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Gerhild Krebs

Domanialschulen im Saargebiet (1920–1935)

Ehemalige Französische Schule, Dudweilerstraße 29, St. Ingbert; Ehemalige Domanialschule, Mellinweg 14, Sulzbach

Baugeschichte

Die französische Bergwerksverwaltung ließ seit 1920 insgesamt 18 sogenannte Domanialschulen für Bergmannskinder bauen, um sie zur französischen Sprache und Kultur umzuerziehen. Eine eingehende historische Untersuchung dieser Schulen fehlt bislang, doch lassen sich die Vorgänge aus Quellenstudien für einzelne Orte umreißen. Schulleiter und Lehrer wurden eigens in Frankreich angeworben, z.B. im Elsaß, und vor Ort in Grubenwohnungen angesiedelt. In diesen Französischen Schulen, wie sie im Volksmund hießen, wurde meist auf Französisch unterrichtet. Frankreich war auch vorrangiger Gegenstand des Unterrichtsstoffes, insbesondere in den Grundlagenfächern Geschichte und Geographie. Domanialschulen wurden nur an Grubenstandorten und nur auf grubeneigenem Gelände und auf Kosten der einzelnen Gruben errichtet. Sie wurden zu einem Kristallisationspunkt deutsch-französischer Auseinandersetzungen an der Saar.

In St. Ingbert nutzte man für die Domanialschule einen angekauften eingeschossigen Bau mit Satteldach, der zur Straße hin mit einer mannshohen Einfriedungsmauer versehen war. Das ehemalige Laborgebäude des Eisenwerkes St. Ingbert war zwischen 1887 und 1898 in der Dudweilerstraße 29 erbaut worden und wurde nun Französische Schule genannt. In der Wohnsiedlung bei der Grube Velsen wurde vor 1925 eine Domanialschule errichtet. Der neoklassizistische zweigeschossige Putzbau mit Walmdach ist von Werksteinen gegliedert und hat zwei niedrigere Anbauten sowie ein Hofgebäude. Heute wird das Haus von einem Kindergarten und dem Technischen Hilfswerk genutzt. In Sulzbach wurde im Jahr 1920 auf Kosten der Grube Mellin am Mellinweg 14 ein Gebäude zunächst als französische Kaserne errichtet und genutzt. Ab 1929 diente der langgestreckte Putzbau mit Rustikasockel und Eckpavillons als Domanialschule. Diese Umnutzung war möglich, da ab 1927 ein Teil der im Saargebiet stationierten französischen Besatzungstruppen abzog. Im Köllertal gab es zwei Domanialschulen. Am Engelfanger Aspenschacht richtete man 1931 eine kleine Grundstufe mit Unterricht in Deutsch ein. In Püttlingen gab es in den Gebäuden der Grube Viktoria bereits seit 1924 eine Vollstufe mit Unterricht in Französisch. Hier fungierte der Lehrer Albert Aubry aus dem französischen Faymont vom 6. Mai 1924 bis 28. Februar 1935 als Schulleiter. Am 28. Februar 1935, dem Tag des Übergangs der Amtsgeschäfte (12 Uhr mittags Ortszeit) und somit zwölf Stunden vor dem Übergang der Regierungshoheit an die nationalsozialistische Regierung am 1. März 1935, ging Aubry mit seiner Familie nach Le Tholy/Lothringen und später nach La Forge. Aubry stellte 1950 bei den deutschen Behörden einen Antrag auf Wiedergutmachung und bezeichnete sich darin als Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Der Antrag wurde abschlägig beschieden.

Landesweit waren die Kinder an Domanialschulen bis 1935 nur eine sehr kleine Gruppe. Der Höchststand lag 1924 bei rund 4400 Kindern gegenüber rund 120000 Kindern an den deutschen Schulen des Saargebietes. Einer lokalen Statistik zufolge besuchten 1930 knapp 10% aller schulpflichtigen katholischen Kinder aus Engelfangen die Domanialschule Püttlingen.

