Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Dorfentwicklung

Im Gegensatz zur intensiven Forschung zur Geschichte der Stadtentwicklung und Städteplanung gibt es für die europäische Großregion Saar-Lor-Lux bislang erst wenige historische Forschungen zur Entwicklung und architektonischen Gestaltung von Dörfern, obwohl Dörfer immer noch den größten Anteil an den hiesigen Siedlungsformen stellen. Ohne solchen Untersuchungen vorgreifen zu wollen, werden hier chronologisch geordnete Aspekte der Geschichte dörflicher Siedlungen im Grenzraum dargelegt. Der erste bezieht sich auf die regionalen Siedlungsformen bis 1800, alle weiteren betreffen die Zeit zwischen 1800 und 2000. In den Rahmen dieser Aspekte sind die Hinweise auf die Texte des Themas Dorfentwicklung gestellt. Außerdem werden in vier systematischen Hintergrundtexten generelle Zusammenhänge zwischen Dorfentwicklung, nationaler Zugehörigkeit bzw. Obrigkeit und Industrialisierung am Beispiel des Saarlandes erläutert. Auf Texte in anderen Themen dieser Publikation, die Fragen der Dorfentwicklung betreffen, wird verwiesen.

Landschaftsbild und Dörfer der Großregion Saar-Lor-Lux von der Antike bis 1800

Vom Ende der Antike bis zum Beginn der Neuzeit entwickelten sich die Dörfer der Großregion in Größe und Gestalt kaum, sieht man einmal von der Ausnahme der keltischen Dörfer ab, die sich unter dem Einfluß der städtisch orientierten römischen Kultur zu gallorömischen Kleinstädten entwickelten. Ein solcher Vicus mit Gewerbegebiet, Thermen und großem Gutshof lag zwischen Bliesbrücken (Bliesbruck) und Reinheim an der heutigen saarländisch-lothringischen Grenze, und wird seit etlichen Jahren im Rahmen eines deutsch-französischen Forschungs- und Tourismusprojektes ausgegraben.

Dörfer, Ackerbürgerstädte und Festungen

Über Jahrhunderte hinweg blieben die Siedlungs- und Hausformen an der Saar infolge der agrarischen Wirtschaftsstruktur die gleichen, denn die natürlichen Rhythmen der Tages- und Jahreszeiten bestimmten das Leben, eine Trennung von Arbeit und Freizeit im heutigen Sinne gab es nicht. Einzelne Häuser, kleine Wohnplätze von wenigen Haushalten und Dörfer von wenigen hundert Einwohnern inmitten von Feldern, Wiesen und Wald prägten das Landschaftsbild. Wegen der üblichen strohgedeckten Fachwerkhäuser in Dörfern und Städten kamen zwar Feuer immer wieder vor, sie wirkten sich aber außerhalb der wenigen Städte nicht als flächendeckende Zerstörung ganzer Siedlungen aus, es sei denn, dies geschah im Rahmen von Kriegshandlungen. Der Pfarrort Eschweiler bei Berus ging auf diese Weise 1325 unter; von ihm blieb nur seine Kirche, die heutige St. Oranna-Kapelle.

Epidemien wie die Pest oder verheerende Kriegszüge wie der Dreißigjährige Krieg führten zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert zur Entstehung zahlreicher Wüstungen. In der Großregion waren es weniger die eigentlichen Kriegshandlungen als vielmehr die flächendeckenden Plünderungen, Brände und Zerstörungen des Dreißigjährigen Krieges, durch die viele bäuerliche Siedlungen in Schutt und Asche gelegt wurden. Von dem Ort Straßen (auf dem Bann Köllerbach) im Köllertal blieb nach 1635 nur der Name eines Hügels und einer Straße übrig. Im Zuge der Wiederansiedlungspolitik der adligen Landesherren und infolge der allmählichen Erholung der Landwirtschaft entstanden seit dem späten 17. und vermehrt ab dem 18. Jahrhundert zahlreiche neue Bauernhäuser. Diese Entwicklung und die Veränderungen dieser Wohnbauten im 19. und 20. Jahrhundert beschreibt ein Überblickstext zu den Bauernhaustypen der Großregion Saar-Lor-Lux.

Die Großregion war bis 1800 relativ gleichmäßig und dünn besiedelt. Selbst die wenigen Städte trugen um 1800 wie in weiten Teilen Europas noch viele architektonische Züge des Dorfes – nicht umsonst bezeichnete man solche Städtchen und Marktflecken als „Ackerbürgerstädte“, was für Saarbrücken und St. Johann in dieser Zeit in besonderer Weise zutraf. Andere Städte der Großregion hatten zwar von jeher stärkere zentralörtliche und Verwaltungsfunktionen, waren aber als Festungsstädte auf ihre militärische Nutzung hin konzipiert und in ihrer baulichen Entwicklung stark eingeschränkt: so zum Beispiel Luxemburg, Metz, Saarlouis, Thionville (Diedenhofen) oder Longwy. Die weitere Entwicklung der Städte in der Großregion ist mit repräsentativen Beispielen im Thema Stadtentwicklung und Verwaltungsarchitektur beschrieben.

