Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Rainer Hudemann

Die Warndtfrage

Wenige Fragen führten in den saarländisch-französischen Auseinandersetzungen der zwanziger und der fünfziger Jahre zu so großer öffentlicher Verbitterung wie die Ausbeutung der Warndtkohle durch lothringische Unternehmen. Hier schien aus saarländischer Sicht der Minderstatus des Landes gegenüber Frankreich geradezu Symbolkraft zu erhalten. Umgekehrt sah Frankreich in dieser Ergänzung der eigenen lothringischen Kohlefelder gleichfalls nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine politische Prestige-Frage.

Begonnen hatte der Kohleabbau unter der Grenze hindurch in den zwanziger Jahren, als die französisch beherrschte Saargrubenverwaltung für 99 Jahre Konzessionen nach Lothringen vergab. Nach der Rückkehr der Saar zu Deutschland 1935 wurde der Vertrag von deutscher Seite gekündigt und der Abbau bis 1940 begrenzt, nach Kriegsausbruch und der faktischen Annexion Lothringens durch das Deutsche Reich 1940 aber weiter betrieben – nur jetzt unter deutscher Aufsicht und zu überwiegend deutschem Nutzen.

1945 gehörte der Warndt zu den Kernthemen in den innerfranzösischen Diskussionen um Grenzkorrekturen an der Saar. Doch mit dem Wirtschaftsanschluß 1947 erhielt die Frage eine neue und andere Qualität: Die wieder französisch verwaltete Régie des Mines de la Sarre stand nun ihrerseits in einem Spannungsverhältnis mit den Houillères du Bassin Lorrain (HBL), um ihr eigenes Unternehmen rentabel zu erhalten – und daß dies schwierig war, wurde allen Verantwortlichen nur zu rasch deutlich, auch wenn man es öffentlich nicht gern aussprach. Die Warndt-Kohle war technisch verhältnismäßig leicht abzubauen und qualitativ attraktiv.

Jahrelang wurden immer neue Abkommen zwischen den französischen Unternehmen ausgehandelt, welche die Interessen ausgleichen sollten. Als mit den Saar-Konventionen vom Mai 1953 die saarländische Seite wieder Mitspracherechte in der Grubenverwaltung erhielt, wandelten sich die Rahmenbedingungen aber erneut. Eine internationale Warndtkommission wurde gebildet, die wenige Wochen vor dem Saar-Referendum des 23. Oktober 1955 ihre Arbeit aufnahm. Doch Frankreich war aus innenpolitischen Gründen und im Hinblick auf die getätigten Investitionen zu Konzessionen nicht bereit, und die Regierung Hoffmann stand im Abstimmungskampf unter Druck. So blieb die Frage ein Kernpunkt der Verhandlungen, die nach dem überraschenden Ausgang der Abstimmung über die erneute Rückgliederung der Saar begannen. Im Luxemburger Saarvertrag vom 27. Oktober 1956 wurden die französischen Ausbeutungsrechte von Lothringen aus im Warndt schließlich auf eine Fördermenge von 66 Mio. Tonnen im Laufe von 25 Jahren festgeschrieben; zusätzlich sollte Frankreich aus dem Warndt 24 Mio. Tonnen zum Selbstkostenpreis der Lothringischen Gruben erhalten. Zusammen mit weiteren Ausgleichsbestimmungen, u.a. steuerlicher Art, war eines der strittigsten Themen des Grenzraumes damit als politischer Sprengstoff entschärft. Langfristig sollte dann der Niedergang des Kohlebergbaues die Frage entpolitisieren.

Quellen und weiterführende Literatur

Heinen, Armin, Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland 1945–1955, Stuttgart 1996, besonders S. 488ff. (mit Karten).

Schmidt, Robert H., Saarpolitik 1945–1957, 3 Bde., Berlin 1959–1962.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.