Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Ehemalige „Braune Häuser“ im Saarland

Wohn- und Geschäftshaus Völklingerstraße 1, Püttlingen; Naturfreundehaus Kirkel, Limbacher Weg 8, Kirkel

Die flächendeckende Beschlagnahmung von Haus- und Grundeigentum der Freien Gewerkschaften und anderer Einrichtungen der politischen Arbeiterkultur war eine der ersten Maßnahmen der nationalsozialistischen Regierung, die zum 1. März 1935 die Regierungsgewalt an der Saar übernahm. Die Beschlagnahmung war ohne große Gegenwehr möglich, da die meisten aktiven Vertreter der Einheitsfront zu diesem Zeitpunkt bereits im nahen Frankreich im Exil waren. Zu den beschlagnahmten Gebäuden und Gebäudeteilen zählten Landes- und lokale Büros der beiden linken Landesparteien, der Arbeiterwohlfahrt, der Roten Hilfe (soziale Organisation der KPD) sowie die gesamten Freizeiteinrichtungen: Arbeitersportstätten, Heime der Naturfreunde, der Arbeitergesangvereine und der Partei-Jugendorganisationen. Die Mitglieder der Arbeiterorganisationen wurden anhand einer Verdächtigenkartei der Gestapo verfolgt, die Anfang 1935 bereits rund 12000 Namen umfaßte. Nach dem Waffenstillstand von 1940 wurden die Verfolgungen auf Frankreich ausgedehnt. Die Betroffenen hatten schwerwiegende Probleme im Alltagsleben (z.B. Verlust des Arbeitsplatzes und der Wohnung), wurden verhaftet und verhört, viele kehrten nie aus den Gefängnissen und Lagern zurück. Manche kamen zwar nach dem Krieg wieder, doch waren sogar ihre privaten Wohnhäuser enteignet worden. Eine Rückgabe oder angemessene Entschädigung zu erzielen, erwies sich oft als schwierig, bisweilen gar als unmöglich. Die enteigneten Gebäude im Saargebiet, das nunmehr Saarland genannt wurde, wurden ab 1935, wie im restlichen deutschen Reich seit Mai 1933 geschehen, zu lokalen Parteizentralen, HJ-Heimen, Zentralen der Deutschen Arbeitsfront (DAF), nationalsozialistischen Freizeiteinrichtungen oder anderen Zwecken umfunktioniert. Für die früheren Gewerkschaftshäuser und lokalen Parteibüros der linken Parteien bürgerte sich der Name „Braune Häuser“ ein. Eine flächendeckende Untersuchung der Enteignungsvorgänge im Saarland und der Fortsetzung der Verfolgungen im von den Saarländern bevorzugten Exilland Frankreich fehlt bislang, doch sind die Ereignisse für verschiedene Orte in Umrissen bekannt und für Püttlingen, damals ein großes Dorf des inneren Industriereviers, genauer erforscht.

Naturfreundehaus und Arbeiterwohlfahrt-Ortsgruppe Kirkel

Stellvertretend für die Heime der Naturfreunde, einer der SPD nahestehenden Freizeitorganisation, sei das Heim der Ortsgruppe Kirkel genannt, die bereits seit 1925 bestanden hatte. Das Heim mußte 1935 an die lokale NSDAP übergeben werden. Dabei wurden alle Akten und Unterlagen der Ortsgruppe der Arbeiterwohlfahrt (AWO) verbrannt. Die lokale Gruppe der Naturfreunde, zuvor eine der aktivsten im östlichen Saargebiet, wurde zerschlagen. Erst 1956 gründete sich die lokale AWO-Gruppe unter Vorsitz von Olga Hussong erneut. Hussong blieb Vorsitzende bis zu ihrem Tode 1969, die Ortsgruppe ist bis heute aktiv. Die Naturfreundegruppe wurde ebenfalls wieder gegründet und bewirtschaftet bis heute ihr Haus.