Dörfer und Grenzziehungen ab 1815

Einen Sonderfall ohne Parallele in der gesamten Großregion bildet das zweigeteilte Dorf Leidingen auf dem Saargau. In Leidingen erwies sich die 1815 zwischen Frankreich und Preußen neu gezogene Grenze nicht nur als destabilisierend und letztlich zerstörend für den Zusammenhalt der Dörfer, die seit dem Mittelalter zur Pfarrei Leidingen gehört hatten, sondern durch die Grenze wurde zugleich auch das Dorf selbst in eine doppelte nationale Zugehörigkeit gespalten. Die Grenze wirkt sich jedoch erst seit 1945 als echte soziale und sprachliche Spaltung aus, die sich immer mehr vertiefen wird, wenn nicht künftig durch verstärkte soziale Kontakte, administrative grenzüberschreitende Zusammenarbeit und besonders durch aktive Unterstützung der heimischen Mundart der traditionelle Zusammenhalt der Saargau-Dörfer beiderseits der Grenze neu belebt wird.

Industriedörfer und -wohnsiedlungen im 18. und 19. Jahrhundert

Wo es um 1800 bereits Industrie im Saar- und Moselraum gab, hatten sich zwei Typen von neuen Siedlungen entwickelt. Zum einen gab es Dorfneugründungen: Rund um die Glashütten und (Eisen- und Hammerwerke des 16.–18. Jahrhunderts entwickelten sich unter günstigen Umständen ganze Dörfer, so etwa die Glasmacherdörfer Creutzwald, Lauterbach oder Ludweiler – wobei gerade die neu gegründeten Industriedörfer Creutzwald und Ludweiler außerdem im Zusammenhang der Religionskriege des 15.– 17. Jahrhunderts stehen. Sie werden daher in einem Überblickstext zum Historischen Hugenottenwanderweg beschreiben.

Zum Zweiten wurden die Arbeiter vom Unternehmer in werkseigenen, nur zu diesem Zweck gebauten großen Häusern mit mehreren Wohnungen oder in sehr kleinen Reihenhäusern untergebracht. Beispiele für solche frühindustriellen, aber von Größe und sozialem Zusammenhang her noch dörflichen Wohnformen werden im Thema Gewerbe- und Industriearchitektur dargestellt. Von Unternehmern errichtete frühe Wohnbauten sind in St. Louis und Meisenthal im Bitscher Land (Pays de Bitche) erhalten, den wichtigsten Standorten der frühneuzeitlichen lothringischen Glasproduktion. Ein weiteres sehr gut erhaltenes Beispiel für solche Wohnbauten ist die Alte Schmelz in St. Ingbert (um 1770 errichtet), eine der ältesten erhaltenen Wohnsiedlungen im südwestdeutschen Raum. Auch die Hütte Goffontaine im Raum Scheidt-Schafbrücke (heute Stadtteile von Saarbrücken) bildete im späten 18. Jahrhundert einen ähnlichen frühindustriellen Siedlungszusammenhang von Eisenproduktion und zugehörigem unternehmerfinanziertem Wohnungsbau. Gemeinsam ist diesen Ansiedlungstypen die organisierte, vom Unternehmer finanzierte und errichtete Ansiedlung in der Nähe eines bestehenden Industriebetriebes; meist handelte es sich um Mietwohnungen. Diese industriell geprägten Wohnformen im Rahmen spezieller Unternehmensansiedlungen waren Anfang des 19. Jahrhunderts jedoch noch die große Ausnahme inmitten traditioneller Bauerndörfer.

Der massivste industriell motivierte dörfliche Wohnungsbau in der Großregion wurde gegen Ende des 19. Jahrhunderts von dem Großindustriellen Carl Ferdinand Stumm durchgeführt. Stumm ließ ab den 1870er Jahren im damaligen Dorf Brebach (heute Stadtteil von Saarbrücken) ein einzigartiges architektonisches Ensemble errichten, das sich um seinen Betrieb gruppierte und aus Halberger Hütte, Schloß Halberg und Stumm-Siedlung bestand. Das schon zur Bauzeit anachronistische Ensemble gibt bis heute einen beredten Ausdruck von Stumms Weltsicht: In ihr verbanden sich modernste kapitalorientierte Wirtschaftsplanung (Halberger Hütte) mit der Orientierung an der adligen Lebenswelt des 18. Jahrhunderts und deren Prachtentfaltung in Schloß Halberg, hoch auf dem Hügel über den Köpfen der Direktoren, Meister und Arbeiter seines Betriebes.

Weitere eindrückliche Beispiele für industrielle Arbeitersiedlungen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts in Lothringen, Luxemburg und dem Saarland beschreiben die Texte über das Brill-Viertel in Dudelange, die Cité d’Hagondange, Nilvange, die Adt-Betriebe und den Beitrag der Unternehmerfamilie Adt zur Stadtentwicklung von Forbach, die Glasmachersiedlung Fenne sowie die Siedlungen Velsen, Hermann-Röchling-Höhe und Luisenthal.

