Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Kaiser Wilhelm I. in Saarbrücken (1871–1945)

Rathausplatz St. Johann/Saarbrücken; Alte Brücke und Malstatter Brücke, Saarbrücken; Preußische Brücke zwischen Rilchingen-Hanweiler/Kleinblittersdorf und Sarreguemines

Baugeschichte

Dem Gedenken an Kaiser Wilhelm I. (1797–1888) wurden im Saarrevier zahlreiche Denkmale gewidmet. Nach ihm wurden öffentliche Bauten in Stadt und Land benannt, ob Plätze, Straßen, Brücken, Schulen oder Aussichtstürme. In St. Johann hieß der zentrale heutige Rathausplatz zwischen Johanneskirche und dem neuen Rathaus Kaiser-Wilhelm-Platz. Die Kaiser-Wilhelm-Brücke (heute Malstatter Brücke) wurde 1894 eingeweiht. Sie verband die expandierenden Bereiche der Saarbrücker Vorstadt auf dem linken und diejenigen der Arbeiterstadt Malstatt-Burbach auf dem rechten Saarufer. Sie war nach der Alten Brücke und der Luisenbrücke die dritte Brückenverbindung in der Agglomeration der Städte Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach. Im nahen Güdingen wurde eine weitere Kaiser-Wilhelm-Brücke gebaut, in Hanweiler führte als Eisenbahnverbindung die Preußische Brücke über die Saar nach Saargemünd (Sarreguemines). Das wichtigste Denkmal des Saarreviers für Wilhelm I. war das Reiterstandbild, das auf der Alten Brücke genau an der Banngrenze zwischen Saarbrücken und St. Johann aufgestellt und am 14. Mai 1904 feierlich eingeweiht wurde. Der Kaiser war, der jahrhundertelangen Tradition militärischer Reiterstandbilder folgend, in Generalsuniform auf einem tänzelnden Pferd abgebildet. Die Einweihung dieses Denkmals war Anlaß für den einzigen offiziellen Besuch des Kaisers Wilhelm II. und der Kaiserin Auguste Viktoria in den Saarstädten. Das Standbild von Adolf Donndorf (Stuttgart), eine Abwandlung des von ihm erstellten „Hohensyburger Reiters", stand mit Blickrichtung nach Südosten. Außer dem Reichsadler und den beiden Stadtwappen trug das Denkmal weder weiteren Schmuck noch eine Inschrift. St. Johann war bereits seit dem Todesjahr des Kaisers 1888 um die Errichtung eines Denkmals für Wilhelm I. bemüht gewesen, nachdem dieser zu seinen Lebzeiten die Errichtung von Denkmälern zu seinen Ehren immer zu verhindern versucht hatte. Man hatte eigens eine Spendensammlung in der St. Johanner Bevölkerung dafür veranstaltet, kam aber mit dem konkreten Projekt nicht voran. Währenddessen stellten zahlreiche deutsche Städte Reiterstandbilder Wilhelms I. auf. Der Ingenieur Friedrich Rexroth erklärte sich schließlich 1899 bereit, den Saarstädten Saarbrücken und St. Johann eine bereits von dem Stuttgarter Bildhauer Professor Donndorf angefertigte Reiterstatue zu schenken (Kosten: 20000 Mark). Rexroth machte zur Bedingung, daß das Standbild auf der Brücke genau an der Stadtgrenze der beiden Städte stehen sollte: Es sollte die alte Rivalität der beiden Städte beseitigen und zwischen ihnen einen symbolischen Brückenschlag im Zeichen der Reichseinigung schaffen. Vom „Denkmalcomitee der Stadt Saarbrücken“ wurde entgegen Rexroths Vorschlag eine viel teurere, 4,50 m hohe Statue auf einem Granitsockel von 2,40 m Höhe empfohlen, um die gewünschte monumentale Wirkung zu erzielen. Dadurch erwies sich wiederum der in Verhandlungen bestätigte Aufstellungsort als bautechnisches Problem: Es mußte eigens ein Vorbau zur Brücke geschaffen werden, um den Verkehrsfluß auf der Brücke weiter zu gewährleisten. Dies erforderte bei der dortigen Beschaffenheit des Flußbettes aufwendige Fundamentierungsarbeiten und die Absenkung des Leinpfades in Brückennähe. Die Mehrkosten betrugen rund 63000 Mark. Die Baukosten stiegen drastisch auf rund 137977,95 Mark an, von denen Donndorf allein 59770,59 Mark erhielt. Außer Rexroth beteiligte sich auch Karl Röchling durch eine Spende von 20000 Mark an der Finanzierung. Die restlichen 100000 Mark brachten die beiden Städte auf. Die Positionierung des Reiterstandbildes von Kaiser Wilhelm I. im Weichbild der damaligen Saarstädte Saarbrücken und St. Johann enthält eine doppelte ikonographische Botschaft, die auch den anderen vor 1918 errichteten nationalen Denkmalen in den Saarstädten zu eigen war. Einerseits wiederholte die Ehrung des Kaisers das klare Bekenntnis zur Reichseinigung von 1871 und deren durch Krieg erstrittenen Charakter. Indirekt enthielt dieses Bekenntnis auch eine Selbstfeier der Saarstädte, die sich zeitgenössischer Bewertung zufolge einen großen Anteil am Kriegsergebnis zurechnen durften. Andererseits war es gerade wegen des Zusammenhanges mit dem Krieg auch eine eindeutig antifranzösische Botschaft. Der Kaiser in Generalsuniform schaute flußaufwärts und zugleich zum Winterbergdenkmal, also sowohl geographisch wie symbolisch in Richtung Frankreich. Wie aus zeitgenössischen Fotos vom Kriegsende an der Saar hervorgeht, war trotz der Teilsprengung der Brücke durch flüchtende deutsche Truppen 1945 das Wilhelm I.-Denkmal noch vorhanden. Während es im Volksmund und in der älteren Literatur hieß, das Denkmal sei wenige Tage oder Wochen nach Kriegsende auf Veranlassung der französischen Besatzer verschwunden, zeigt ein Foto vom 21. Januar 1946 das Denkmal noch am Standort. Danach verliert sich seine Spur.

