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Rainer HudemannSaar-Lor-Lux: Vernetzungen in einer europäischen KernzoneGliederung
1. Grundlagen der Vernetzung in einer konfliktreichen RegionDie Region Saar-Lor-Lux stellt seit einigen Jahrzehnten den Anspruch einer Vorreiterrolle für grenzüberschreitende Verflechtungen in Europa. Das tut sie gerade deshalb, weil Grenzen hier in den letzten beiden Jahrhunderten immer von neuem als besonders scharfe Trennlinien wirkten. Daß sie wiederholt verschoben wurden, begründete um so härtere Konflikte. Zugleich erwuchsen daraus jedoch auch vielfältige Überlagerungs- und Vernetzungsvorgänge. Manche von ihnen sind beispielhaft für allgemeinere interregionale Wechselwirkungen in Europa. Der Begriff „Saar-Lor-Lux“ wurde erst Ende der 1960er Jahre geprägt. Angesichts der Kriege und Besatzungsherrschaften in dieser Grenzregion während der beiden letzten Jahrhunderte erschien er vielen Beobachtern als eine künstliche, vom politischen Willen diktierte Schöpfung. Als Schlagwort ist er seitdem selbst ein wirksamer politischer Schrittmacher geworden. Das zeigt sich auch an seiner sukzessiven Ausweitung: Je nach politischem Kontext werden heute die Westpfalz, das Nord-Elsaß, Wallonien, die Region Trier oder ganz Rheinland-Pfalz einbezogen. Entsprechend der Struktur der Interreg-Projekte der Europäischen Union, in deren Rahmen diese Präsentation entstand, verstehen wir hier darunter den Kernraum der Région Lorraine, des Großherzogtums Luxemburg und des Bundeslandes Saarland, bei gelegentlichen Streifzügen in die Nachbarregionen. Eine künstliche Prägung für einen neuen Sachverhalt ist das Schlagwort „Saar-Lor-Lux“ dennoch nicht. Dabei braucht man gar nicht bis auf das mittelalterliche Lotharingia als europäischen Kernraum zurückzugehen. Konflikte und Zusammenarbeit haben in der Zeit seit der Französischen Revolution vielfältige neue, grenzüberschreitende Strukturen entstehen lassen. Sie bilden den Gegenstand unseres Streifzuges. Manche von ihnen sind heute im allgemeinen Bewußtsein verankert, viele sind es nicht. Der Blick dafür ist innerhalb dieses Raumes zudem sehr unterschiedlich ausgeprägt – nationale, regionale und interregionale Strukturen überlagern sich auch in den unterschiedlichen, bisweilen gegensätzlichen Perspektiven und Ausprägungen der Erinnerung. Solchen Spuren wird hier nachgegangen. Architektonische Objekte sind der Leitfaden der Suche, topographisch faßbare, sichtbare Spuren, in denen sich Zusammenarbeit und Gegensätze, gute Nachbarschaft, Freundschaft und Spannungen widerspiegeln. Es sind Spuren, die eng mit Gedenken an Leid wie an Leistungen zusammenhängen. Es sind aber vor allem auch solche Spuren, deren grenzüberschreitender Zusammenhang ohne eine genauere Kenntnis der Hintergründe weniger offensichtlich ist. Gerade sie sind heute in der „kollektiven Erinnerung“ oft verschüttet. Um so mehr liegt auf ihnen ein Schwerpunkt bei der Auswahl der dargestellten Objekte. Obgleich die Strukturen der Teilregionen des Dreiecks Saar-Lor-Lux historisch sehr unterschiedlich geformt wurden, lassen sich an ihnen Grunddispositionen grenzüberschreitender Abschottungs- und Verflechtungsvorgänge aufzeigen. 1.1 Grenzverschiebungen im deutsch-französischen GrenzraumViele Stätten grenzüberschreitender Erinnerung gehen tatsächlich auf grenzüberschreitende Kontakte und Konflikte zurück, andere sind Folge der zahlreichen Grenzverschiebungen in der Region. Im Zuge der Koalitionskriege ab 1792 wurde das linke Rheinufer zunächst von französischen Revolutionstruppen besetzt und im Frieden von Lunéville 1801 annektiert. In den beiden Friedensschlüssen 1814/1815 kam die Saarregion – Saarbrücken erst 1815 – zu Bayern und Preußen. 