Bauliche Verdichtung durch Binnenwanderung (19. Jahrhundert)

Die dörflich geprägte Siedlungsstruktur änderte sich erst um 1850 gravierend, ausgelöst von der beschleunigten Industrialisierung im Saarrevier, dem luxemburgischen und lothringischen Revier, die vor allem durch die Ankunft der Eisenbahnen in Gang kam (siehe Thema Infrastruktur und Verkehrsarchitektur). Wie sich Dörfer beiderseits der Grenze unter dem Eindruck der Industrialisierung in gleichgerichteter Form veränderten, kann man anhand der Ortschaften Dudweiler und L’Hôpital (Spittel) nachvollziehen. In den Ardennen, der Eifel, dem Hochwald, Hunsrück, der Pfalz, den Vogesen und in weiten Teilen Lothringens nahm im 19. Jahrhundert die Verarmung breiter Schichten der Dorfbevölkerung stetig zu. Dort entstand aufgrund der Verarmung nun auch der größte Abwanderungsdruck. Zunächst mündete er häufig in Fernwanderungen bis hin zur Ansiedlung in Nord- oder Südamerika. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Abwanderungsdruck infolge der Industrialisierung durch Binnenwanderungen innerhalb der Großregion und ihrer Nachbarregionen Wallonien, Hunsrück und Pfalz aufgefangen. Es kam auch innerhalb einer Region zu Abwanderungsbewegungen aus bestimmten Landstrichen, so etwa im Saarland: aus dem sogenannten Schwarzwälder Hochwald (nördliches Saarland), der nach 1850 deutlich dünner besiedelt war als zuvor – und bis heute geblieben ist, während gleichzeitig die Zielgebiete der Binnenwanderung im inneren Industrierevier um Neunkirchen, Saarbrücken und Völklingen eine enorme Siedlungsverdichtung erfuhren.

Durch die verschiedenen Arten von Binnenwanderung in der Großregion entstanden um die Jahrhundertwende die Agglomerationen an den Industriestandorten, die in vielen Fällen bis zur Verstädterung und teilweise zum explosiven Wachstum der jungen Städte führten, z.B. Esch an der Alzette (Esch-sur-Alzette), Düdelingen (Dudelange), Malstatt-Burbach, Sulzbach, Friedrichsthal, Völklingen, Neunkirchen. In ähnlicher Weise sprengten die zahlreichen neuen Anwohner die bisherigen Dimensionen bestehender Städte, z.B. Thionville (Diedenhofen). Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges endeten die Wanderungsbewegungen weitgehend, und die Wohnsituation stabilisierte sich, einerseits durch die Entwicklung des öffentlichen Transportwesens und der Verkehrsmittel (Eisenbahnen, Straßenbahnen), andererseits durch Schaffung von Schlafhäusern, Grubensiedlungen und durch die Prämienhäuser des preußischen Bergfiskus, wie an den Beispielen der Gruben und Hütten in den Kapiteln Arbeiter-, Verbands- und politische Architektur bzw. Gewerbe- und Industriearchitektur nachvollzogen werden kann (Grube = regionaler Begriff für Steinkohlenbergwerk).

Repräsentative Bauten vermögender Familien in Dorf und Stadt (19. Jahrhundert)

Seit Ende des 18. Jahrhundert gab es eine Bewegung bürgerlicher Kreise, ländliche Adelssitze zu erwerben und umzubauen oder sich in repräsentativen, den Adelssitzen nachempfundenen Neubauten inmitten eines Bauerndorfes oder Marktfleckens niederzulassen. Mehrere solcher Bauten, die von Kaufleuten, Fabrikinhabern und Großindustriellen umgebaut bzw. errichtet wurden, befinden sich in der Großregion, so etwa in Luxemburg das Schloß Colpach, Nieder-Colpach (Colpach-Bas), Wohnsitz des Großindustriellen Émile Mayrisch; im Saarland das Bietschieder Schlößchen (Gemeinde Heusweiler), der Wohnsitz des Kaufmannes Heinrich Wahlster, das Schloß Halberg der Familie Stumm im damaligen Dorf Brebach sowie mehrere schloßartige Bauten der Familien Villeroy, Boch und Galhau in Wallerfangen, Mettlach sowie im luxemburgischen Septfontaines. Letztere sind in einem Überblickstext zu den Keramikwerken Villeroy & Boch dargestellt.

In Lothringen gab es ebenfalls mehrere solcher repräsentativer Villen und Schlösser: den Wohnsitz der Familie Adt, Forbach und die Villa der Familie De Wendel, Hayange (Hayingen). Der Herrensitz Landonvillers bei Urville in der Nähe von Metz, ein Gutshof des 18. Jahrhunderts, wurde während der Reichslandzeit von einem westfälischen Großindustriellen gekauft und nach deutschen Vorbildern zu einer Art Burg mit massivem romanischem Bergfried umgebaut. Der Besitzer wollte damit dem Wohnsitz Kaiser Wilhelms II. in Courcelles-Chaussy (damals Kurzel bzw. Kaiserkurzel) räumlich, sozial und politisch nahekommen, der sich den ehemaligen Adelssitz Château d’Urville hatte umbauen lassen (siehe den Beitrag zum Historischen Hugenottenwanderweg).

