Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Europäischer Kulturpark (Parc Archéologique Européen)

Robert-Schuman-Straße 2, Reinheim/Gersheim bzw. 1, Rue Robert Schuman, Bliesbruck

Der Bliesgau – 6000 Jahre Geschichte

Der Bliesgau mit seiner nach Norden geschützten, nach Süden offenen Lage, seinem günstigen Mikroklima und seinen guten Böden in den Talauen bot den Menschen schon rund 4000 Jahre vor der Ankunft der Römer beste Bedingungen zum zeitweisen oder dauernden Aufenthalt. Es gibt – wie an vielen Stellen der Großregion Saar-Lor-Lux – im Bliesgau zahlreiche Fundstätten der Jungsteinzeit; mit geübtem Auge kann man sie entdecken, die dortige Herstellung von Steingeräten feststellen und mikrolithische Schaber, Klingen oder Pfeilspitzen finden. Zahlreiche bronzezeitliche Hügelgräber säumen die Höhenwege im Grenzgebiet, etliche davon sind jedoch durch Raubgräber zerstört. Bronzezeitliche Hortfunde, d.h. rituelle Hinterlegungen z.B. von Waffen oder Pferdegeschirr, sind in der Grenzregion mehrfach entdeckt worden. Der rund 2800 Jahre alte Hortfund von Reinheim, der 1964 entdeckt wurde, bietet hierfür ein Beispiel, ähnlich wie das Gräberfeld von Rubenheim/Gersheim für die Hallstattzeit (750–450 v. Chr.). Das Fürstinnengrab von Reinheim, dessen eindrucksvoller Grabhügel von 23 m Durchmesser und 4,60 m Höhe schon für sich genommen auf die Bestattung einer sehr einflußreichen Frau aus dem Stammesverband der keltischen Mediomatriker schließen läßt, enthielt reiche Grabbeigaben, die einen wissenschaftlichen Schatz aus Gold- und Bronzegegenständen bilden. Die Originale sind im Saarbrücker Museum für Vor- und Frühgeschichte zu sehen, Kopien befinden sich in der Grabrekonstruktion vor Ort in Reinheim. In dem mehrheitlich auf Bliesbrucker Bann gelegenen gallorömischen Vicus (Siedlung in der Größe eines Landstädtchens) zeugen die Reste eines ganzen Handwerker- und Händlerviertels mit größeren und kleineren Betrieben und Ladengeschäften von regem Handel und Wandel. Einige Hundert Meter entfernt vom Vicus lag die große gallorömische Villa Rustica (Bauernhof bzw. Gutshof) mit stattlichem Haupt- und zahlreichen Nebengebäuden, die sich heute auf Reinheimer Bann befindet. Vicus und Villa gingen durch die Germaneneinfälle (3./4. Jahrhundert) unter, sieht man von späteren Nutzungen der Ruine zu Wohnzwecken ab. Der Vicus, der heute von der deutsch-französischen Grenze durchschnitten wird, hatte während seiner Blütezeit ein Siedlungsareal von mehreren Dutzend Hektar zwischen den heutigen Ortschaften Bliesbruck und Reinheim, und war vermutlich das städtische Zentrum für ein Einzugsgebiet von 10–20 km Durchmesser, worauf unter anderem die große Thermenanlage schließen läßt.