Regionalhistorischer Kontext

Der Deutsch-Französische Krieg 1870/1871 hatte bei den bürgerlichen Schichten der Saarstädte einen Schub nationaler Identitätsbildung ausgelöst, der sich im Stadtbild auf verschiedene Weise zeigte, so etwa durch die Benennung zentraler öffentlicher Bauten, das Aufstellen von Denkmalen und das Pflanzen von Gedenkbäumen. Schon allein die Benennung bzw. Bebauung der Brücken in und um Saarbrücken vermittelte eine antifranzösische Botschaft. Die Saarstädte und die nähere Umgebung verfügten zu diesem Zeitpunkt bereits über mehrere authentische Orte der Erinnerung an die Geschehnisse von 1870/1871 und touristisch aufbereiteter Attraktionen: das Schlachtfeld mit seinen Denkmalen und Gräbern sowie das Gasthaus Woll auf den Spicherer Höhen, den Lulustein, das als Kriegerehrenfriedhof konzipierte Ehrental (heute Deutsch-Französischer Garten), das Gasthaus an der Bellevue, den Friedhof in St. Johann und die einzelnen Soldatengräber in Spichern (Spicheren), Saarbrücken, St. Johann oder Malstatt-Burbach, das Winterbergdenkmal von 1874 und die Gemälde im Sitzungssaal des Rathauses St. Johann. Zugleich gehörte ein monumentales Denkmal für Wilhelm I. inzwischen so sehr zur offiziellen Selbstdarstellung deutscher Städte, daß trotz der Bauprobleme die Aufstellung unbestritten blieb. Die Kosten führten zu langen Debatten und Auseinandersetzungen in bzw. zwischen den beiden Stadträten. Friedrich Rexroth hatte nicht zufällig mit diesem Denkmal den Versuch unternommen, die alte Rivalität der beiden Städte beseitigen zu helfen. Zu diesem Zeitpunkt war das Zusammenwachsen der Städte Saarbrücken, St. Johann und Malstatt-Burbach zur urbanen Agglomeration so weit vorangeschritten, daß die kommende Vereinigung zur Großstadt nur noch eine Frage der Zeit war. Dies blieb aber vor allem in Saarbrücken und St. Johann ein brisantes lokalpolitisches Thema. Insofern enthielt die Positionierung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals auf der Banngrenze noch eine dritte Botschaft, nämlich die eindeutige politische Absage an diejenigen Kräfte in beiden Städten, die sich gegen die Städtevereinigung zu sperren suchten. Das Gezerre um die Denkmalkosten und die Zukunft der Stadt tat der zeitgenössischen regionalen Kaiserverehrung in den bürgerlichen Kreisen der Saarstädte aber keinen Abbruch. So wollte der Saarbrücker Konditor Otto Becker (Eisenbahnstraße) 1903 das geplante Denkmalrelief als Vorlage für Kaiserbilder aus Marzipan und Schokolade benutzen, seine Bitte an die Stadt St. Johann wurde aber abgelehnt. Der Besuch des Kaiserpaares zur Einweihung 1904, von den beiden Städten unter immensem Aufwand vorbereitet, von den Einwohnern bejubelt und den führenden Bürgern hinterher ausgiebig im Casino gefeiert, dauerte weniger als zwei Stunden. 1892 hatte sich Wilhelm II. für einen Privatbesuch des Stummschen Schlosses auf dem Halberg mehrere Tage Zeit genommen, jedoch die Bitte um einen offiziellen Besuch der beiden Saarstädte mit der Begründung abgelehnt, es herrsche Zeitmangel. Ebenso erging es 1903 der jungen Stadt Malstatt-Burbach, damals bedeutendster Stahl-Produktionsstandort im Saarrevier. Die von nationaler Begeisterung getragene Haltung der bürgerlichen Saarbevölkerung traf hier unvermittelt auf die tatsächlichen Interessen kaiserlicher Besuchspolitik.

Quellen und weiterführende Literatur

Fuchs, Ulrike, Der Bildhauer Adolf Donndorf: Leben und Werk, Stuttgart 1986, S. 110. Dort finden sich Hinweise auf die ältere Literatur und zeitgenössische Zeitungsberichte. Fuchs nennt als Quellen, jedoch ohne Bestandsangabe: Stadtarchiv Saarbrücken, Nummer 151, 156.

Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand 6 (St. Johann), Nummer 23, 35, 37. Anmerkung: In Nummer 35 befindet sich u.a. eine Handzeichnung der ausführenden Gießerei Gladenbeck. Die Position des Denkmals auf der Brücke ist darin mit zwei Ansichten wiedergegeben, von hinten und oben. In der gleichen Quelle befinden sich zwei zeitgenössische Foto-Postkarten der Brücke, von Saarbrücken und St. Johann aus gesehen. Hier wurde offenbar während der Planungen die Position des Denkmals von Hand eingezeichnet, um die künftige Wirkung im Stadtbild abzuschätzen.

Wittenbrock, Rolf, Die drei Saarstädte in der Zeit des beschleunigten Städtewachstums (1860–1908), in: Ders. (Hg.), Geschichte der Stadt Saarbrücken, Bd. 2, Saarbrücken 1999, S. 11–130, dort S. 28–33.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.