Agrarische Kleinräume: Verstädterung und Pendler seit 1850

Die Realteilung führte über einige Generationen hinweg zur völligen Zersplitterung des ländlichen Besitzes, weil alle Kinder gleiche Anteile bekamen. Die Gebiete innerhalb der Großregion, wo die Realteilung nicht durchgängig praktiziert wurde, konnten sich als bäuerliche Gesellschaften bis weit ins 19. Jahrhundert hinein relativ stabil erhalten. Doch auch diese Landschaften, so etwa im Saarland das Köllertal oder der Bliesgau (Erbe zugunsten des ältesten Kindes), veränderten sich ab 1850 infolge der Industrialisierung. An den Orten des Köllertals und ihrem Wachstum zeigt sich, wie die wechselnden deutschen und französischen Obrigkeiten bei allen politischen Differenzen gleichgerichtet an der industriellen Entwicklung und Verstädterung in diesem Tal mitwirkten. Seit Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Zahl der Pendler aus dem Bliesgau zu, die z.B. Arbeit in der Halberger Hütte in Brebach fanden. Der Bliesgau veränderte sich infolgedessen landschaftlich und architektonisch zunächst wenig, hier spielten sich die Veränderungen vor allem auf sozialer Ebene ab, erst im 20. Jahrhundert hatten die sozialen Veränderungen auch bauliche Folgen.

Wasser, Energie und dörfliche Produktionsbauten vor und nach 1900

Mühlen aller Art waren bis zum 19. Jahrhundert die einzigen und dabei standortgebundenen Energielieferanten. Die Energie wurde z.B. in Hammerwerken genutzt. Mühlen hatten zentrale Bedeutung für das dörfliche Leben, da hier das Getreide, die Eichenrinde für Gerbereien (Lohmühlen), das Speiseöl (Ölmühlen) und die Rohmaterialien für Keramikherstellung (Wackenmühlen) gemahlen wurden. Die Ölmühle Bischmisheim (heute Stadtteil von Saarbrücken) bietet ein spätes Beispiel für eine bäuerliche Ölmühle, die sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein halten konnte. In ihr fand ein Mahlwerk aus Lothringen noch weitere Verwendung, als allerorten in der Großregion die bäuerlichen Mühlen der industriellen Ölproduktion weichen mußten. Demgegenüber entwickelten sich die Wackenmühlen der Keramikwerke Geiger/Utzschneider im nahen Saargemünd (Sarreguemines) im Rahmen industrieller Keramikproduktion während der Reichslandzeit. Sie sind in einem Überblickstext zur Gewerbe- und Industriearchitektur in Sarreguemines dargestellt.

Nicht nur die bäuerlichen Produktionsweisen begannen durch die Industrialisierung zu verschwinden, obwohl schon dieser Schwund das Bild der Dörfer seither massiv prägt. Die Industrialisierung wurde begünstigt, gefördert und beschleunigt durch die Veränderungen in der Infrastruktur der Großregion. Eingriffe in die Landschaft wie z.B. beim Bau von Großprojekten wie dem Rhein-Marne-Kanal, der Großschiffahrtsstraße Mosel und der Großschiffahrtsstraße Saar veränderten drastisch das Leben in den Dörfern an den Flußufern und bewirkten das Ende der Mühlen an den großen Flüssen. Die Veränderungen im natürlichen Wasserhaushalt von Saar und Mosel und ihren Nebenflüssen, die industriell bedingte zentralisierte Lieferung von Wasser und Elektrizität haben seit 1900 zu vielfältigen baulichen und sozialen Veränderungen in den heutigen Dörfern der Großregion geführt (siehe den Text zu Kraftwerken an der mittleren Saar und in Nordostlothringen).

Wohnungs- und Schulbaupolitik des französischen Bergfiskus an der Saar 1920–1935

Unter der Ägide der französischen Bergverwaltung änderte sich in der Wohnungsbaupolitik für die Grubenstandorte an der Saar wenig. Auch die Mines Domaniales Françaises de la Sarre bevorzugten geschlossene Bauensembles, wie schon der preußische Bergfiskus. So wurde ab 1920 der Madenfelderhof abseits des Dorfes und Grubenstandortes Reden als in sich geschlossene Kolonie geplant und errichtet. Hier folgte der Bergfiskus dem französischen Modell, Grubenwohnungen als Mietwohnungen zu bauen, während der preußische Bergfiskus die Schaffung von Wohneigentum der Bergleute bevorzugt hatte.

Dagegen markieren die Domanialschulen im Saargebiet, die der französische Bergfiskus in dieser Zeit errichten ließ, einen massiven nationalpolitisch motivierten Eingriff in die damalige Schullandschaft und die Dorfstrukturen des Saargebietes. Die Schulen – mit französischem Lehrplan und an den größeren Orten auch mit französischsprachigem Unterricht – sollten den französischen Interessen der dauerhaften kulturellen Aneignung der Saar und der Beeinflussung der kommenden Volksabstimmung 1935 im französischen Sinne dienen. Die Umsetzung dieser Interessen in baupolitische Maßnahmen führte jedoch zu erheblichen politischen Konflikten und erzielte genau das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung. Eine baupolitische Gegenreaktion mit dem entgegengesetzten Ziel der Beeinflussung der Saarbevölkerung im nationaldeutschen Sinne kann man in der zeitgleichen vermehrten Errichtung von Dorfschulen mit deutschen Lehrern und deutschem Lehrplan betrachten.

