Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
    Druckversion (PDF)    
 

Gerhild Krebs

Haus der Arbeiterwohlfahrt

Landesverband Saar, Hohenzollernstraße 45, Saarbrücken

Baugeschichte

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) war, nach der reichsweiten Gründung 1919 als Arbeitsgemeinschaft der SPD, auch im von Deutschland abgetrennten Saargebiet gegründet worden. Der Aufbau der Landesorganisation wurde besonders durch Angela Braun-Stratmann und Max Braun gefördert, die ab 1923 im Saargebiet für die Sozialdemokratische Partei Deutschlands tätig waren. 1930 war die AWO Saar bereits eine so starke Organisation, daß sie ein neues Gebäude benötigte. Das ehemalige Militärgebäude in der Hohenzollernstraße war von dem aus der Schweiz stammenden Architekten Otto Zollinger im sogenannten Internationalen Stil umgebaut worden und fand wegen seiner architektonischen Gestaltung überregionale Beachtung. Im ersten Obergeschoß des Treppenhauses befand sich ein Sgraffito (Wandmalerei in Kratzputz) von Käthe Kollwitz mit dem Titel „Die Mütter“, ein Motiv aus ihrem Holzschnitt-Zyklus „Der Krieg“ von 1923. Das Sgraffito drückte den Schutz, die Kraft und Initiative von Frauengruppen angesichts des Krieges aus – die Mütter bilden einen Kreis um ihre Kinder. An der Fassade neben dem Eingang wurde dagegen das überlebensgroße Relief „Symbol der Häuslichkeit“ angebracht, die Darstellung einer Arbeiterfamilie von Alfons Magg. Sie zeigte das traditionelle Motiv des Mannes als Beschützer und Ernährer der Kleinfamilie, deren emotionaler Zusammenhalt im Haus von der Ehefrau und Mutter geleistet wird. Im Erdgeschoß des Treppenhauses fand sich das gleiche Motiv in einem Wandgemälde des Schweizer Malers Karl Hügin. Nach dem Wechsel der Regierungsgewalt im Saargebiet vom Völkerbund an die nationalsozialistische Regierung (1. März 1935) wurde die AWO sofort verboten – wie andere Arbeiterorganisationen auch. Das Gebäude, dessen Nutzer nach der Abstimmung mehrheitlich hatten über die Grenze nach Frankreich fliehen müssen, wurde beschlagnahmt. Das Große Saarbrücker Rundfunkorchester des neuen Reichssenders Saarbrücken (ab 1935) wurde im März 1936 im AWO-Haus untergebracht, Käthe Kollwitz’ Arbeit dabei von den Nationalsozialisten zerstört. Hügins Gemälde wurde während des Krieges zerstört, als das Gebäude stark beschädigt wurde. Die AWO erhielt nach dem Krieg ihr Gebäude in diesem Zustand zurück und beauftragte den belgischen Künstler Frans Masereel, seit 1947 Lehrer für Malerei an der nahe gelegenen, neu gegründeten Schule für Kunst und Handwerk am Ludwigsplatz, an der Stelle des früheren Kollwitz-Sgraffitos ein Mosaik zu gestalten. Das Gebäude des AWO-Hauses wurde 1969–1970 durch Aufstockung und Umbau stark verändert und erinnert nur noch in architektonischen Details wie dem Maggschen Relief an den ursprünglichen Zollinger-Bau.

Regionalhistorischer Kontext

Das AWO-Haus von 1930 repräsentierte den Anspruch der AWO als Vertreterin moderner Sozialpolitik in und mit der Arbeiterschaft, die auf dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe basierte. Dem entsprach architektonisch die Tolerierung verschiedener künstlerischer Sichtweisen. Die neue Landesgeschäftsstelle beherbergte neben Büros und Tagungsräumen auch Freizeiteinrichtungen: ein Dachgarten-Café und ein Kino, in dem Filme zu politisch brisanten Themen wie z.B. Abtreibung gezeigt wurden. Im Haus der AWO konzentrierte sich 1933–1935 ein Großteil des politischen Kampfes gegen die NSDAP und die von ihr gesteuerte Deutsche Front. Neben dem AWO-Haus gab es in Saarbrücken noch weitere Anlaufstellen für Flüchtlinge: So führte Marie Juchacz, erste weibliche Reichstagsabgeordnete und Gründerin der Reichs-AWO, während dieser Zeit ein Restaurant in der Saarbrücker Bahnhofstraße. Auch in der damaligen SPD-Landesgeschäftsstelle (Brauerstraße 6–8, ÖTV-Haus) konnte man sich zusammenfinden. Für Tausende von Menschen führte ab 1933 der Weg ins Exil zunächst ins noch freie Saargebiet. Doch auch hier spitzte sich die Lage zu, je näher die Abstimmung (13. Januar 1935) rückte. Im Haus der AWO trafen sich die einheimischen Aktivisten der Arbeiterbewegung, die aus dem Reichsgebiet eintreffenden geflohenen Funktionärinnen und Funktionäre der SPD, und andere Gegner des Nationalsozialismus aus dem Saargebiet und dem Reich, so daß es eine Nachrichtenbörse des Widerstandes gegenüber der zunehmenden nationalsozialistischen Propaganda an der Saar darstellte. Das Haus war im Herbst und Winter 1934 einer der letzten Orte in Saarbrücken und im ganzen Saargebiet, wo die Einheitsfront noch ungestört Veranstaltungen abhalten konnte, ohne Saalverbote, Behinderungen oder Verhaftungen aus nichtigem Anlaß befürchten zu müssen. Sie war ein loser organisatorischer Zusammenschluß der Saar-KP und der SLS (Sozialdemokratische Landespartei des Saargebietes) unter dem Vorsitz des charismatischen Max Braun. In den gleichgeschalteten Zeitungen hieß es zur Zerstörung des Kollwitz-Sgraffitos, Arbeiter hätten sich gegen die undeutsche Darstellung deutscher Frauen gewehrt. Nur die Darstellung in Maggs Relief schonten die Nationalsozialisten – wohl deshalb, weil sie weder deren Kunst- noch Geschlechterideologie widersprach (Maaß). Masereel war wie Kollwitz ein sozialkritischer Künstler und selbst von den Nazis verfolgt worden. Sein Entwurf des Motivs einer Kleinfamilie, bearbeitet von Martha Traut und Volkmar Groß und ausgeführt von Villeroy & Boch, wirkt auf den ersten Blick ähnlich wie der Entwurf von Magg, aber seine Figuren drücken eine Gleichrangigkeit von Mann und Frau und einen Bezug der Frau zur Außenwelt aus.

Quellen und weiterführende Literatur

Dittmann, Marlen, Otto Zollinger – ein Schweizer Architekt im Saargebiet, Walsheim 1999.

Linsmayer, Ludwig, Politische Kultur im Saargebiet 1920–1932, St. Ingbert 1992.

Maaß, Karin, „Kunst am Bau – das Frauenbild der 30er und 50er Jahre“, in: Frauenbüro der Landeshauptstadt Saarbrücken/Frauenbibliothek und -dokumentationszentrum Saarbrücken (Hg.), Frauenwege in Saarbrücken, Saarbrücken 2000.

Paul, Gerhard, „Mach dich frei!“. Die Arbeiterkulturbewegung der Saargebietszeit, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard u.a. (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815–1935, 2. Auflage, Bonn 1988, S. 98–102.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 131.

 

>> zurück zum Seitenanfang

   
   
   
Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.