1871 erfolgte die Annexion Elsaß-Lothringens durch das Deutsche Reich, 1918 die Rückgliederung beider Regionen. Zugleich wurde das Saargebiet geschaffen, das seinerseits bis 1935 unter internationale Verwaltung des Völkerbundes bei starker französischer Vorherrschaft kam. Die erste Saar-Abstimmung führte die Saar 1935 zurück in das inzwischen zum Dritten Reich gewordene Deutschland. 1945 erfolgte eine erneute französische Besetzung, 1947 zum Wirtschaftsanschluß unter begrenzter und unklar definierter politischer Autonomie umgewandelt. Die zweite Volksabstimmung 1955 legte den Grund zur endgültigen politischen und ökonomischen Rückgliederung der Saar 1957/59 an die Bundesrepublik. 1.2 Luxemburg: Eigenstaatlichkeit in europäischer VernetzungGrenzüberschreitende Einflüsse stehen in Luxemburg als Nationalstaat in einem anderen Zusammenhang als in Lothringen oder an der Saar; sie sind weniger bekannt und seien hier daher etwas ausführlicher erläutert. Im 19. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Nationalstaatsbildung in Europa, wurde der Prozeß der Nationsbildung zum Angelpunkt der europäischen Schnittstellenposition Luxemburgs: Die unwillkürliche oder auch bewußt reflektierte Übernahme von Vorbildern aus anderen Ländern entwickelte sich zu einem wesentlichen Bestandteil dessen, was schließlich im Land selbst im 20. Jahrhundert als Ausdruck der eigenen Identität gewertet wurde. Vom Bildungssystem über das Rechtssystem und die Wirtschaftsverflechtungen bis in die äußere Morphologie und innere Struktur der Städte hinein schlagen sich, bis heute sichtbar, die Einflüsse und ihre Überlagerungen ebenso nieder wie ihre in der Entwicklung des Landes selbst begründeten größeren oder kleineren Wirkungschancen. Die alte adlige Führungsschicht in Luxemburg war im 18. Jahrhundert weitgehend ausgestorben oder hatte den Mittelpunkt ihres beruflichen und privaten Lebens in andere Länder verlegt – schon dies war ein Ausdruck der vielfältigen, im 19. Jahrhundert dann als international erscheinenden Verflechtungen des Landes, wenngleich sie zunächst noch an typische Verhaltensformen des frühneuzeitlichen Adels anschlossen. Der Formierungsprozeß der Eliten des sich neu bildenden Nationalstaates verlief daher auch unter anderen Bedingungen als in vielen anderen Ländern Europas. Die Auseinandersetzung oder auch partielle Zusammenarbeit des aufsteigenden Bürgertums mit den alten Eliten, in manchen Ländern ein dynamisch wirkendes Element im Nationsbildungsprozeß, spielte in Luxemburg nicht die gleiche grundlegende Rolle. Das Bürgertum hatte sich eigenständiger zu formieren. Aufgrund der jahrhundertelangen Zugehörigkeit zu anderen Herrschaften, vor allem zu den spanischen und dann österreichischen habsburgischen Niederlanden, konnte ein Rückgriff auf spezifische eigene Traditionen auch nur begrenzt erfolgen. Kriegerische Auseinandersetzungen, die in Deutschland in den Befreiungskriegen gegen Napoleon oder in Italien im Kampf gegen Habsburg als Katalysator des Nationalbewußtseins wirkten, fehlten hier jetzt weitgehend; gegen Ende des Ancien régime hatte auch der Luxemburger Adel trotz der das ganze 18. Jahrhundert durchziehenden harten Divergenzen mit der Habsburger Krone noch zu deren treuesten Anhängern gehört. Die Auseinandersetzungen mit Herrschaften, die man aktuell oder rückblickend als Fremdherrschaften empfand, erfolgten auf eine andere, differenziertere Weise. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich daraus besonders komplexe Überlagerungsformen von Einflüssen, die vielfach erst im Zuge der Nationalstaatsbildung zwischen 1815 und 1839 zu tatsächlich „ausländischen“ Einflüssen wurden: • die alten Traditionen einer nach Frankreich orientierten Kultur der Oberschichten bis zum 18. Jahrhundert; • die Traditionen der spanischen und seit 1714 österreichischen Niederlande, nach der französischen Besatzung 1684–1698 und der Herrschaft Philipps von Anjou 1700–1711 sowie dem bayrischen Zwischenspiel 1711–1714; • die nachhaltige und langfristig strukturell wirksame Neubelebung bzw. Verstärkung des französischen Einflusses mit der revolutionären Annexion 1795 und unter der Wirkung napoleonischer Institutionen im Département des Forêts bis 1814 – Institutionen, die mit manchen im späteren Belgien eingeführten gutenteils identisch waren; • die erneute Bindung an die Niederlande in dem auf dem Wiener Kongreß 1815 in Personalunion mit dem Königreich der Niederlande geschaffenen Großherzogtum Luxemburg, das als Mitglied des Deutschen Bundes gleichzeitig starken Einflüssen der beginnenden deutschen Nationalstaatsbildung unterlag; • die beginnende Eigenständigkeit mit der Aufteilung der Provinz Luxemburg zwischen Belgien und den Niederlanden entlang der Sprachgrenze nach der Belgischen Revolution von 1830 – eine Eigenständigkeit als persönliches Großherzogtum des Hauses Oranien-Nassau, die nach konfliktreichen Jahren aber erst 1839 durchgeführt wurde, dem rückblickend deshalb als Beginn des Nationalstaates geltenden Jahr; • der ökonomische Aufschwung mit dem Beitritt zum Zollverein 1842, der politischen Neutralisierung des Landes nach dem – von Preußen vereitelten – Versuch Napoleons III. 1867, Luxemburg zu kaufen, und der Übernahme der Verwaltung der Eisenbahn Wilhelm-Luxemburg durch das Deutsche Reich 1871. Einfluß- und kulturelle Transferprozesse, die aus dieser komplexen Schichtung von Traditionen folgten, verliefen in ihren Wirkungslinien durchaus widersprüchlich. So verstärkte die mangelnde Durchführung der 1815 zugesagten luxemburgischen Sonderrechte durch den Oranier Wilhelm I. letztlich eher die jahrhundertealten Spannungen mit den Niederlanden, als daß diese gemindert worden wären, festigte zugleich aber die engen Verbindungen mit Belgien zusätzlich. Der Beitritt zum Zollverein und das sowohl politische als auch ökonomische Gewicht des Deutschen Reiches in Europa nach 1871 stärkten zwar den deutschen Einfluß. Zugleich wuchs als Gegenreaktion aber auch – von den preußischen und deutschen Gesandten oft beklagt – die kulturelle Orientierung der neu aufsteigenden Eliten und bald auch großer Teile der an sich germanophonen Unter- und Mittelschichten an Frankreich: nicht als politisches Bekenntnis, sondern als Element der „Selbstbehauptung“ der Luxemburger. Bewußt reflektierte Orientierungen, wie sie sich in der Architektur des Plateau Bourbon niederschlugen, wirkten hier ebenso ein wie etwa die grenzüberschreitenden Wanderungen von Dienstboten oder Handwerkern. Die Rückbesinnung auf die luxemburgische Sprache, die im Verlauf der zweiten Jahrhunderthälfte neben Französisch und Deutsch ein zunehmendes Gewicht erhielt, verkörperte das sich stetig verstärkende Bemühen um eine eigenständige Entwicklung der neuen Nation im Schnittpunkt dieser vielfältigen Wirkungslinien. Dabei wurden Einflüsse bewußt oder unbewußt aufgegriffen oder aber auch konterkariert, um aus der Kultur und