Nationalsozialismus und Dorfbevölkerung: Schule als Ort politischer Konflikte (1937)

Nach der Volksabstimmung von 13. Januar 1935 wurde das Saargebiet zum 1. März 1935 unter seinem neuen Namen Saarland in das nationalsozialistische Reich eingegliedert. Entgegen der vom US-amerikanischen Historiker Daniel Goldhagen vertretenen Auffassung waren nicht alle Deutschen nur willige Helfer Hitlers, wie sich auch im Saarland zeigt. Ein differenzierterer Forschungsansatz hat seit den 1970er Jahren alle möglichen Formen von aktivem Widerstand einerseits über generelle Politikferne und Mitläufertum bis hin zur Begeisterung für die nationalsozialistische Ideologie andererseits zutage gefördert. Die verschiedenen Haltungen der Bevölkerung zum nationalsozialistischen Staat speisten sich aus den unterschiedlichsten Motiven. Der Text zur ehemaligen Katholischen Schule Frankenholz beleuchtet die sozial und religiös motivierte, punktuelle Auseinandersetzung eines Dorfes mit der nationalsozialistischen Obrigkeit. In Frankenholz und an zahlreichen anderen Orten des Saarlandes entluden sich im Februar und März 1937 die seit der Rückgliederung schwelenden Konflikte zwischen der Saarbevölkerung und dem nationalsozialistischen Staat. Die Saarbevölkerung hatte seit 1935 mit großer Ernüchterung feststellen müssen, daß die propagandistischen Versprechungen aus der Zeit des Abstimmungskampfes nicht eingehalten wurden, so daß es 1936 und 1937 zu zahlreichen Unmutsäußerungen kam. Der nationalsozialistische Staat reagierte nun auf den ursprünglich rein lokalen Frankenholzer Konflikt mit völlig überzogenen Maßnahmen, da man in dieser angespannten Lage eine allgemeine Revolte, gar einen Generalstreik der Saarbevölkerung fürchtete: Im gleichen Zeitraum wie der Frankenholzer Schulstreik fand im Warndt der Streik der Lothringengänger statt.

Nationalsozialistische Dorfplanung, Krieg und nationalsozialistische Wiederaufbaupolitik 1935–1945

Die nationalsozialistische Politik versäumte keine Chance, ihre ideologischen Ziele in der Baupolitik darzustellen. Dörfer spielten im nationalsozialistischen Weltbild eine zentrale Rolle, einerseits als Standorte der agrarischen Basisproduktion und Ansiedlungsgebiet für die Masse der Bevölkerung, andererseits als die Orte, an denen die Blut- und Boden-Ideologie konkrete Gestalt annehmen sollte. Die planerische Gestaltung von Dörfern stand auch, was bislang noch oft übersehen wird, in bewußt scharfem Kontrast zu den baulichen Großplanungen, die in der nationalsozialistischen Zeit für Städte wie Berlin, Nürnberg oder München vorgesehen waren. Einen Überblick über die dörfliche (und städtische) nationalsozialistische Wohnungsbaupolitik in der Grenzregion zwischen 1935 und 1945 gibt der Text zur Nationalsozialistischen Dorfarchitektur und Raumplanung im Saarland und in Lothringen.

Zwei besonders offensichtliche Versuche der Beeinflussung der Saarbevölkerung einerseits und der lothringischen Bevölkerung hinter der nahen Grenze andererseits stellen die beiden neu gegründeten dörflichen Siedlungen „Dorf im Warndt“ und Sitterswald dar. Beide direkt an der Grenze gelegen, wurden sie in den Jahren ab 1935 geplant und errichtet; beide wurden jedoch wegen des Krieges nicht mehr fertig, ein Merkmal, das nahezu für alle größeren Siedlungs-Bauvorhaben der nationalsozialistischen Zeit im Grenzraum gilt. Sie bilden dennoch die geschlossensten saarländischen Beispiele dieser Planungsvorstellungen im Saarland.

Die Volkswohnungen in Dudweiler und das Ensemble Wackenberg, St. Arnual (Stadtteil von Saarbrücken) wurden dagegen fertiggestellt, wobei die Häuser auf dem Wackenberg mit ihren eingebauten Luftschutzkellern bereits mit Blick auf den geplanten Krieg erstellt wurden. Aufgrund der einheitlichen Planungsgrundsätze ähneln sich alle nationalsozialistischen Siedlungen. Der serielle Charakter der nationalsozialistischen Wohnsiedlungen kann bis heute nachvollzogen werden, obwohl die meisten dieser Siedlungen sich zwischenzeitlich durch Umbauten etc. verändert haben. Ihre Erbauer orientierten sich am Deutschen Bauen, einer vom nationalsozialistischen Staat favorisierten traditionalistischen Architekturauffassung, die vor allem von den Architekten der Stuttgarter Schule vertreten wurde. Die Nationalsozialisten importierten aber auch komplette architektonische Versatzstücke in die Großregion, so die an zentraler Stelle im Reich geplanten Schulen und HJ-Heime, die in „Dorf im Warndt“, Dudweiler und Bous (heutiges Redemptoristenkloster Bous) noch zu sehen sind, wenn auch in umgebauter Form.

