Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Rainer Hudemann

Deportation jüdischer Saarländer 1940

Die Deportation der 1940 noch im Land verbliebenen Saarländer jüdischen Glaubens nach Gurs stand in einem vielfältigen breiteren Zusammenhang. Französische Proteste gegen einen solchen nicht abgesprochenen Transport waren in diesen Tagen ohnehin nicht ratsam, weil Hitler sich fast zugleich in Montoire dicht an der spanischen Grenze mit dem französischen Staatschef Marschall Pétain traf und Pétain hoffte, bei dieser Gelegenheit sein Konzept einer Kollaboration mit den Deutschen politisch absichern zu können. Kurz darauf in der deutsch-französischen Waffenstillstandskommission in Wiesbaden vorgebrachte Forderungen, die Deutschen möchten die Deportierten zurücknehmen, erhielten nie eine Antwort. Zudem hatte das Vichy-Regime mit einem „Juden-Statut“ am 3. Oktober 1940 gerade Maßnahmen beschlossen, die den 1933/1934 im Deutschen Reich erfolgten Ausgrenzungsmaßnahmen in Beruf und Privatsphäre gegen jüdische Mitbürger weitgehend entsprachen. Sie stellten eine radikale Verschärfung der seit 1938 eingeleiteten antisemitischen Maßnahmen in Frankreich dar, die zunächst auf eigenständigen französischen Planungen beruht hatten. Zur Auslieferung von Deutschen, die aufgrund von Widerstandshandlungen hatten fliehen müssen und sich – vielfach über saarländische Fluchtorganisationen – zunächst retten konnten, hatte Frankreich sich schon im Waffenstillstandsabkommen im Juni 1940 verpflichtet; auch viele von ihnen waren in Gurs oder anderen südfranzösischen Lagern wie Rivesaltes oder Les Milles inhaftiert. Bis 1941 wurden solche Deutsche und Österreicher individuell in das Großdeutsche Reich zurückgebracht und kamen dort meist in Konzentrationslagern um. Erst dann, als die SS sich seit Frühjahr 1942 innerhalb der deutschen Besatzungsverwaltung auch mehr und mehr gegen die Wehrmacht durchsetzte, begannen die großen Transporte, welche vor allem jüdische Deutsche trafen.

Seit etwa September 1940 nahm der deutsche Druck auf die französische Kollaborationsregierung gerade in der Frage der Judenverfolgung vehement zu. Der deutsche Botschafter in Paris, Otto Abetz, spielte dabei eine besonders aktive Rolle. Zunächst ging es noch vor allem um die persönliche Beraubung, die Erfassung über Melderegister, die Vertreibung über erzwungene Emigrationen und um Inhaftierungen. Ab 1942 wurden dann bis zur Befreiung 1944 über 75000 jüdische Bürger von Frankreich aus in die Vernichtungslager im Osten deportiert; viele dieser Züge nahmen ihren Weg über Saarbrücken. Nur etwa 2500 der jüdischen Deportierten kehrten aus den Lagern zurück. Viele Deportierte waren Staatenlose oder Ausländer, da die französische Regierung jüdische Franzosen trotz der zugleich weiter verschärften Ausgrenzungs- und Beraubungspolitik noch einige Zeit vor der Deportation zu schützen versuchte. Sehr viele jüdische Franzosen und Ausländer, darunter viele Kinder, wurden aber auch von der französischen Bevölkerung oder Ausländern in Frankreich versteckt und überlebten. Einige wenige von ihnen kehrten schon bald nach Kriegsende in das Saarland zurück, darunter der spätere Vorsteher der Synagogengemeinde Saarbrücken, Louis Salomon, mit seiner Gattin.

Auf deutscher Seite war die Oktober-Deportation 1940 die erste Massendeportation nach den vielfältigen individuellen Ausweisungen und erzwungenen Emigrationen seit 1933. Es war aber noch nicht die Zeit des Holocaust, der industrialisierten Massenvernichtung: noch wies man jüdische Deutsche eher aus, nachdem man sie – nicht zuletzt mit maßgeblicher Hilfe aller deutschen Finanzämter – ihres Vermögens beraubt hatte. Der Schritt zu den Transporten in Vernichtungslager erfolgte erst 1941, erfaßte dann aber vielfach erneut dieselben Opfer. Das gelang vor allem dann, wenn diese in ihren Zufluchtsländern inhaftiert worden waren – beispielsweise im Lager Gurs.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.