Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Rainer Hudemann

Roland-Statue am Bahnhof Metz

1, Place du Général De Gaulle, Metz

Ein grimmiger Krieger rechts vom Hauptportal des 1908 eingeweihten Metzer Hauptbahnhofes spiegelt Militarismus und Expansionismus des Deutschen Kaiserreiches wider – so scheint es. Aus alten Städteführern aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg blickt dem Betrachter jedoch ein völlig anderer Kopf entgegen: eine würdevolle, freundliche Gestalt. Was ist hier geschehen?

Tatsächlich spiegelt die wechselvolle Geschichte der Metzer Roland-Statue die Überlagerung nationaler Einflüsse und Interpretationen in beeindruckender Weise wider.

Ursprünglich geplant war an dieser Stelle, der die Perspektivenführung im Rahmen der künstlerischen Städtebauplanung des ganzen Viertels eine zentrale Position gab, eine Statue des Heiligen Georg. Sein Sieg über den Drachen konnte jedoch als Symbol des Sieges über Frankreich gedeutet werden. Wilhelm II. selbst wünschte daraufhin eine Roland-Statue, wie sie in unterschiedlichen Ausführungen deutsche Freie Reichsstädte im Mittelalter schmückte, doch auch als Ausdruck des Schutzes durch den Herrscher interpretiert werden konnte. Sie erhielt den Kopf des Grafen Haeseler, 1890–1903 Kommandant des XVI. Armeekorps in Metz. 1919 ersetzte man das Reichswappen auf dem Schild durch das Wappen Lothringens und den Kopf durch den eines grimmigen Kriegers. Wie schon der Roland als Karolinger-Tradition auch in französischem Sinne interpretiert werden konnte, vermochte auch der neue Kopf allerdings einen barbarischen Germanen ebenso zu suggerieren wie einen kampfesbereiten französischen Verteidiger der Stadt (Annette Maas).

Die erneute deutsche Besatzung meinte hier 1940 die Züge des Marschalls Foch zu erkennen und rüstete die ganze Statue vor einem Besuch des Gauleiters Josef Bürckel am 20.9.1940 ein. Im Oktober 1942 setzte man erneut einen Haeseler-Kopf auf und tauschte auf dem Schild das Lothringer gegen das Metzer Stadt-Wappen.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges machte Haeseler erneut einem grimmigen Krieger – dem heutigen – Platz, doch das Stadtwappen blieb, obwohl es an dieser Stelle nationalsozialistischen Ursprungs ist. Und der Krieger ist – wenn man ihn denn „deutsch“ und nicht „französisch“ interpretieren will – kein Zeugnis deutscher Selbstdarstellung, sondern ein Zeugnis dessen, wie man sich in Frankreich nach 1945 einen deutschen Krieger vorstellte.

„Mémoire plurielle de l’Alsace“ hat der Straßburger Soziologe Freddy Raphael einmal in anderem Zusammenhang formuliert. Der Begriff bezeichnet treffend den Wandel und die Überlagerung der Symbolik um den finsteren Krieger am Metzer Bahnhof.

Quellen und weiterführende Literatur

Schontz, André, Le chemin de fer et la gare de Metz, Metz 1990.

Wilcken, Niels, Architektur im Grenzraum. Das öffentliche Bauwesen in Elsaß-Lothringen (1871–1918), Saarbrücken 2000, S. 132f.

Der Autor dankt Annette Maas für die Überlassung von Auszügen aus ihrer demnächst abgeschlossenen Dissertation über Denkmäler des Krieges 1870/1871 in Elsaß und Lothringen 1871–1940, in der die – hier nur angedeutete – komplizierte Interpretation der ursprünglichen Symbolik von 1908 im einzelnen dargelegt wird.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.