Die zentralen Ergebnisse der nationalsozialistischen Politik in den Dörfern des Grenzraumes waren zwischen 1940 und 1944 die Vernichtung zahlreicher historisch gewachsener Dorfkerne, die hierarchisch gestaffelte Errichtung von Erbhöfen und Siedlerstellen bis 1943, so etwa in Moyenvic und Les Étangs, und schließlich die Vernichtung ganzer Dörfer im Krieg, wie etwa das dicht an der Grenze zum Saarland gelegene lothringische Bauerndörfchen Erching-Guiderkirch.

Ein Sonderfall nationalsozialistischer Dorfarchitektur ist die 1943 errichtete Gemeinschaftsscheune oder Dorfkirche in Boust, in der Emil Steffann lothringische Bautradition mit deutschen Wiederaufbauvorstellungen und -normierungen zu vereinen suchte.

Soziale Unterschiede und Wohnformen in den Dörfern

Die typischen regionalen Hausformen im Grenzraum entsprachen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts der vorherrschenden agrarischen Wirtschaftsform und prägten die Dorfbilder im heutigen Saarland, Lothringen, Luxemburg, dem Hunsrück und dem westlichen Rand der Pfalz. Neben den ausladenden Häusern der reichen Pferdebauern und den kleineren Häusern der Bauern, die nur Ochsen als Zugtiere hatten, gab es aber in jedem Dorf, meist am Rande, auch eingeschossige Häuschen und winzige Lehmhütten der ländlichen Unterschicht, in denen Hirten, Korbflechter, Besenbinder, Tagelöhner und Saisonarbeiter wohnten. Von ihren Hütten sind längst keine mehr, von ihren Häusern nur noch wenige übrig; die meisten wurden bereits im späten 19. Jahrhundert oder der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts abgerissen und durch Steinbauten ersetzt oder so eingreifend umgebaut, daß die ursprüngliche Hausgestalt heute nicht mehr erkennbar ist.

Entstehung der Industriereviere und Auflösung der alten Wohnformen

Ab 1850 erlebte die Industrie an der Saar, in Lothringen und Luxemburg eine Art Quantensprung – bestehende Unternehmen wuchsen, neue entstanden in rascher Folge. Im Bergbau und bald auch in den Eisenhütten wurden plötzlich binnen weniger Jahre riesige Heerscharen von Arbeitern benötigt. Die Folge dieses quantitativen und qualitativen Industriewachstums war eine innerregionale Verschiebung der Bevölkerung. Von den Randzonen des heutigen Saarlandes wanderten die Männer oder ganze Familien hin zum Industriegebiet an Saar und Mosel. Aus dem Hochwald, dem Hunsrück, der Pfalz, dem Bitscher Land und dem nahen Lothringen, teilweise auch aus dem Nordelsaß kamen die fast ausschließlich katholischen Zuwanderer, die in ihren jeweiligen Nahbereichen keinen Broterwerb mehr fanden. Der steigende Bedarf an Arbeitskräften in der sich entwickelnden Industrie führte ab 1850 zur drastischen Veränderung des bisher ländlich geprägten Raumes.

Die Trennung von der Familie, der Aufenthalt in winzigen Zimmern im sozialen Fremdraum der Mietsfamilie oder das kasernenartige Leben der Schlafhäuser ohne jegliche Privatsphäre waren maximal für einige Jahre zu verkraften. Spätestens wenn die Arbeiter und Arbeiterinnen heirateten, suchten sie in der Regel ein anderes Unterkommen. Viele Arbeiter holten ihre Familien daher nach oder heirateten vor Ort. Sie siedelten sich nahe dem Arbeitsplatz oder in Dörfern nahe dem Arbeitsort an. Diese regionale Tendenz zu Bodenständigkeit und Wohneigentum kam den Interessen des preußischen Bergfiskus und der privaten Unternehmer sehr entgegen. Die Unternehmen beobachteten in anderen Industrieregionen Europas, daß die Wohnsituation eine der Hauptursachen von sozialen Unruhen und politischen Bewegungen der Unterschichten war. Solche sozialen und politischen Unruhen wollte man durch eine gezielte Wohnungsbau- und Sozialpolitik vorbeugen, um insbesondere den Einfluß des Sozialismus zu entkräften.

Mit dem Zuzug in ein neues Dorf, der um der Industriearbeit willen erfolgte, erübrigte sich in der Regel der Bau funktionsgebundener Wohnformen ebenso, wie aus Geldmangel die Möglichkeit entfiel, sich ein bäuerliches Anwesen zu erwerben. Zugleich bestand bei den alteingesessenen Dorfbewohnern keine Notwendigkeit mehr, in großen Bauernhäusern zu leben, wenn die Landwirtschaft zugunsten der Industriearbeit aufgegeben wurde. Aus dem Wechselspiel dieser Bedürfnisse und Notwendigkeiten entstanden auch in weitab vom Industrierevier gelegenen Dörfern die Bergmannsbauernhäuser und Arbeiterhäuser, die vornehmlich von zugezogenen katholischen Familien bewohnt wurden. Auch die Teilung alter Bauernhäuser, verbunden mit einem Umbau des Scheunenteils zu Wohnzwecken, breitete sich in den Dörfern immer mehr aus. Unter dem Einfluß der Industrialisierung nivellierten sich die einst deutlichen Unterschiede in den dörflichen Wohnformen, so daß in den Dörfern der heutigen Großregion eher die Einrichtung der Häuser, die Größe des Grundstücks, dessen Abgrenzung nach außen und das bzw. die Autos vor der Haustüre die Indizien für Reichtum oder Armut in der Dorfgesellschaft darstellen.

