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Rainer Hudemann
Patriarchalische Unternehmensführung
und Sozialpolitik an der Saar
Die starke Position großer Unternehmerpersönlichkeiten in
den Familienunternehmen an der Saar ging einher mit einer aktiven Sozialpolitik
und vielfach mit einer strikten politischen, ökonomischen und sozialen
Kontrolle, wie sie vor allem Carl von Stumm-Halberg
repräsentierte. Das persönliche Verhältnis zwischen dem
Unternehmer und seinen Arbeitern und Angestellten war Kern der ökonomischen
und sozialen Unternehmensführungsphilosophie. Das bedeutete Verantwortung
für das Wohlergehen der Belegschaft, aber zugleich die Voraussetzung
ihrer unbedingten Betriebstreue. Gewerkschaften und politische Tätigkeit
hatten in dem Konzept keinen Raum. 1877 gründeten 35 saarländische
Firmen sogar ein „Komitee der Arbeitgeber zur Bekämpfung der
Sozialdemokratie“, unterstützt von der preußischen Verwaltung.
Der nationalliberale Publizist und Sozialwissenschaftler Friedrich Naumann
verglich die Verhältnisse um die Jahrhundertwende mit orientalischen
Herrschaftsformen und prägte dafür den Begriff „Saarabien“.
Die „eigenartige Wechselseitigkeit von autoritärem Patriarchalismus
und fürsorglichem Solidarismus“ (Christoph Lang) entwickelte
sich bei Carl von Stumm-Halberg bis zu einem am militärischen Vorbild
orientierten betrieblichen Treue- und Gehorsamsverständnis. Der wichtigste
Unternehmer, der sich dem Komitee nicht anschloß, war Stumms schärfster
Konkurrent Röchling, der gleichwohl
ebenfalls seit den siebziger Jahren eine aktive Sozialpolitik entwickelte.
Bei dem Keramikunternehmen Villeroy &
Boch war die schon im frühen
19. Jahrhundert eingeleitete betriebliche Sozialpolitik dagegen
stärker von der katholischen Soziallehre geprägt.
Eine detaillierte Untersuchung der betrieblichen Sozialpolitik im Saarrevier,
die Ralf Banken 2001 vorgelegt hat, zeigt allerdings, daß Stumm
mit seiner stark patriarchalisch-politisch geprägten Politik letztlich
eine Ausnahme unter den Saar-Unternehmen war; er bot aber auch die höchsten
Sozialleistungen. Zum andern zählten bei allen Unternehmen, selbst
bei Stumm, ökonomische Faktoren wie Bindung der Arbeiterschaft an
den Betrieb und regionale Arbeitsmarktsituation in einer Form, die sich
bis in die vielfältigen kleinen Unterschiede zwischen den Unternehmen
verfolgen lassen. Vor allem bis in die 1870er Jahre waren die Unternehmen
auch mit der gleichfalls kontrollierenden, doch breit ausgebauten staatlichen
betrieblichen Sozialpolitik im Saarbergbau als Konkurrenz bei der Arbeitskräftegewinnung
konfrontiert. Außer bei Stumm und im staatlichen Bergbau waren die
ökonomischen Rahmenbedingungen, so Banken, letztlich überall
von erheblich größerem Gewicht als ideologische Motive.
Wirft man einen Blick auf die langfristigen Zusammenhänge, so trug
die aktive Sozialpolitik der paternalistischen deutschen Unternehmerschaft,
obwohl sie mit politischer Kontrolle oft besonders eng einherging, zusammen
mit der staatlichen Sozialpolitik seit Bismarcks Reformen der 1880er Jahre
paradoxerweise zur Ausbildung des spezifisch deutschen Modells der Sozialpartnerschaft
nicht unerheblich bei. Die politische Emanzipation der Arbeiterbewegung
konnte dadurch in einzelnen Regionen wie dem Saarrevier zwar verzögert,
jedoch nicht verhindert werden. Dagegen leitete das Konzept der sozialen
Verantwortung der Unternehmerschaft unter den veränderten Bedingungen
nach dem Ersten Weltkrieg allmählich zur Ausbildung sozialpartnerschaftlicher
Verhaltensweisen über, die ihr Gewicht erst nach dem Zweiten Weltkrieg
voll entfalteten. Und auf der Seite der organisierten Arbeiterbewegung
trugen sowohl die Maßnahmen gegen eine Verelendung des Proletariats
als auch die Verantwortung, welche Arbeiterfunktionäre in den Selbstverwaltungsgremien
vor allem der öffentlich-rechtlichen sozialpolitischen Institutionen
der Krankenkassen und Altersversicherungen seit Jahrhunderten erhielten,
dazu bei, daß die deutsche Sozialdemokratie nicht revolutionär,
sondern reformistisch wurde – und das in ihrem Verhalten schon längst,
bevor das revolutionäre Vokabular aus auch ihren Programmen verschwand.
Sowohl Bismarck als auch die paternalistisch-politisch motivierten Unternehmer
haben damit einerseits zwar insofern Erfolg gehabt, als sich eine revolutionäre
Orientierung in der deutschen Arbeiterschaft mehrheitlich nicht durchsetzte.
Mißerfolg hatten sie aber darin, dass – entgegen ihrer
Intention – die langfristigen Wirkungen der sozialpolitischen
Konzepte und Institutionen zur Stärkung der Sozialdemokratie, des
Zentrums und der Gewerkschaften gerade beitrugen, statt sie zu schwächen.
Im Kontrast zu Frankreich, wo die soziale Verantwortung der Unternehmerschaft
seit der Industrialisierung insgesamt weit geringer entwickelt und die
Arbeiterbewegung viel konfliktbereiter war und ist, ist die Bedeutung
dieser vielschichtigen Entwicklung besonders deutlich zu sehen.
Die gleichfalls besonders aktive Sozialpolitik der Unternehmen von de
Wendel, die im Kaiserreich ein von saarländischer Seite stark
beachtetes Vorbild war, zeigt allerdings, daß gerade im östlichen
Grenzraum, in Lothringen wie auch etwa in Mulhouse im Elsaß, das
allgemeine Bild der zurückgebliebenen französischen Entwicklung
bemerkenswerte Ausnahmen aufwies.
Quellen und weiterführende Literatur
Banken, Ralf, Saarabien und Königreich Stumm – Die Saarregion
als Musterland einer patriarchalischen betrieblichen Sozialpolitik? in:
Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 49 (2001), S. 111–147.
Lang, Christoph, „Herren im Hause“. Die Unternehmer, in:
Van Dülmen, Richard (Hg.), Industriekultur an der Saar. Leben und
Arbeit in einer Industrieregion 1840–1914, München 1989, S.
132–145.
Herrmann, Hans-Walter, Die wirtschaftlichen Führungskräfte
im Saarland in der Zeit der Frühindustrialisierung 1790–1850,
in: Helbig, Herbert (Hg.), Führungskräfte der Wirtschaft, Limburg
1973, S. 218–309.
Hudemann, Rainer, Sozialpartnerschaft oder Klassenkampf? Zu deutsch-französischen
Spannungsfeldern seit dem 19. Jahrhundert, in: Dipper, Christof/Klinkhammer,
Lutz/Nützenadel, Alexander (Hg.), Europäische Sozialgeschichte,
Berlin 2000, S. 173–184.
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