Baugeschichte

Der Europäische Kulturpark in Bliesbruck-Reinheim ist ein Pionierobjekt der grenzüberschreitenden deutsch-französischen Zusammenarbeit auf Gemeindeebene. Die gemeinsame Geschichte des Saarlandes und Lothringens von frühgeschichtlicher bis frühmittelalterlicher Zeit bot die Grundlage zu diesem grenzüberschreitenden Kulturpark, der Archäologie und Sanften Tourismus verbindet und seit den späten 1970er Jahren hier allmählich entstand: „Eine außerordentlich dichte Häufung archäologischer Fundstellen im unteren Bliestal ist das sichtbare Zeichen einer regen Siedlungstätigkeit in dieser von der Natur begünstigten Region“ (Europäischer Kulturpark 1988, S. 2). In das Projekt des Kulturparks sind beiderseits der Grenze von den Gemeinden bis zur lothringischen Regionalverwaltung und saarländischen Landesregierung alle Verwaltungsebenen eingebunden. Seit 1978 wurden in Reinheim und in Bliesbruck (Bliesbrücken) in mehreren archäologischen Grabungskampagnen die Reste des gallorömischen Vicus und der großen Villa Rustica sowie mehrere teils ältere, teils jüngere Fundstätten systematisch ergraben bzw. rekonstruiert. Vor einigen Jahren wurde die anschauliche Rekonstruktion des keltischen Fürstinnengrabes von Reinheim mit zwei weiteren daneben liegenden Hügeln vollendet. Dieser rund 2400 Jahre alte Grabhügel der frühen La-Tène-Zeit ist von herausragender wissenschaftlicher Bedeutung; er war 1954 zufällig beim Ausbaggern in einer Reinheimer Sand- und Kiesgrube entdeckt worden. Mit der Entdeckung des Fürstinnengrabes und seiner reichen Grabbeigaben begann das gesteigerte wissenschaftliche Interesse an den beiden Grenzorten Reinheim und Bliesbruck. Auf saarländischer Seite ist das Staatliche Konservatoramt des Saarlandes als zuständige Fachinstanz tätig. 1988 wurde eine Stiftung „Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim“ in der Trägerschaft des Saar-Pfalz-Kreises (Homburg), der Gemeinde Gersheim und der Karlsberg-Brauerei (Homburg) ins Leben gerufen. Ein großer Teil der technischen Hilfskräfte für die Grabungsmaßnahmen auf deutscher Seite werden in Kooperation mit den Arbeitsämtern von der Beschäftigungsgesellschaft Neue Arbeit Saar im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und ähnlichen kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen angestellt. Auf lothringischer Seite machte sich der ortsansässige, 2000 verstorbene Autodidakt Jean Schaub als erster Grabungsleiter von Bliesbruck besonders verdient darum, im Laufe der Jahre die französischen Politiker aller Ebenen auf die Bedeutung des Ensembles aus Bodendenkmalen aufmerksam zu machen und sie für die Idee grenzüberschreitender Arbeit zu gewinnen. Die Ausgrabungen der letzten Jahre sind auf französischer Seite unter der fachlichen Aufsicht der Direction des Antiquités de Lorraine durchgeführt worden. Vor einigen Jahren wurde die Überdachung der Thermenanlage fertiggestellt. Zwischenzeitlich sind einige Fachwerkgebäude in zeitgenössischer gallorömischer Bauweise hinzugekommen, unter anderem eine Mühle mit großem hölzernem Tretrad zum Betrieb durch Personen oder Tiere.

Wege nach Europa: Geschichte und Sanfter Tourismus

Der Europäische Kulturpark ist ein wegweisendes kulturhistorisches, touristisches und zugleich der deutsch-französischen Freundschaft dienendes Projekt von internationalem Rang. Ziel der wissenschaftlichen Arbeit im Kulturpark ist die exemplarische Erforschung dieses wenige Quadratkilometer großen Bereiches zwischen den beiden Ortschaften Reinheim und Bliesbruck, für den die archäologischen Voraussetzungen als optimal eingestuft werden. Neben dem gallorömischen Vicus bieten sich für künftige Grabungen und museale Präsentationen als Epochenschwerpunkte besonders die bronzezeitliche, keltische und merowingische Siedlungsgeschichte an. Ein bronzezeitliches Gehöft wurde am Fundort als Rekonstruktion wieder erstellt. Solche Rekonstruktionen erlauben es zusammen mit praktischen Vorführungen, den Besucherinnen und Besuchern das Alltagsleben der vorgeführten Epochen nahezubringen. Alle touristischen Aktivitäten sollen eingebunden sein in eine naturnahe Bewirtschaftung des Parks mit dem Ziel, der strukturschwachen Region des südlichen Bliesgaues neue wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten zu erschließen, ohne die Landschaft dabei zu zerstören.

Der Kulturpark jetzt und in Zukunft

Die touristische Darstellung von Handwerkstechniken wie Brotbacken und Münzprägung, aber auch die Arbeiten im Bereich der experimentellen Archäologie sind neben den üblichen Führungen seit einigen Jahren im Gange und erweisen sich bei den regelmäßig veranstalteten Tagen der offenen Tür als regelrechte Publikumsrenner, so z.B. metallurgische Experimente zur Erforschung antiker Schmiedetechniken. Regelmäßig werden für Jugendliche aus beiden Ländern Grabungscamps unter wissenschaftlicher Leitung durchgeführt. Auf spielerischer Ebene wird Grabungstechnik und wissenschaftliche Arbeit auch schon Kindern zugänglich gemacht. Die laufenden Grabungen sollen auch in Zukunft teilweise für die Öffentlichkeit zugänglich sein, es werden weiterhin einzelne architektonische Objekte oder Teile davon rekonstruiert, um ihren ursprünglichen Zustand anschaulich zu machen. Darüber hinaus sind weitere kleinere Projekte wie die Einrichtung eines archäologischen Lehr- und Wanderpfades, aber auch größere Vorhaben (Forschungszentrum/archäologisches Museum des unteren Bliestals) für die kommenden Jahre geplant, die sukzessive umgesetzt werden.