Tradition der zahlreichen Länder, mit denen Luxemburg einmal politisch-institutionell verbunden gewesen war, Elemente zu übernehmen und sie in einem als spezifisch luxemburgisch verstandenen Eklektizismus zu integrieren. Insofern wurde die Suche nach einer Verbindung unterschiedlichster Einflußelemente in Luxemburg, anders als in vielen anderen Nationalstaaten, zu einem Kernelement des Nationsbildungsprozesses selbst. Der Erste Weltkrieg und noch wesentlich stärker der Zweite Weltkrieg mit seiner faktischen Annexion Luxemburgs durch das Deutsche Reich, der Eingliederung in den Gau Moselland und der Verfolgung durch den deutschen SS-Apparat führten dauerhaft zu einer stärkeren Orientierung des Landes an Frankreich als an Deutschland. Hinzert bei Hermeskeil im Hunsrück ist als das SS-Sonderlager, in das die meisten luxemburgischen Widerstandskämpfer eingeliefert wurden, zum Symbol dieses Kampfes geworden. Gemessen an der Bevölkerungszahl, hatte Luxemburg unter den besetzten Ländern Europas den höchsten Anteil an Widerstandskämpfern. Zahlreiche Stätten, wie die Villa Pauly als Sitz der Gestapo in Luxemburg-Stadt, gemahnen heute an diese Erfahrungen. Dennoch haben einige große Persönlichkeiten der europäischen Wirtschaft, Kultur und Politik im 20. Jahrhundert die Mittlerposition des Landes verkörpert, die sich vor dem Wirkungsgeflecht der Nationalstaatsbildung entfaltete. Zu ihnen gehörte in der Zwischenkriegszeit Émile Mayrisch, der Direktor der ARBED, mit seinen Konzeptionen für grenzüberschreitende Wirtschaftskartelle und seiner beeindruckenden kulturellen Mittlertätigkeit im Deutsch-französischen Studienkomitee, die nicht zuletzt auch auf seiner Analyse der Wirtschaftsinteressen der beteiligten Nationen gründete. Manche seiner Ideen griff nach dem Zweiten Weltkrieg Robert Schuman wieder auf, der die Vertretung nationalstaatlicher französischer Modernisierungsinteressen als französischer Außenminister mit der Initiative zur funktionalen europäischen Teil-Integration in der Montan-Union verband. Eine weitere wichtige Rolle in der europäischen Integration übernahm in den fünfziger Jahren mehrfach Luxemburgs Ministerpräsident Joseph Bech. Solche die grenzüberschreitenden Zukunftsperspektiven der Nationalstaaten realistisch einschätzende Persönlichkeiten sind Ausdruck der Kultur ihres Ursprungslandes, worin sie – wie Schumans Beispiel zeigt – manchen Lothringern nicht unähnlich sind. 1.3 Interregionale und internationale ÜberlagerungenLothringen, die Saarregion und Luxemburg spiegeln damit unterschiedliche Formen von Überlagerungen und Wechselwirkungen wider, die auf grenzüberschreitende Beziehungen und Grenzverschiebungen zurückgehen. Die Kontakt- und Konfrontationslinien folgen dabei häufig den nationalen Gegensätzen. Je weiter die Forschung über solche Interferenzprozesse voranschreitet, desto deutlicher wird jedoch, daß sich gerade die kompliziertesten und daher auch interessantesten Vorgänge einer adäquaten Erfassung mit nationalen Kategorien gutenteils entziehen. Es scheint gerade zum Kern solcher Überlagerungsprozesse zu gehören, daß sich im Verlauf von Jahren oder Jahrzehnten neue, eigenständige Formen herausbilden. Das ist besonders deutlich in Luxemburg zu beobachten. Stärker noch als Lothringen ist auch das Elsaß dadurch gekennzeichnet. Es liefert für eine systematische Betrachtung besonders viel Anschauungsmaterial. Gerade weil Grenzregionen häufig in einem Spannungsverhältnis zur jeweiligen Zentralregierung stehen, können Rückbesinnungen auf das regionale Erbe hier ein