Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Grube de Wendel (Carreau Wendel)

Musée du Carreau Wendel, Petite-Rosselle (Kleinrosseln)

Begründet von dem lothringischen Stahlindustriellen François de Wendel aus Stiring-Wendel (Stieringen), wurden ab 1866 in Petite-Rosselle (Kleinrosseln) die Schachtanlagen Wendel und Vuillemin abgeteuft. Später gehörte die Grube zur Kommanditgesellschaft „Les petit-fils de F. de Wendel“ mit Sitz in Hayange, die das Stiringer Unternehmen allmählich übernommen hatte. Von den Grenzwechseln in der Region war das Unternehmen „De Wendel“ über Jahrzehnte immer von neuem betroffen. Entsprechend dem sukzessiven Ausbau zeigt das bis heute teilweise erhaltene Ensemble alle Industriebaustile seit der Gründerzeit. 1929 wurden die Kohlenwäschen I und II von 1891 neu errichtet. Ihre Kapazität wurde bis 1970 insgesamt neunmal erweitert. Bis 1945 gab es in Lothringen wie in ganz Frankreich nur private Bergwerksgesellschaften, sie alle waren Tochterunternehmen der Eisen- und Stahlkonzerne auf dem stark umkämpften europäischen Markt. Nun wurde der Regierungskonzern Charbonnages de France mit den Houillères du Bassin Lorrain (HBL) als regionalem Ableger gebildet. Durch die Nationalisierung der Energiewirtschaft in Frankreich rückte die Grube de Wendel nach 1945 zu einem der großen Industriestandorte des Monnet-Plans auf. Der Monnet-Plan, benannt nach dem ersten Leiter des Commissariat au Plan und späteren ersten Präsidenten der Montan-Union Jean Monnet (1888–1979), sah den systematischen Wiederaufbau der kriegsgeschädigten französischen Schwerindustrie und ihre Modernisierung vor. Der Plan zur Investitionslenkung definierte die Schwerindustrie als zentralen Bestandteil der nationalen Politik, daher sollte ihre Modernisierung in dauerhafter, technisch optimaler Form erfolgen. Zu den im Plan vorgesehenen Maßnahmen zählte unter anderem die Einrichtung eines grubeneigenen Kraftwerks mit 65000 Volt Leistung in Petite-Rosselle – Spiegel der Schlüsselrolle der Kohle beim Wiederaufbau der regionalen französischen Stromindustrie nach 1945. Bald aber war die Grube de Wendel bereits von den Rezessionen der Energiewirtschaft betroffen, was sich unter anderem in Kürzungen beim Bauetat ausdrückte. Beispielsweise gab man nach der ersten Rezession (1949–1950) den geplanten Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes auf. Bald nach dem Krieg zeichnete sich damit ab, daß die Ziele des ersten Monnet-Planes auf Dauer nicht voll umsetzbar sein würden. Dennoch hielt man zunächst am Planungsrahmen für diesen Bereich fest. Die völlige Modernisierung und enorme Standortausweitung sollten innerhalb von zehn Jahren die Produktivität verdreifachen. Der Plan wurde zum Teil noch umgesetzt: Die drei bestehenden Schächte Wendel I–II und Vuillemin I wurden modernisiert, der neue Schacht Wendel III wurde 1952 fertiggestellt und 1958 eine dritte Kohlenwäsche gebaut. Insgesamt wurden 1,5 Millionen Kubikmeter Sand bewegt, um unter Tage als Schwemmversatz (Verfüllmethode zur Schließung der Hohlräume abgebauter Flöze, der sogenannten Alten Männer) zu dienen. In den 1960er Jahren produzierte allein der Schacht Wendel III bereits ca. 5000 Tonnen Kohle pro Tag – und kollidierte gerade durch diese hohe Produktivität mit dem weltwirtschaftlich bedingten Niedergang des Steinkohlenbergbaus ab 1960.

Nach 1960 wurden die Kohlenwäschen I–II modernisiert, wobei nicht nur die technische Ausstattung, sondern auch verschiedene Gebäudeteile umgebaut und dadurch das Aussehen des Gebäudes von 1929 völlig verändert wurde. War die Belegschaft in den 1960er Jahren bis auf 5000 Bergleute und rund 900 weitere Beschäftigte angewachsen, wurde nun jedoch sukzessive Personal abgebaut. 1986 wurde die Grube geschlossen und das Gelände steht heute unter Denkmalschutz. Mittlerweile werden die noch vorhandenen Gebäude kulturell genutzt. 1988 überließ die HBL die Nutzung der Gebäude und des Geländes dem Verein Centre de Culture Scientifique, Technique et Industrielle (CCSTI), der begann, es zum regionalen Grubenmuseum und industrietouristischen Zentrum auszubauen. Das Museum soll „zum Ort des Gedächtnisses an die Sozial- und Industriegeschichte dieses Reviers und zu einem Ort der Reflexion über seine Zukunft werden.“ (Sander, S. 75) Zum CCSTI gehören neben rund 30 Unternehmen etwa 120 Personen, darunter viele ehemalige Bergleute, die ihre Berufserfahrung bei der Einrichtung des Museums einbringen. Heute untersteht das Grubengelände, auf dem das CCSTI weiterhin tätig ist, einem öffentlichen Zweckverband der Distrikte Forbach und Freyming-Merlebach. Im Auftrag des Zweckverbandes ist seit einiger Zeit ein Conservateur en Chef für die museale Gestaltung wie für das Management des Standortes im Rahmen neuer Ansiedlungsbestrebungen zuständig.

„Selbst wenn der alte Schacht ,Wendel I‘ nur noch mit seinen Fundamenten besteht, werden doch die Entwicklungsphasen der Grube durch die unglaubliche Ansammlung unterschiedlichster Gebäudetypen nachvollziehbar: der Schacht Vuillemin II, das Maschinenhaus der Kohlenwäsche III, die Architekturkollage der Kohlenwäsche I–II... Jedes dieser Gebäude verdeutlicht die großen Abschnitte der Geschichte des Kohlebergbaus im Laufe der ,zweiten Industrialisierung‘“ (Sander, S. 75).

Quellen und weiterführende Literatur

Mioche, Philippe, Le Plan Monnet, Paris 1987.

Sander, Michael u.a., Das Projekt des Museums des Lothringer Kohlenreviers im Wendelschacht über „Die Kultur der Arbeit“ im Jahre 2000, in: ZeitRisse 4/1999, S. 74–79.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.