Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Evangelisches Gemeindehaus Wartburg

Martin-Luther-Straße 12, Saarbrücken

Baugeschichte

Der monumentale, massive Bau der Wartburg wurde 1928 in Funktion eines Gemeindehauses der evangelischen Kirchengemeinde St. Johann mit Seitenflügel errichtet. Über die legitimen Bedürfnisse einer zahlenmäßig starken Gemeinde nach einem vielfältig nutzbaren weiträumigen Saal hinaus wurden das Gebäude und besonders der Festsaal sehr großzügig dimensioniert; er war jahrelang der größte Veranstaltungssaal im ganzen Saargebiet. In den beiden Nächten zwischen dem 13. und 15. Januar 1935 diente die Wartburg als zentraler Auszählungsort der Volksabstimmung über die Zukunft des Saargebietes. Aus allen Bürgermeistereien des Saargebietes wurden nach Abstimmungsschluß am 13. Januar 1935 die versiegelten Abstimmungsurnen unter Bewachung internationaler Polizeieinheiten in den Festsaal der Wartburg gebracht und dann das Ergebnis verkündet. Das Ergebnis wurde mittels einer Radioübertragung von der Regierungskommission bekanntgegeben. Im Festsaal der Wartburg wurde am 4. Dezember 1935 der nationalsozialistische Reichssender Saarbrücken im Rahmen einer großen Feier eröffnet. Das Gebäude wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt. Im Januar 1946 fand in der Wartburg die erste öffentliche Versammlung der saarländischen Sozialdemokraten nach dem Krieg statt. Von 1945 bis 1960 diente die Wartburg als Sitz und Funkhaus von Radio Saarbrücken, dem unter Leitung der französischen Besatzung neu gegründeten Sender. Nach der neuen Volksabstimmung über die Zukunft des Saarlandes (23. Oktober 1955) wurde der Sender Saarländischer Rundfunk (SR) Sender im Kreis der ARD-Anstalten. 1961 zog der Saarländische Rundfunk auf den Halberg im Stadtteil Brebach um. Seither wird die Wartburg anderweitig genutzt. Heute stellen sich die Fassade der Wartburg nach eingreifendem Umbau und die benachbarte Bebauung völlig anders dar als auf historischen Abbildungen. Einzig an die Rückgliederung 1935 erinnert eine Tafel: „Der schwedische Präsident der Abstimmungskommission Rodhe verkündete hier in der Morgenfrühe des 15. Januar 1935 das überwältigende Ergebnis, auf Grund dessen das Saargebiet ungeteilt zum deutschen Vaterland zurückkehrte.“ Der weiteren Zusammenhänge im und nach dem Dritten Reich, die das Haus gleichfalls verkörpert, wird nicht gedacht.

Quellen und weiterführende Literatur

Altmeyer, Klaus, Rundfunk im Saarland. Vom Besatzungssender zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in privater Konkurrenz, in: Saarländischer Journalistenverband (Hg.), Menschen Medien Mächte. 50 Jahre Saarländischer Journalistenverband II 1947–1997. Eine Dokumentation, Saarbrücken 1997.

Bies, Luitwin, Klassenkampf an der Saar 1919–1935. Die KPD im Saargebiet im Ringen um die soziale und nationale Befreiung des Volkes, Frankfurt a.M. 1978.

Paul, Gerhard, „Deutsche Mutter – heim zu Dir!“, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard/Schock, Ralph/Klimmt, Reinhard, Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815–1935, 2. Auflage, Bonn 1988, S. 148–149.

Saarländischer Rundfunk (Hg.), Rundfunk-Sinfonieorchester Saarbrücken 1937–1987, Saarbrücken 1987.

Saarländischer Rundfunk (Hg.), SR – Unser Sender an der Saar. 50 Jahre Rundfunk im Saarland, Saarbrücken 1985.

Schock, Ralph, „Schlagt Hitler an der Saar!“, Formen kultureller Gegenöffentlichkeit im Abstimmungskampf 1933–35, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935–1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 27–34.

Zenner, Maria, Parteien und Politik im Saargebiet unter dem Völkerbundsregime 1920–1935, Saarbrücken 1966.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.