Neue Freundschaft nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges

Die tatkräftige Förderung der deutsch-französischen Freundschaft und der Verständigung im künftigen Europa ist gerade hier in der ländlichen Gegend des Bliesgaues kein leeres Wort: Die Bewohner der heute so friedlichen kleinen Dörfer beiderseits dieser Grenze von Peppenkum und Volmunster (Wolmünster) bis Sarreguemines (Saargemünd) und Hanweiler litten sehr schwer unter dem Frankreichfeldzug 1939/1940, der anschließenden nationalsozialistischen Wiederaufbaupolitik, bei der viele gewachsene Dorfkerne zerstört wurden, sowie den letzten Kämpfen 1944/1945 entlang einer Hauptkampflinie, die sich mehrfach hin und her verschob. In dieser Gegend suchte sich die 17. SS-Division Götz von Berlichingen gegen die vorrückenden US-Truppen zu behaupten. Dabei wurden viele Dorfbewohner getötet und ihre Häuser zerbombt. In diesem historischen Zusammenhang kommt dem Kulturpark eine weitere grenzüberschreitende Dimension friedlicher und freundschaftlicher Zusammenarbeit zu.

Quellen und weiterführende Literatur

Parc Archéologique Européen/Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim, Sarreguemines 1988.

Parc Archéologique Européen/Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim, Saarbrücken/Metz 1992.

Parc Archéologique Européen/Europäischer Kulturpark Bliesbruck-Reinheim, Guide du site archéologique/Führer zur Ausgrabung, Sarreguemines 1992.

 

Rainer Hudemann

Bliesbruck als Pilotprojekt grenzüberschreitender Gemeindekooperation

Die Errichtung des grenzüberschreitenden Kulturparks war anfangs eine private Initiative. Ihre Überführung in öffentliche (Mit-)Verantwortung machte den Park zum Vorreiter deutsch-französischer Zusammenarbeit auf der Ebene, auf der dies juristisch jahrzehntelang am schwierigsten geblieben war: unter den Gemeinden, in diesem Fall Bliesbruck und Reinheim. Außenpolitik ist in beiden Ländern grundsätzlich Sache der Zentralregierung. In Frankreich kommt die innenpolitische Zentralisierung hinzu, der man zwar seit 1981 entgegenarbeitet. Doch macht die Dezentralisierung grundsätzlich an den Grenzen halt – eben dem Bereich, der in die Außenpolitik übergreift. Das Problem stellte und stellt sich in einer Fülle von Situationen: Städtepartnerschaften hatten keine juristische, nur eine politische Basis. Wenn an Grenzflüssen Umweltprobleme zu lösen waren wie bei der Rossel, wenn Kläranlagen zu bauen, Hilfen über die Grenze zu leisten waren, kam die Frage der administrativen Zuständigkeit, sobald öffentliche Institutionen betroffen waren. Gelöst hatte man sie jahrzehntelang nicht – es sei denn im praktischen Alltag, oder aber durch ein jeweils spezielles, neues Regierungsabkommen: ein ungeheurer Aufwand. So bedurfte es jahrelanger Überlegungen und Verhandlungen auf höchster Ebene, bis am 23. Januar 1996 Vertreter Frankreichs, der Bundesrepublik, Luxemburgs und der Schweiz bei einem Gipfeltreffen in Karlsruhe das „Übereinkommen über die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen Gebietskörperschaften und örtlichen öffentlichen Stellen“ unterzeichnen konnten; es trat am 1. September 1997 in Kraft. Juristisch ausgearbeitet und vorbereitet hatte es vor allem Professor Christian Autexier, damaliger Direktor des Centre juridique franco-allemand an der Universität des Saarlandes, der hier einmal mehr einen grundsätzlichen Durchbruch in der deutsch-französischen Zusammenarbeit erreichte. Denn damit war die Bahn frei, um die in vielfältiger Weise praktisch längst funktionierende Zusammenarbeit auch von anderen Gebietskörperschaften in diesem und weiteren Grenzräumen nicht nur auf eine rechtliche Grundlage zu stellen, sondern auch auszubauen und zu intensivieren. Seitdem können rechtsverbindliche Vereinbarungen zur bi- oder multinationalen Zusammenarbeit ohne Rückfrage bei der jeweiligen Zentralregierung geschlossen und „grenzüberschreitende örtliche Zwecksverbände“ gegründet werden, in denen jede Körperschaft ihrem jeweiligen nationalen Recht unterworfen bleibt. Auf dieser Basis konnte der grenzüberschreitende Park auch seine rechtliche Grundlage erhalten: er war Anlaß und Ergebnis zugleich in diesem Prozeß der grenzüberschreitenden Annäherung.

Quellen und weiterführende Literatur

Zu den rechtlichen Problemen im einzelnen siehe: Autexier, Christian, Le site archéologique de Bliesbruck-Reinheim: Chantier pilote de la coopération régionale transfrontalière, in: Fakultätsgruppe Saarbrücken der European Law Students’ Association/Centre Juridique Franco-Allemand der Universität des Saarlandes (Hg.), Recht und Gesetz im deutsch-französischen Dialog. Loi et Droit dans le dialogue franco-allemand (Annales Universitatis Saraviensis, Rechts- und wirtschaftswissenschaftliche Abteilung, Bd. 130), Köln u.a. 1997, S. 107–116.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.