besonderes politisches Gewicht erhalten und dabei – oft in paradoxen Formen – zur Festigung der eigenen „Identität“ auch Traditionen der „anderen“ Seite aufgreifen. Das „droit local“ gibt dem vielfältigen Ausdruck. Es verbindet im Elsaß und in Lothringen deutsche und französische Elemente etwa im Kirchenrecht, im Sozialversicherungsrecht oder im Bauordnungswesen. In Luxemburg erhält der Betrachter den Eindruck, daß dieses Aufgreifen und Verschmelzen von – ihrerseits gelegentlich schon vermittelten – Einflüssen vor allem aus Frankreich, Belgien und Deutschland geradezu zu einem Kernelement der Nationalstaatsbildung geworden ist. Im Fall der Stadtentwicklung von Straßburg nach 1871, die hier nicht genauer dargestellt wird, kämpfte die eingesessene Bevölkerung lange gegen die „preußisch“ erscheinende Neustadt, die ihrerseits von den zur gleichen Zeit in Frankreich durchgeführten Stadtumbauten nach dem Pariser Vorbild des Barons Haussmann gar nicht so weit entfernt war. Dafür griff man in Straßburg um die Jahrhundertwende auf die Konzepte und Argumentationsmuster zurück, welche die deutsche Heimatschutzbewegung unter Aufnahme von Ideen des „ästhetischen Städtebaues“ – er wird im Thema Stadtentwicklung erläutert – entwickelt hatte. Anders gewendet: die eingesessene elsässische Bevölkerung kämpfte mit deutschen Konzepten gegen deutsche Konzepte und gegen die „Haussmannisierung“ durch die deutsche Annexionsverwaltung. Daß die alternativen Vorstellungen auf deutsche Diskussionen zurückgingen, geriet bald in Vergessenheit – die Ideen wurden Teil des regionalen Erbes. Im Straßenverlauf der Straßburger Neustadt läßt sich das bis heute im einzelnen verfolgen. Die Komplexität der Überlagerungsvorgänge ist also keineswegs auf den hier im Mittelpunkt stehenden Raum beschränkt. Eher ist zu vermuten, daß auch in anderen europäischen Grenzregionen ähnliche Muster anzutreffen sind; die Gestalt der Städte in der Region Eupen-Malmedy erscheint als ein weiteres solches Beispiel. Manche grenzüberschreitenden Vernetzungen sind spezifisch für den Saar-Lor-Lux-Raum, andere spiegeln europaweite Wirkungsprozesse im 19. und 20. Jahrhundert wider. So folgen viele Bauten dieser Grenzregion im Historismus – als einer zahlreiche europäische Architektur-Traditionen aufgreifenden Stilrichtung – einer in ganz Europa verbreiteten Tendenz des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Dessen ungeachtet verstärken sie gerade in diesem Raum die Vernetzungen. Historistische Stilformen beherrschen in vielfältiger Weise die Architektur – bis in Beispiele hinein, welche, wie das Meder-Haus in Esch-sur-Alzette, diesen Historismus gerade zu überwinden versuchen. Die Bahnhöfe von Metz und Straßburg weisen starke historistische Elemente auf, wenngleich in Metz die Romanik dominiert. Im Vergleich hierzu sticht der extensive Historismus des Verwaltungsgebäudes der ARBED auf dem Plateau Bourbon in Luxemburg erst recht hervor, der sich im gleichen Stadtteil auch an zahlreichen repräsentativen Wohnbauten findet. Hier verbindet sich der allgemein-europäische Historismus des 19. Jahrhunderts mit der spezifischen Grenzraum-Situation. Denn beliebig sind die Elemente der verschiedenen Stilrichtungen keineswegs zusammengestellt, wie zu zeigen sein wird. Internationale Einflüsse können auch direkt auf regionale Muster treffen. Ein Beispiel in kleinem Stil ist das Aufgreifen der US-amerikanisch weiterentwickelten deutschen Bauhaus-Tradition von Mies van der Rohe in der Sanierung der alten Hennesbau-Mühle als Kulturzentrum in