Regionalhistorischer Kontext

Zwischen 1920 und 1935 griffen Kultur-, Bildungs- und allgemeine Politik besonders eng ineinander. Das neu geschaffene Saargebiet stand unter der Verwaltungshoheit einer fünfköpfigen, mit autokratischen Befugnissen ausgestatteten Regierungskommission des Völkerbundes, zu der laut Versailler Vertrag ein Franzose, drei Angehörige anderer Mitgliedsländer des Völkerbundes und ein Saarländer gehörten. Außer auf kommunaler und Kreisebene hatte die Saarbevölkerung in dieser Zeit keinerlei eigene politische Befugnisse, denn der 1922 eingerichtete Landesrat hatte nur beratende Funktion. Dies wurde als besonders belastend empfunden, denn es geschah zu einer Zeit, als in Deutschland und anderen Ländern die Bevölkerung erstmals wirksame politische Mitspracherechte wie etwa das Wahlrecht ausüben konnte. Im Vergleich dazu hatte die Saarbevölkerung 1920–1935 sogar weniger bürgerliche Rechte als vor 1918. Für 1935 war eine Volksabstimmung zur endgültigen Entscheidung der Zugehörigkeit des Saargebietes vorgesehen. Von drei möglichen Optionen war eine der dauerhafte Anschluß des Saargebietes an Frankreich, das die Saarbevölkerung mit verschiedenen Mitteln für diese Option zu gewinnen suchte. Die Mines Domaniales de la Sarre konnten hierauf als größter Arbeitgeber den direktesten Einfluß ausüben, weil die Saargruben als Reparationsbetriebe dienten. Die meisten Bergleute und ihre Familien, die Zielgruppe der Domanialschulen, lehnten Formen und Inhalte des Unterrichts als ideologisch einseitig ab. Die Schulpolitik der Mines Domaniales wurde auch von der breiten Bevölkerung als Indoktrination und unzulässigen Eingriff in die zeitgenössische deutsche Schulbildung an der Saar empfunden. Der schulpolitische Versuch der Mines Domaniales führte gerade nicht zu einer profranzösischen Vertrauensbildung, sondern zur gegenteiligen Reaktion: Fortan wurde in den staatlichen deutschen Schulen des Saargebietes alles getan, was der nationalen Identitätsbildung der Kinder als Deutsche dienlich sein konnte. 1923 verschärfte sich die schulpolitische Lage durch den Saar-Bergarbeiterstreik (Februar bis Mai 1923), der nur oberflächlich ein Kampf um Löhne war. Ursächlich war er eine Folge der Besetzung des Ruhrgebietes durch Frankreich (Anfang 1923) – auch dort diente die geförderte Kohle zur Zahlung von Reparationen. Der Streik an der Saar galt den Zeitgenossen eindeutig als Streik gegen Frankreich, da die Arbeiter sich solidarisch mit den Kollegen im Ruhrgebiet verhielten. Die Regierungskommission unterstützte die französische Bergverwaltung mit dem Einsatz der französischen Besatzungstruppen gegen die Streikenden. Die Verantwortung dafür trug der französische Staatsrat Victor Rault (Lyon), der 1920–1926 als Präsident der Regierungskommission die zentrale Machtposition und Entscheidungsbefugnis im Saargebiet innehatte. Rault hatte seit seinem Amtsantritt 1920 stets vorrangig die Interessen seines Landes vertreten und daraus in Sach- wie in Fragen des politischen Stils keinen Hehl gemacht. Die drei Vertreter der anderen Mitgliedsstaaten des Völkerbundes zeigten in dieser Zeit eine indifferente bis profranzösische Haltung. Mit dem Einsatz der Truppen gegen die Streikenden besiegelte Rault den tiefen Bruch zwischen Regierungskommission und Bevölkerung. Er untergrub das Ansehen des Völkerbundes und seiner Vertreter an der Saar. Erst nach dem Ende von Raults Amtszeit 1926 entspannte sich das Verhältnis der Saarbevölkerung zur Regierungskommission spürbar, auch wenn weiterhin Anlaß zu herber Kritik bestand, daß Raults Neffe noch immer der Regierungskommission angehörte. Die Auseinandersetzung um die Domanialschulen blieb bestehen und entwickelte sich zu einem der brisantesten Themen der Saarpolitik. Viele deutsche Lehrer und Lehrerinnen, der zunehmenden Konkurrenz französischer Kollegen ausgesetzt, sahen sich als Speerspitzen im Kampf gegen eine erzwungene Französisierung der Kinder und ihre Aufgabe als deutsche Beamte im Eintreten für deutsche Sprache und Kultur. Die Bergleute waren als Arbeitnehmer von dem Monopolarbeitgeber Mines Domaniales abhängig, wenn sie nicht samt Familie ihre Heimat verlassen wollten. Man drohte den Bergleuten, ihre Söhne später nicht auf den Gruben anzulegen (als Arbeitskräfte zu beschäftigen), falls diese nicht die Domanialschulen besuchten, und belohnte die betroffenen Kinder mit einem Geldgeschenk von 10 Frs. Offiziell bestritt die Grubenverwaltung dieses Vorgehen. Diese Vorgehensweise des französischen Bergfiskus trug zur weiteren Verhärtung der politischen Fronten bei.

Trotz der landesweit niedrigen Zahl, die seit 1924 allmählich, ab 1933 rasch weiter abnahm, wurde die Gruppe der Kinder in Domanialschulen als sozialpolitische Manövriermasse benutzt: Ab 1933 hetzten die nationalsozialistischen Verbände und die von ihnen dominierte nationale Organisation Deutsche Front offen gegen die Domanialschulen und gegen Bergmannsfamilien, die ihre Kinder dort hinschickten. Der Stahlwerksbesitzer Hermann Röchling, einer der einflußreichsten Industriellen und wichtigster Unterstützer Hitlers an der Saar, rief öffentlich zum Boykott der Schulen auf. Die betroffenen Familien fanden sich zwischen 1933 und 1935 in einer politischen Zwickmühle: Wer seine Kinder von Domanialschulen abmeldete, galt als Verräter am französischen Arbeitgeber und verlor den Arbeitsplatz. Wer sie weiter in diese Schulen schickte, galt als Verräter an der deutschen Sache und wurde von der Deutschen Front bedroht, die Familie müsse das Saargebiet nach 1935 verlassen, wenn ihre Kinder weiterhin zur Domanialschule gingen. Die Kinder selbst wurden auf dem Schulweg von anderen Kindern häufig beschimpft und geprügelt. Auch zwischen den Eltern kam es wegen der Schulfrage zu aktenkundigen handgreiflichen Auseinandersetzungen. Die Einrichtung der Domanialschulen belegt eine extreme Fehleinschätzung der regionalen Mentalität seitens Frankreichs, und ihr forcierter Aufbau nach dem Streik von 1923 erwies sich bei der Abstimmung (13. Januar 1935) als ideologischer Bumerang.

Quellen und weiterführende Literatur

Ilgemann, Arnold, Franzosenschulen, St. Ingbert 1990

Krebs, Gerhild, Geschichte des Köllertals 1918–1948. Die Dörfer Köllerbach und Püttlingen, Manuskript.

Linsmayer, Ludwig, Politische Kultur im Saargebiet 1920–1932, St. Ingbert 1992.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 213, 234.

Zenner, Maria, Parteien und Politik um Saargebiet unter dem Völkerbundregime 1920–1935, Saarbrücken 1966.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.