Wochenendpendler, Schlafhäusler, Kostgänger, Bergmannsbauern

Viele neue Industriearbeiter, die ab 1850 ins Saarrevier strömten, behielten zunächst ihre alten Wohnsitze bei und blieben nur während der Woche am Arbeitsort. Die Wochenend- und Tagespendler mußten für die Lohnarbeit im Industrierevier lange, zeitraubende Fußmärsche von bis zu 40 Kilometern einfacher Wegstrecke in Kauf nehmen – die aus dem Hochwald stammenden Bergleute nannte man deshalb bald „Hartfießer“ (Hartfüßer) – sie hatten so weite Wege, daß sie sich eigens grobe Wanderschuhe mit Sohlen aus Holz oder Grubengummi anfertigten, um das teure normale Schuhwerk vor zu schnellem Verschleiß zu schützen. Der Ausdruck „Hartfießer“ fand auch Anwendung auf andere Bergleute, von denen viele – nach Ablauf der Zwölf-Stunden-Schicht – täglich bis zu insgesamt 20 Kilometern auf Bergmannspfaden und anderen Wegen zurücklegten. Ähnlich weit hatten es viele Hüttenarbeiter.

Die Wochenend-Pendler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts übernachteten als „Kostgänger“ (Untermieter mit Teil- oder Ganzverpflegung) in den Häusern oder Wohnungen von Arbeitskameraden, andere mußten die rigiden Regelungen des Lebens im Schlafhaus befolgen. Schlafhäuser wurden vom Bergfiskus vorwiegend an den Grubenstandorten errichtet, die eine besonders explosive Belegschaftsentwicklung durchmachten – beispielsweise die Grube und Siedlung Von der Heydt. Es gab auch Schlafhäuser der Eisenwerke, z.B. in der Völklinger Hütte. Bald aber zeigte sich, daß das Kostgänger- und Schlafhauswesen keine dauerhafte Lösung des Pendlerlebens sein konnte: Die Bergleute gingen ungern in die Schlafhäuser, behalfen sich eher als Kostgänger. Die Mehrausgaben für Kost, Logis und Schuhwerk waren aber in beiden Fällen beträchtlich, so daß ein großer Teil des Verdienstes dadurch wieder verloren ging.

Folgen für Familien und Dorfgemeinschaft

Die bäuerliche Kleinwirtschaft zu Hause mußte von den Frauen mit Hilfe der Kinder zusätzlich zu ihrer bisherigen Hausarbeit erledigt werden. Von der nun knapp bemessenen restlichen Zeit der Männer und Frauen blieb dadurch kaum etwas übrig. Der soziale Zusammenhang der Familien wurde durch diese Lebensweise stark belastet. Oft kam es zu Auseinandersetzungen um Fragen der landwirtschaftlichen Arbeit und der Hausarbeit, wenn die Männer ihre während der Woche aufgestauten Aggressionen als Prügel an den Frauen und Kindern entluden, weil die Frauen unter der Woche allein entschieden, was und wann etwas zu geschehen hatte. Auch die Dorfgemeinschaft litt unter dieser Entwicklung. Die beginnende Erosion dörflichen Brauchtums, die seit dem späten 19. Jahrhundert einsetzte, auch in Dörfern weitab vom inneren Industrierevier, geht auf diese Entwicklung zurück. Eine Freizeitgestaltung im heutigen Sinne gab es auf den Dörfern noch nicht, sie entwickelte sich vorwiegend im Saartal als weitere Folge der Industriearbeit ab Mitte des 19. Jahrhunderts.

Bergmanns- und Arbeiterbauern

An der Saar bildete sich in dieser Zeit – bedingt durch die Bodenständigkeit der Bevölkerung in der Großregion – der prägende soziale Typus des „Bergmannsbauern“ bzw. „Arbeiterbauern“ heraus, ein Ausnahmefall in der deutschen und europäischen Sozial- und Wirtschaftsentwicklung. Die letzten Bergmanns- bzw. Arbeiterbauern waren bis weit in die 1970er Jahre hinein tätig. Die baulichen Reste dieser agrarisch-industriell gemischten Existenzform begannen endgültig erst zeitgleich mit dem Untergang der Montanindustrie zu verschwinden. Seither hat die als typisch saarländisch geltende Begeisterung für Umbauten am Wohneigentum dafür gesorgt, daß viele frühere Bergmannsbauernhäuser baulich eingreifend umgebaut und nur noch mit geübtem Auge im Dorfbild erkennbar sind.