Feulen/Luxemburg. In dem Museum der Modernen Kunst von leoh Ming Pei in der alten Festung Luxemburg gehen internationale Muster eine Verbindung mit regionalen Grundlagen ein, die ihrerseits durch die französischen, spanischen und österreichischen Fremdherrschaften seit dem 17. Jahrhundert geprägt worden sind. Auch das Luxemburger Kirchberg-Plateau mit seiner weltweite Tendenzen widerspiegelnden Architektur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts verkörpert als Ort grenzüberschreitender Wirkung natürlich nicht den Saar-Lor-Lux-Raum, sondern Europa. Daß diese öffentlichen und privaten europäischen Institutionen sich in so großer Zahl in Luxemburg ansiedelten, hängt allerdings eng mit seiner jahrhundertealten Position am Schnittpunkt west- und mitteleuropäischer Einflüsse zusammen, die es dazu prädestinierten, Stätte und Symbol europäischer Kooperation zu werden. Insofern gehört auch der Kirchberg als Zeichen der internationalen Signalwirkung des Grenzraumes zum Kern der Fragestellung dieses Projektes. 1.4 Vernetzungen und interregionale IdentitätAuf diesem Streifzug wird der Begriff der „Identität“ – sei sie regional, sei sie lokal – selten benutzt. Er ist als begriffliches Instrumentarium insoweit brauchbar, als die deutsche und die französische Grenzregion sich immer wieder im Spannungsverhältnis zu den jeweiligen nationalen Zentren eigenständig zu behaupten suchten. Regionale Traditionen konnten das begründen oder verstärken. Brauchbar ist der Begriff auch insofern, als unbewußte, doch sozial- und mentalitätsgeschichtlich prägende Verhaltensmuster in der Region grenzüberschreitend schon früh gemeinsame Charakteristika zu bewirken vermochten, wie sie etwa in der Struktur der Arbeiter-Wanderungsbewegungen während der Hochindustrialisierung zum Ausdruck kamen. Dennoch wird der Begriff hier zurückhaltend verwendet. Denn er droht, vor allem als Schlagwort gebraucht, die vielfältigen unterschiedlichen oder gegensätzlichen Interpretationen gemeinsamer oder ähnlicher Erfahrungen und damit die Vielschichtigkeit der Interferenzen und Abschottungsvorgänge eher zu verdecken als aufzudecken. Gerade das Bewußtmachen der Komplexität dieser Fülle unterschiedlicher Beziehungen ist aber eines unserer wesentlichen Ziele. In Luxemburg ist die Vielfältigkeit der Einflüsse tatsächlich zu einem Identitätselement geworden – jedoch der nationalen Identität. Grenzüberschreitend sind es andere Muster, die im Spannungsverhältnis zur nationalen Ebene bleiben. Die hier präsentierten Beispiele sollen dazu beitragen, das Problembewußtsein und den Blick für diese Vielfältigkeit zu schärfen. Über den Anspruch, Teilergebnisse zur systematischen Analyse beizusteuern, wollen wir im gegenwärtigen Arbeitsstadium nicht hinausgehen. Sie werfen oft ebenso viele neue Fragen auf, wie sie vorläufig beantworten können. Unter diesem Gesichtspunkt hat das hier präsentierte Projekt weiterhin Werkstatt-Charakter. Es liefert Bausteine zur Frage nach einer regionalen Identität, beansprucht aber nicht, die Frage nach ihrer Existenz und Ausformung abschließend zu beantworten. Als tragfähiger erweist sich der Begriff der Vernetzungen, der réseaux. Sie werden hier in zahlreichen Formen aufgezeigt. Auf dem Weg zu einer „Identität“, zu einem grenzüberschreitenden Zusammengehörigkeitsgefühl, bilden sie wichtige Elemente, wie sie zugleich von einer tatsächlichen Zusammengehörigkeit in vielen, auch in wenig beachteten Bereichen zeugen. >> Fortsetzung des Textes (Teil 2)
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