Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

„Deutscher“ Wohnbau im Saargebiet (1920–1935)

Wohnhäuser, Behringstraße 8 und 10 sowie Robert-Koch-Straße 2, St. Arnual/Saarbrücken

Baugeschichte

Der Glasfabrikant Leo Wentzel ließ während der Saargebietszeit in St. Arnual mehrere Wohnbauten planen und errichten. Der barockisierende Bau des Wohnhauses Robert-Koch-Straße 2 (mit Auffahrt) wurde 1923 für Wentzel vermutlich nach Plänen von Dipl. Ing. Krücken aus dem Büro Ludwig Nobis erstellt. Die zwei Wohnhäuser in der Behringstraße 8 und 10 sind der einzige realisierte Teil eines größeren Ensembles von mehreren geplanten Wohnhäusern, die Rudolf Krüger 1934–1935 im Auftrag des Glasfabrikanten entwarf und baute. Alle genannten Bauten stehen heute unter Denkmalschutz. Das Haus in der Robert-Koch-Straße wird heute vom Deutschen Roten Kreuz als Schwesternhaus genutzt, die Häuser in der Behringstraße dienen als private Wohnhäuser.

Regionalhistorischer Kontext

Die architektonische Gestaltung von Wohnhäusern konnte 1920–1935 ähnlich – wie viele Kirchenbauten – ein Ausdruck der politischen Kultur des von Deutschland abgetrennten Saargebiets werden. Das repräsentative, villenartige Wohnhaus in der Robert-Koch-Straße fällt in seiner barockisierenden formalen Gestaltung nicht nur weit hinter die Möglichkeiten des Formenspektrums des Modernen Bauens (auch Neues Bauen genannt), sondern auch hinter die bevorzugten Stile der Jahrhundertwende zurück. Die Wohnhäuser in der Behringstraße können noch weitergehend als steingewordene Politik und Ausdruck des Abstimmungskampfes um die Saar 1933–1935 interpretiert werden: Unter Einfluß der sogenannten „Stuttgarter Schule“ nehmen sie traditionelle, als deutsch angesehene Bauformen wieder auf. Ihre Formensprache stellt eine Abkehr vom Stil des Neuen Bauens dar, wie er beispielsweise bei Wohnbauten gepflegt wurde, die in Saarbrücken 1927–1929 von der Internationalen Regierungskommission des Saargebietes in Auftrag gegeben und errichtet wurden (Wohnanlagen Großherzog-Friedrich-Straße 132–148, Halbergstraße 70–82, Hellwigstraße 7–13, Lessingstraße 54–60, St. Johann und Wohnhauszeile, Riegelsberger Straße 17–25, Malstatt). Der planende und ausführende Architekt der Wohnhäuser in der Behringstraße, Rudolf Krüger (geboren 1898 in Koblenz, gestorben 1980 in Saarbrücken), hatte in Karlsruhe studiert und war 1925 im Hochbauamt der Stadt Saarbrücken tätig. 1926 wurde er zum Regierungsbaumeister ernannt und blieb auch 1935 im Amt. Zu seinen damaligen Hauptarbeitsgebieten zählten Gemeindebauten, Kirchen, Einfamilienhäuser und Schulen; als Gebietsarchitekt der Hitlerjugend plante er außerdem HJ- und BDM-Heime und erhielt 1938 einen Ruf an die Architekturklasse der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf. Während des Krieges war er unter anderem 1941–1945 Leitender Architekt des Wiederaufbaus in St. Avold und errichtete in der Westmark zahlreiche landwirtschaftliche Bauten, ohne sein Privatbüro in Saarbrücken aufzugeben. 1946 nahm er seine freiberufliche Tätigkeit in Saarbrücken wieder auf, beteiligte sich federführend am Aufbau der saarländischen Architektenkammer, leitete den heftig umstrittenen Wiederaufbau der barocken Ludwigskirche (Saarbrücken) und anderer Sakralbauten im Saarland. Auch später wurde er im Saarland mit zahlreichen öffentlichen Aufträgen (Kirchen, Schulen, Krankenhäuser) betraut.

Quellen und weiterführende Literatur

Cohen, Jean/Frank, Hartmut (Hg.), Les relations franco-allemandes 1940–1950 et leurs effets sur l'architecture et la forme urbaine. Projet de recherche commun 1986–1989/Deutsch-französische Beziehungen 1940–1950 und ihre Auswirkungen auf Architektur und Stadtgestalt. Gemeinsames Forschungsprojekt 1986–1989, Abschlußbericht, unveröffentlichtes Manuskript, 3 Bde., Bd. III, Teilband 2, S. 662.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 154 und 158.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.