Das Püttlinger Volkshaus und seine Betreiberfamilie Altmeyer

Das Volkshaus in Püttlingen war ein Versammlungszentrum mit Gastwirtschaft im Besitz des freigewerkschaftlichen Bergarbeiterverbandes (BAV). Es wurde seit 1932 und während des Abstimmungskampfes 1933–1935 von Georg Altmeyer und Katharina Altmeyer geb. Grün betrieben; die Töchter Maria und Agnes halfen im Betrieb. Der an Rheuma erkrankte Georg Altmeyer, ursprünglich Bergmann und Gewerkschaftsvertreter, war seit den 1920er Jahren für die SPD im Gemeinderat und dort als Fraktionsführer tätig. Die Söhne Josef und Johann waren ebenfalls aktive Gewerkschafts- und SPD-Mitglieder. Georg Altmeyer war 1932–1935 ehrenamtlicher zweiter Beigeordneter der Bürgermeisterei Püttlingen. Das Volkshaus war bis zum Abstimmungskampf ein Ort der Geselligkeit für alle gewesen, die sich zu den Gewerkschaften, der politischen Arbeiterbewegung und der Sozialdemokratie bekannten. Während des Abstimmungskampfes wurde es zunehmend schwieriger, dort ungestört Versammlungen abzuhalten. Im Volkshaus war jetzt ein Büro untergebracht, wo man Einsprüche gegen die Abstimmungslisten einreichen konnte; dort war Josef Altmeyer tätig. Das Büro meldete Betrugsversuche lokaler Anhänger der Nationalsozialisten wie z.B. falsche Einträge in die Abstimmungslisten an die Abstimmungskommission (Gremium des Völkerbundes zur Vorbereitung der Abstimmung, in Saarbrücken ansässig), was Josef Altmeyer den Haß der Püttlinger NS-Anhänger eintrug. Im Volkshaus fanden bis zur Abstimmung außerdem einige Emigranten aus dem Reichsgebiet Zuflucht. Am 16. Januar 1935, dem Tag nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses, kamen – wie Frau Maria Altmeyer sich erinnert – mehrere Nationalsozialisten in das Lokal des Volkshauses, gaben politische und persönliche Beleidigungen von sich, einer von ihnen bedrohte mehrere Mitglieder der Familie Altmeyer mit einer Handfeuerwaffe. Am gleichen Tag folgten Sachbeschädigungen am Haus und Morddrohungen, was Josef Altmeyer bereits an diesem Tag zur Emigration veranlaßte. Einige Wochen wohnte die Familie noch in Püttlingen, hatte aber keine Erwerbsgrundlage mehr und war ständig weiteren Belästigungen und Bedrohungen ausgesetzt. Schließlich emigrierte die Familie am 18. Februar 1935 nach Frankreich. Danach okkupierte die lokale NSDAP das Volkshaus und die DAF nutzte es unter der für DAF-Häuser üblichen Bezeichnung „Haus der Arbeit“. Zur Zeit des Westwallbaues wurde dort eine größere Gruppe von Westwallarbeitern untergebracht. Das Gasthaus führte zu dieser Zeit den Namen „Münchner Kindl“. Unter einem Vorwand enteignete und versteigerte die Gemeinde Püttlingen im Jahre 1936 das private Wohnhaus der Familie Altmeyer (damalige Derlerstraße 43). Bis Kriegsbeginn lebten die Altmeyers unbehelligt in Tours (Departement Indre-et-Loire). Sohn Josef heiratete eine geborene Morel (Vorname unbekannt) aus St. Symphorien-lès-Tours, ein Sohn François Georges kam 1937 zur Welt. 1939 wurden das Ehepaar Altmeyer-Grün und die beiden Töchter als feindliche Ausländer interniert, die beiden Söhne zum französischen Militär eingezogen. 1940 fand sich die Familie wieder zusammen. Mitte Oktober bzw. im November 1941 wurden die Söhne von der Gestapo verhaftet und Anfang 1942 vom Reichskriegsgericht Berlin zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Anfang Februar 1942 wurden Katharina Altmeyer-Grün und ihre Töchter von der Gestapo zeitweise verhaftet, ihr Mann Georg erhielt wegen seines schlechten Gesundheitszustandes Haftverschonung. Im Zuge eines Verfahrens vor dem Reichskriegsgericht brachte man alle vier zwangsweise nach Püttlingen zurück. Die nach dem Krieg mühselig erstrittene Entschädigung deckte nur einen Bruchteil der Baukosten des enteigneten Privathauses und seines gestiegenen Wertes. Eine angemessene Entschädigung ist bis heute nicht erfolgt. Das ehemalige Volkshaus und spätere Haus der Arbeit ist heute ein Wohn- und Geschäftshaus. An seine Geschichte und das Schicksal der Familie Altmeyer erinnert in Püttlingen bis heute nichts.

