Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Arbeiter- und Beamtensiedlungen in Friedrichsthal

„Die Insel“ bzw. „Die Walachei“: Maybacherstraße, Illingerstraße, Inselstraße und Grühlingstraße, Bildstock/Friedrichsthal; Siedlung Maybach: Quierschieder Straße, Hauerstraße, St.-Barbara-Straße und Stollenstraße, Maybach/Friedrichsthal; Arbeitersiedlung Friedrichsthal-Ostschacht

Arbeitersiedlung genannt „Die Insel“ bzw. „Die Walachei“

Die hohe Produktivität der preußischen Saar-Gruben erforderte bald den Bau einer neuen Kolonie im Sulzbachtal. Ab 1903 wurden abseits des Friedrichsthaler Ortsteils Bildstock in zwei Gruppen 40 einfache Arbeiterhäuser sowie zwei Beamtenhäuser gebaut. Wegen der isolierten Lage außerhalb der bebauten Ortslage im Fischbacher Wald erhielt die Kolonie, die später zusammenwuchs, ihre zwei Spitznamen. Die schlichten Arbeiterhäuser wurden als anderthalbgeschossige Doppelhäuser mit Satteldächern und separaten Wirtschaftsgebäuden (heutige Maybacher-, Illinger-, und Inselstraße) gestaltet, nur die Eckgebäude waren etwas aufwendiger. Die Mines Domaniales erweiterten die Siedlung 1921 in der oberen Illingerstraße durch den Bau von 12 Doppelhäusern; drei Beamtenhäuser in der Grühlingstraße kamen 1925 noch hinzu. Heute ist die Siedlung ein Teil von Bildstock. Zwischenzeitlich wurden die Häuser nach ihren Übergang in Privatbesitz (1975–1978) stark verändert, vielfach erfolgten Aus- und Umbauten.

Siedlung Maybach

Die Bergmannssiedlung Maybach (angelegt 1901–1905 bzw. 1910) liegt weiter von der ehemaligen preußischen Grube Maybach entfernt als die zwischen 1884 und 1924 (vorwiegend in den Jahren 1901–1905) errichtete Beamtensiedlung, deren Häuser zu beiden Seiten der Kaffeeküche vor dem Werkstor liegen: Täglich passierten die Arbeiter diese Straßen, so daß sie schon vor und noch nach der Arbeit unter der Sichtkontrolle durch die Vorgesetzten standen. Unterschiedliche Entfernung zum Betrieb und Sichtkontrolle waren in nahezu allen Industriesiedlungen des Reviers gegeben, gleichgültig, ob Preußen, Bayern oder Franzosen die Siedlung anlegten. Auch die Häuser selbst zeigten an, für wen sie gebaut waren: Stets billigte man den ranghöheren Beamten bzw. Angestellten mehr Wohnraum, repräsentativere Bauformen mit mehr Schmuckelementen, mehr Baugrund und ein oder mehrere Wirtschaftsgebäude zu. Sie erhielten außerdem in ihrem Wohnviertel soziale Funktionsbauten wie Schule oder Kirche. Diese Bauten dienten auch der Integration zu einer einheitlichen sozialen Gruppe: Die Beamtenkinder konnten dadurch vor Ort unbelastet eine neue, abgeschlossene Einheit bilden, während die Arbeiterkinder sich, mitunter nach langen Fußmärschen von der Bergmannskolonie zum Dorf, in bestehende Schulklassen und soziale Strukturen integrieren mußten. In Maybach wurde die Schule (1905) genau zwischen die Arbeiter- und Beamtenhäuser gebaut (Quierschieder Straße 21); in dem Gebäude befindet sich heute eine Gaststätte. Die damalige Plazierung der Schule läßt sich heute wie eine Illustration der unterschiedlichen Bildungschancen von Beamten- und Arbeiterkindern lesen. Wie üblich hielt man die Gestaltung der Arbeiterhäuser (Doppelhäuser Quierschieder Straße 1/2–19/20 und Dreifamilien-Eckhaus Hauer-/St.-Barbara-Straße = Hauerstraße 2–6) einfach und bescheiden. Die ohnehin kleine Hausgrundfläche umfaßte im Keller noch Stallräume. Die Beamtenhäuser im unteren Teil der Quierschieder und St.-Barbara-Straße (Doppelhäuser Quierschieder Straße 22/24–58/60 und 23/25–53/55, St.-Barbara-Straße 2/4–6/8, 11/13, 15, 24/26–28–30) erhielten jeweils ein Gartengrundstück und mehrere Wirtschaftsgebäude. Als bauliche Ergänzung der preußischen Beamtensiedlung wurde 1927 unter französischer Bergverwaltung etwas unterhalb der Schule eine neoromanische katholische Kirche hinzugefügt. Ganz für sich stehen in der Stollenstraße zwei Villen, erbaut 1920 für die leitenden französischen Beamten der Grube (Stollenstraße 1, 3).

