nicht immer formgerechte symmetrische, eher asymmetrisch verwirklichte Gliederung des Bauraums enthält Elemente aus proletarischen wie aus bürgerlichen Bautraditionen, die sich historistisch mehr oder weniger deutlich abzeichnen und zu einer Art internationalem Stil vereinen. Der Arbeiter wird zum Kulturträger, die Arbeit zum (architektonischen) Kunstwert, nur zu neuem Stil reicht die Kraft noch nicht. Der Schlachthof lebt aus dem Fundus der Kunst- und Architekturgeschichte.

Alte Anlage: Schlächterei, Pökelhalle, Weichteilraum, Eislager, Eisfabrikation, Kaldaunenwäsche, Laboratorium, Verwaltung und Pförtnerhalle.

Neue Anlage: + Häutezellen, Verbrennungsofen, Abhängeraum, Garten.

Kulturzentrum: u.a.: Konzert- und Theaterhalle: 800 Plätze; Theaterraum: 150 Plätze, Kino: 100 Plätze.

Bauliche Veränderung

Infolge des ungeheuren Wachstums der industriellen Stahlproduktion und der Escher Einwohnerzahl (starke Immigration) seit 1900, wurde der Schlachthof zwischen 1912 und 1939 (wegen Geldmangel notdürftig zwischen 1912 und 1925, speziell zwischen 1929 und 1934 – alte Gebäude wurden modernisiert) vergrößert und umfaßte nun zehn Gebäude und eine Fläche von 4000 m². Erste (geplante) Modernisierung 1909, Stadtarchitekt Paul Flesch, nicht ausgeführt; Um- und Erweiterung: 1929, Stadtarchitekt Isidor Engler, Ingenieur Marcel Steffes.

Nutzung und Umnutzung

Vom Schlachthof (Schließung Ende der siebziger Jahre) zum Kulturzentrum: erste kulturelle Besetzung 1979; junge Schauspieler und ein Sekundarschullehrer wandeln das frühere Kühllager zum theatralischen Bühnenkunstforum um, als Hausbesetzer; 1982: „Theater GmbH“; im Laufe der achtziger Jahre kommen Künstler anderer Kunstsparten hinzu, besetzen weitere Gebäude und funktionieren den Schlachthof in ein Kulturzentrum um – 1983: Musik und Theater; die „Kulturfabrik Alter Escher Schlachthof“ wird gegründet; 1984 Konzert- und Theaterhalle und Probenräume werden installiert; 1984: KINOSCH/nicht kommerzielles „Kino Esch“, Dokumentar-, Kunst- und Kinderfilme; im Sommer 1984 werden Innen- und Außenwände frisch gestrichen. November 1993: Kulturplanstudie, Krefeld. Architekten der Umnutzung des Schlachthofs in ein Kulturzentrum (1997): Jim Clemes, Christian Bauer; Vertreter des Bauträgers (Gemeinde Esch): S. Goedert. Die vorhandene Gebäudestruktur wurde in ein Kulturzentrum umgebaut mit Ausstellungsraum, Theater- und Konzertsälen, Probenräumen, Künstlergastwohnungen, Kino, Verwaltungsbüros, Werkstätten, Lagerräumen sowie Bistro- und Restaurantkomplex.

Am 15. Januar 1997 beginnen die Umbauarbeiten im Rahmen des im März 1994 beschlossenen DOCUP-FEDER-Programms und mit Unterstützung der EU, des Kulturministeriums und der Gemeinde Esch. Abschluß der ersten Bauaurbeiten: Mai 1998.

Eröffnung als Centre Culturel Kulturfabrik: 2. Oktober 1998; Kunstgalerie „Terre Rouge“ hat am 15. September 2000 geöffnet.

Historischer Zusammenhang

Konstruktionsarbeiten wurden in Zusammenarbeit mit (vorwiegend italienischen) Immigranten durchgeführt. Die Kulturfabrik lockt ein überregionales Publikum aus der Grenzregion Lothringens, teilweise auch des Saarlands an (Saarländische Kulturtage). Interregionale und internationale Theaterproduktionen mit renommierten deutschen und französischen Schauspielern; Gastspiele (z.B. Peter Brook) sowie interregionaler und internationaler Künstleraustausch.

Denkmalwert

Prädikat: Industriearchäologie, besonders wertvoll.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.