Regionalhistorischer Kontext

Die Enteignungen von Haus- und Grundstückseigentum der Gewerkschaften bzw. linken Parteien sowie teilweise auch des Privateigentums der jeweiligen Funktionäre hatten mehrere Zwecke: zunächst die gewaltsame materielle Enteignung der gewerkschaftlichen Arbeiterkultur an der Saar, die im Reich bereits erfolgt war – der NS-Staat hatte dabei ein beträchtliches Vermögen an Geld und Grundbesitz erbeutet. Im Falle der privaten Enteignungen war es außerdem eine politische Bestrafung einzelner Menschen und Familien dafür, daß sie ihre politische Überzeugung aktiv vertreten hatten, und zugleich als abschreckendes Beispiel für andere gedacht, die sehen sollten, wie sich Engagement in der Arbeiterbewegung auswirkte. Außerdem sollte durch die Enteignungen die gewerkschaftliche, sozialdemokratische und kommunistische Arbeiterkultur ideell ausgelöscht, alle ihre Spuren aus dem Gedächtnis der Menschen, ja die ganze Bewegung und ihre zum Teil jahrzehntelange Geschichte getilgt werden. Die deutsche Arbeiterschaft hatte sich künftig zwangsweise in die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) einzupassen. Die korporatistische Wirtschaft im NS-Staat hatte mit der Gewerkschaftstradition nichts gemein. Die Auslöschung der Erinnerung an die Arbeiterkultur an der Saar ist teilweise gelungen: Die Freien Gewerkschaften und die meisten Organisationen der politischen Arbeiterkultur an der Saar verfügen heute nur noch in Einzelfällen über die Akten und Unterlagen aus der Zeit vor 1935. Teilweise vernichteten die Verantwortlichen der Organisationen die Unterlagen damals selbst, um sie nicht den Nationalsozialisten ausliefern zu müssen. Wenn die Akten doch in deren Hände gerieten, wurden sie an die Gestapo weitergeleitet und benutzt, um Mitglieder der Organisationen zu verfolgen, anschließend aber vernichtet. So geschah es beispielsweise mit der AWO-Ortsgruppe Erbach-Reiskirchen (Homburg): Aufgrund der erbeuteten Unterlagen wurden die Mitglieder verfolgt, zwei davon verhaftet, einer von ihnen kam ins Konzentrationslager.

Quellen und weiterführende Literatur

Arbeiterwohlfahrt, Landesverband Saarland e.V. (Hg.), 60 Jahre Kreisverband Saar-Pfalz-Kreis 1928–1988, 24. September 1988, Homburg 1988 (unpaginiert), dort Ortsverein Kirkel, Ortsverein Erbach-Reiskirchen.

Herrmann, Hans-Walter (Hg.), Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935–1945, Bd. 2, Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard, Herrschaft und Alltag. Ein Industrierevier im Dritten Reich, Bonn 1991, dort Kapitel IV 2–4.

Krebs, Gerhild, Geschichte des Köllertals 1918–1948. Die Dörfer Köllerbach und Püttlingen, Manuskript.

Zeitzeugeninterview mit Frau Maria Altmeyer, 26. Mai 1998, Interviewerin: Gerhild Krebs.

Stadtarchiv Püttlingen, Bestand 13, Nummer 2002, Politische Begutachtungen und politisch Geschädigte, darin: Antrag Georg Altmeyer an Wohnungsamt der Gemeinde Püttlingen vom 30. Mai 1945, Bericht Georg Altmeyer über Schicksal seit Abstimmungszeit, undatiert [30. Mai 1945], Schreiben Landrat Saarbrücken an Bürgermeister Püttlingen vom 10. Oktober 1947, Schreiben Bürgermeister an Landrat vom 26. November 1947 und 27. April 1948.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.