Zwischen 1909 und 1911/1912 entstanden in Maybach außerdem vier Schlafhäuser (Hauerstraße) mit insgesamt 240 Schlafstellen, ergänzt um ein danebenstehendes Wirtschaftsgebäude (Waschhaus). Die Anlage der Schlafhäuser im Pavillonsystem zeugt von einer späten Weiterentwicklung des preußischen Schlafhaussystems, das ursprünglich von Kasernenbauten mit entsprechender Hausordnung gekennzeichnet gewesen war. Als man einsehen mußte, daß die Arbeiter lieber als Schlafgänger (Einlieger) in den Häusern von Kameraden wohnten, änderte man schließlich das Schlafhaussystem. Von diesen Gebäuden jüngeren Typs ist heute nur noch ein Schlafhaus (Hauerstraße 12) und das Waschhaus erhalten. Maybach ist ein repräsentatives und gut erhaltenes Beispiel für die typische Verknüpfung von Grube und in ihrer Nähe gelegenen Werkssiedlungen, allerdings sind einige Häuser nach ihrem Übergang in Privateigentum (ab 1975) eingreifend umgebaut bzw. unsachgemäß saniert worden. Seit die Siedlung unter Denkmalschutz gestellt wurde, sind mehrere andere Häuser stilgerecht restauriert worden.

Arbeitersiedlung Friedrichsthal-Ostschacht

Zwischen 1907 und 1910 ließ der Preußische Bergfiskus 25 Ein- und Mehrfamilienhäuser sowie zwei Beamtenhäuser errichten, so stammt z.B. ein Zweifamilienhaus für Beamte in der Saarbrücker Straße 125/127 von 1908, während 1911–1912 in der Saarbrücker Straße 129/131 ein Vierfamilienhaus für Arbeiter errichtet wurde. Neun verschiedene Haustypen wurden für diese Mietshauskolonie ausgeführt, eine auffallend variantenreiche Gestaltung. Die Siedlung wurde von den Mines Domaniales 1921/1922, baulich direkt anschließend, um 21 einfache Arbeiterhäuser ergänzt. Zur gleichen Zeit wurden 20 weitere Häuser westlich der Bahnlinie im Ortskern von Friedrichsthal gebaut. Seit dem Übergang in Privatbesitz (1975–1980) wurden zahlreiche der insgesamt 66 Arbeiterhäuser umgebaut bzw. einer als modern geltenden Optik angepaßt. Dadurch hat die Kolonie viel von ihrem ursprünglich vielfältigen architektonischen Charakter eingebüßt. Das explosive und gleichwohl regelmäßige Siedlungswachstum Friedrichsthals kurz nach der Jahrhundertwende belegt in besonderem Maß den hohen siedlungsbildenden bzw. siedlungserweiternden Einfluß der Industrie unter den Bedingungen staatlicher Kontrolle in der Tradition patriarchalischer Modelle von Sozialfürsorge. Unter dem preußischen wie dem französischen Bergfiskus wurde größter Wert auf geordnete Entwicklung der Siedlungen gelegt, nicht zuletzt, um die Arbeiterschaft vor Verelendung zu schützen, als deren gefährlichste Konsequenz die politische Radikalisierung angesehen wurde. So finden sich an einem Ort gleich mehrere Beispiele von Siedlungsprojekten, die in der Zeit des preußischen Bergfiskus durchgeführt und später durch die Mines Domaniales ergänzt worden sind. Die eingreifenden und manchmal auch baulich unsachgemäßen Veränderungen, die in Friedrichsthal wie in anderen Orten des Industriereviers gerade an früheren Arbeiterhäusern durchgeführt werden, müssen als Indizien für mangelndes regionalhistorisches Bewußtsein und zwanghaften Modernismus gesehen werden. Daß man bei Ausbauten anlehnend an die ursprüngliche Bausubstanz verfahren sollte, ist zunächst eine Frage richtiger, umfassender Information und erst in zweiter Linie eine Frage des Geldes. Andererseits, wie im Falle der erweiternden Ausbauten, sind die Bauveränderungen aber auch ein Indiz dafür, daß der Wohnraum, den man Arbeitern früher zumaß, heute allgemein als zu gering empfunden wird.

Quellen und weiterführende Literatur

Schmitt, Armin, Denkmäler saarländischer Industriekultur. Wegweiser zur Industriestraße Saar-Lor-Lux, 2. Auflage, Saarbrücken 1995, S. 142–145.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 48–50.

Stadtverband Saarbrücken (Hg.), Werkswohnungen des Preußischen Bergfiskus und der Mines Domaniales Françaises. Eine Dokumentation zum Werkswohnungsbau der preußischen und französischen Grubenverwaltung zwischen 1815 und 1935 im Stadtverband Saarbrücken, Saarbrücken 1985, S. 52–59.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.