Dörfliche Siedlungskerne, isolierte Kolonien, Kettelersiedlungen, Einsiedlerhöfe, Neubaugebiete

Allmählich entwickelten sich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zwei neue Siedlungsformen im Industrierevier: Um die alten Dorfkerne der Orte im engeren Revier entstanden neue Häuserzeilen, vielfach zunächst als Fortsetzung entlang der Straße. Viele Dörfer, die bislang nur aus einer Häuserreihe oder einigen Straßen um die Kirche bestanden hatten, hatten bald den Charakter weit auseinandergezogener Straßendörfer. Dörfer, die früher isoliert voneinander lagen, wurden durch diese Häuserreihen, die bis zur jeweiligen Banngrenze reichten, allmählich miteinander verbunden. Dieser Prozeß vollzog sich im Saarland besonders im Sulzbach-, Fischbach- und Köllertal. Eine Verdichtung innerhalb der alten Dorfkerne fand dagegen zunächst kaum bzw. erst mit jahrzehntelanger Verzögerung statt, vor allem wegen der großen bäuerlichen Haus- und Gartengrundstücke und der Äcker direkt hinter den Häusern.

Die zweite Siedlungsform des 19. Jahrhunderts waren komplette Neusiedlungen oder neue Ortsteile, die an den Standorten neu gegründeter Unternehmen entstanden, allen voran die Bergmannskolonien. Erste Rodungssiedlungen nahe den neuen Eisenbahngruben entstanden beispielsweise 1856 in Altenwald, Bildstock, Heinitz, Göttelborn, Heiligenwald und Elversberg, das als erste der frühen Kolonien zur eigenständigen Gemeinde wurde. Gegen Ende des Jahrhunderts kamen die Mietshauskolonien dazu, so etwa Maybach ab 1884. Dieser „Bauboom“ der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vollzog sich im Saarland fast ausschließlich in den Ortschaften entlang der Saar zwischen Saargemünd und Merzig, im Warndt, in den Tälern des engeren Kohle- und Hüttenreviers (Köllertal, Fischbachtal, Sulzbachtal) sowie im Einzugsbereich von Neunkirchen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden im Saarland zur Behebung der Wohnungsnot in vielen Dörfern sogenannte Ketteler-Siedlungen errichtet, so benannt nach dem katholischen Sozialwerk des gleichnamigen Bischofs. Die französische Bergverwaltung Régie des Mines de la Sarre setzte die Wohnungsbaupolitik ihrer deutschen und französischen Vorgänger aus nationalsozialistischer Zeit, Saargebietszeit und preußischer Zeit durch weitere Siedlungen fort, wenn auch längst nicht mehr im gleichen Umfang wie die Mines Domaniales in den 1920er Jahren.

In den 1960er Jahren wurden im Zuge der Flurbereinigung im Saarland verschiedene Einsiedlerhöfe errichtet, so beispielsweise auf dem Bann Rittenhofen (Ortsteil Köllerbach, heute Stadtteil von Püttlingen). Seit dieser Zeit wurden und werden überall im Saarland zahlreiche flächenfressende Neubaugebiete genehmigt und errichtet; die Ursachen für diesen enormen Landschaftsverbrauch liegen teilweise im sozialen Bereich, so z.B. in den gestiegenen Ansprüchen an die Wohnfläche der Kleinfamilie, in der Zunahme von Ein- und Zweipersonenhaushalten, aber auch in dem Unwillen, sich mit traditionellen Wohnformen konstruktiv auseinanderzusetzen.

Quellen und weiterführende Literatur

Cohen, Jean-Louis/Frank, Hartmut (Hg.), Les relations franco-allemandes 1940–1950 et leurs effets sur l’architecture et la forme urbaine. Projet de recherche commun 1986–1989/Deutsch-französische Beziehungen 1940–1950 und ihre Auswirkungen auf Architektur und Stadtgestalt. Gemeinsames Forschungsprojekt 1986–1989, Abschlußbericht, unveröffentlichtes Manuskript, 3 Bde.

Dillmann, Edwin (Hg.), Erinnerungen an das ländliche Leben. Ein historisches Lesebuch zur dörflichen Welt an der Saar im 18./19. Jahrhundert, St. Ingbert 1991.

Exner, Peter; Ländliche Gesellschaft und Landwirtschaft in Westfalen 1919–1969 (Westfälisches Institut für Regionalgeschichte, Forschungen zur Regionalgeschichte, Bd. 20), Paderborn 1997.

Habicht, Werner, Dorf und Bauernhaus im deutschsprachigen Lothringen und im Saarland (Arbeiten aus dem Geographischen Institut der Universität des Saarlandes, Bd. 27), Saarbrücken 1980.

Henkel, Gerhard, Der ländliche Raum. Gegenwart und Wandlungsprozesse in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert, Stuttgart 1993.

Ilien, Albert/Jeggle, Utz, Leben auf dem Dorf. Zur Sozialgeschichte des Dorfes und Sozialpsychologie seiner Bewohner, Opladen 1978.

Mai, Uwe, Ländlicher Wiederaufbau in der „Westmark“ im Zweiten Weltkrieg (Beiträge zur pfälzischen Geschichte, Bd. 6), Kaiserslautern 1993.

Prediger, Alois, Neuerungen und Erhaltung im ländlichen Raum (1830–1970). Eine sozialgeograghische Untersuchung im Stadt-Umland-Bereich westlich von Saarlouis, Saarbrücken 1986.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.