Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Hauptfriedhof Saarbrücken

Parkplatz/Grünanlage Eingang Metzer Straße und Metzer Straße 150–164 (gerade Nummern) sowie Königsbruch, Doktor-Vogeler-Straße, Saarbrücken

Baugeschichte

Der heute in weiten Teilen denkmalgeschützte Saarbrücker Hauptfriedhof entstand zunächst als Ehrenfriedhof des Ersten Weltkrieges. Planungen für einen neuen Hauptfriedhof der gerade entstandenen Großstadt hatten bereits vor 1913 bestanden. Der Friedhof, zeitgenössisch auch Süd- oder Zentralfriedhof genannt, wurde an der gemeinsamen Stadtgrenze mit der Stadt Forbach und Landesgrenze zu Frankreich errichtet. In der Denkmalliste des Saarlandes heißt es über den Friedhof: „Trotz größerer Planungen kam zunächst nur die kreisförmige Anlage eines Ehrenfriedhofs zur Ausführung, der bis zum Ende des Ersten Weltkrieges 400 deutsche und 188 fremde Gefallene aufnahm und als Keimzelle der heutigen Gesamtanlage anzusprechen ist. Im Jahr 1919 wurde das Projekt eines Zentralfriedhofs weitergebracht durch die Ausschreibung eines Wettbewerbs, aus dem Gustav Allinger (Köln, später Gartendirektor in Berlin) als Preisträger hervorging. Die Ausführung erfolgte wohl wesentlich auf der Grundlage seines Konzeptes. Kennzeichnend ist die Erschließung durch zwei stumpfwinklig angeordnete Hauptachsen: der vom Eingang Metzer Straße zu einem Rondell auf der höchsten Geländeerhebung führende breite Hauptweg und im Anschluß daran ein langgestrecktes, halbrund geschlossenes Feld, das sogenannte „Hippodrom“, an dessen Ende 1927 das aus Stieringen (Lothringen) translozierte Denkmal des 2. Hannoverschen Infanterieregiments Nummer 77 aus dem Jahr 1872 Aufstellung fand“ (Denkmalliste des Saarlandes 1996, Nachtrag im Internet 2000). Eine erste Ausbauphase des Saarbrücker Hauptfriedhofs nach dem Ersten Weltkrieg ist erkennbar an der 1928–1930 errichteten Einsegnungshalle mit Krematorium – bis heute das einzige solche Gebäude im Saarland –, sowie an weiteren Gebäuden bei der Wirtschaftszufahrt (Wasserturm, Gewächshaus der Gärtnerei, zwei symmetrische Blöcke mit Wohnhäusern für Friedhofsbedienstete), entstanden nach Entwürfen des Städtischen Hochbauamtes unter Walther Kruspe. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Friedhof zum zweiten Mal ausgebaut. Die damalige gärtnerische Gesamtüberarbeitung des Friedhofs wurde von Peter Paul Seeberger, Leiter des Städtischen Hochbauamts, geplant. Ende der fünfziger und in den sechziger Jahren erfolgte eine dritte Ausbauphase des Friedhofs in Richtung Nordwesten (Königsbruch), wo heute auch einige Grabdenkmäler aus der Zeit um 1900 vom alten Saarbrücker Friedhof stehen. An den Gräberfeldern 35–39 und bei den Urnengräbern U 2 finden sich über 300 Grabsteine für Tote überwiegend fremdländischer, meist sowjetischer Herkunft aus dem Zweiten Weltkrieg, davon etwa 260 mit Namen. Es handelt sich einerseits um Zwangsarbeiter, häufig – an den Daten ablesbar – um Opfer der großen Luftangriffe auf Saarbrücken. Zum anderen wurden hier Tote bestattet, die in dem in der unmittelbaren Nachbarschaft gelegenen nationalsozialistischen Polizeilager Neue Bremm durch Hunger, Kälte, Folter, Erschießen oder auf andere Weise ermordet worden waren. Der Verlust der Lagerakten der Gestapo zu Kriegsende und die Vernichtung der Friedhofsamtsakten in den 1990er Jahren machen es heute weitgehend unmöglich, die Lageropfer unter den Gräbern zu identifizieren, soweit die Namen nicht aufgrund von Standesamtsunterlagen anläßlich des ersten großen Kriegsverbrecherprozesses gegen das Lagerpersonal vor dem französischen Militärgerichtshof in Rastatt im Mai/Juni 1946 in der Saarbrücker Zeitung veröffentlicht wurden; dies betrifft aber nur 72 der Toten.

Regionalgeschichtlicher Kontext

Die architektonische Ausführung der ursprünglichen Friedhofsanlage von 1919 macht deutlich, daß sich in Saarbrücken das national überhöhte Totengedenken der Generation des Ersten Weltkrieges noch völlig bruchlos in die ebenso glorifizierte Tradition soldatischer Heldenverehrung der Generation einreihte, welche die Schlacht von Spichern (Spicheren) erlebt hatte. Das 77er-Denkmal in Stieringen (Stiring-Wendel) befand sich ab 1918 auf französischem Boden, daher wurde es in der zeitgenössischen Ausdrucksweise „heimgeholt“ und nahe am historischen Ort der Schlacht auf deutschem Boden neu aufgestellt. Diese Aufstellung des an den Krieg 1870/1871 erinnernden Denkmals als architektonische Ergänzung zum Gräberfeld der sogenannten Feldgrauen von 1914–1918 auf dem neu entstehenden Hauptfriedhof, einem wichtigen sozialen Treffpunkt der jungen Großstadt, deren Selbstverständnis sich in hohem Maße dem Krieg 1870/1871 verdankte, markiert auf diesem Hintergrund eine bauliche Inszenierung nationaler Ressentiments. Das bewußte Arrangement von Gräberfeld 1914–1918 und Denkmal 1870/1871 – in dieser Art einzig im Saarland – erinnert in Ziel und Inhalt zugleich an viele französische Kriegerdenkmale, die nach 1870/1871 direkt an der Grenze zum Reichsland Elsaß-Lothringen errichtet worden waren: Symbolische Grenzwacht durch die Toten, errichtet mit dem Versprechen der Lebenden, die erlittene nationale Schmach der Kriegsniederlage zukünftig gutzumachen.

Aus der Zeit zwischen 1935 und 1940 ist für den Hauptfriedhof belegt, daß deutsche Widerstandskämpfer ein Loch in der Friedhofsmauer, an dieser Stelle identisch mit der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich, dazu nutzten, Nachrichten und kleine Päckchen mit Flugblättern etc. auszutauschen.

Quellen und weiterführende Literatur

Herrmann, Hans-Walter (Hg.), Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935–1945, Bonn 1989–1995, 3 Bde.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 284–285 und Nachtrag zur Denkmalliste in Internet-Version (Stand: Juli 2000).

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.