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Karin Maaß
Eisenbahnnetz und Bahnhofsbau
im Reichsland Elsaß-Lothringen
Mit der Annexion Elsaß-Lothringens 1871 übernahm die „Kaiserliche
Generale Direktion der Eisenbahnen in Elsaß-Lothringen“ die
Verantwortung für das Eisenbahnnetz in der Region. Die Geschäfte
waren unmittelbar der Berliner Reichskanzlei unterstellt. Das Deutsche
Reich war sich der wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung eines
wohlorganisierten Eisenbahnnetzes bewußt und investierte große
Summen in seinen Ausbau. Nach und nach tauschte man die französischen
Eisenbahnangestellten gegen deutsches, vorzugsweise preußisches
Personal aus. Die Wirtschaftsbeziehungen der besetzten Region wurden nach
Deutschland ausgerichtet, hierzu trug das ausgebaute Eisenbahnnetz seinen
Teil bei.
Ab 1903 gewann das elsässisch-lothringische Eisenbahnnetz im Rahmen
der preußischen Zentralisation eine immer wichtigere Rolle. „La
gare de Strasbourg étant au confluent des lignes de Rotterdam,
d’Anvers, des bouches de l’Escaut et du Rhin, la Prusse peut
aisément détourner le trafic ferroviaire du grand-duché
de Bade et du royaume de Wurtemberg vers les lignes d’Alsace-Lorraine,
au cas où ces États ne se comporteraient pas de la façon
souhaitée par Berlin“ (Baudoin, S. 18). Das Netz wuchs von
1081 km im Jahre 1871 über 1769 km 1896 auf 2076 km vor Kriegsausbruch
1914. Über die Strecke wurden große Fernzüge geführt,
was zu einer Zunahme des Aufkommens an Reisenden von 8,5 Mio. Personen
im Jahre 1872 auf 53 Mio. 1912 führte. Der Warenhandel stieg von
vier auf 42 Mio. Tonnen. Die Eisenbahnlinien verbanden das neu annektierte
Land mit dem Deutschen Reich, die Verbindungen nach Frankreich wurden
hingegen kaum ausgebaut.
Mit der Annexion begann das Deutsche Reich, die Bahnhöfe in Elsaß-Lothringen
und in Luxemburg aus-, um- und aufzubauen, um sie für ihre zivilen
und vor allem militärischen Zwecke besser nutzen zu können und
politische Zeichen zu setzen. Ihre Architektur spiegelte „très
clairement la volonté de domination politique, idéologique
et culturelle du vainqueur“ wider (Baudoin, S. 25). Besondere Sorgfalt
wurde auf die Grenzbahnhöfe
verwendet. Von 541 Bahnhöfen sind bis 1913 etwa 350 gebaut bzw. umgebaut
worden.
Mit dem wachsenden Stellenwert der Eisenbahn für das Land wuchs
auch der Aufwand für die Bahnhofsarchitektur. Wichtige Kriterien
für die Gestaltung neuer Bahnhöfe waren die Länge der Gleise
entsprechend den Zugarten, die Nähe des Bahnhofs zur Stadt und die
moderne, nützliche Form des Durchgangs- statt eines Kopfbahnhofs.
Die Architektur orientierte sich an der Neoromanik (vor allem unter Wilhelm
II.), der Neogotik oder der Neorenaissance, charakteristische Baumaterialien
waren Backstein, Eisen und Glas.
Die Architektur der Bahnhöfe, die in Elsaß-Lothringen während
der deutschen Zeit gebaut wurde, läßt sich in vier Gruppen
aufteilen:
1. Bahnhof mit Bergfried/Wehrturm/Uhrturm
Grundform: Uhrturm mit Dach aus vier Dachschrägen, an den sich zwei
weitere Gebäude anschließen. Ein Gebäude war zweigeschossig
(meistens lag im Obergeschoß die Wohnung des Bahnhofvorstehers),
das andere eingeschossig (Büro oder technische Einrichtungen), WC
in einiger Entfernung.
Dieser Typ fand bei etwa 18 Bahnhöfen mittlerer Bedeutung Verwendung.
Im Departement Moselle waren es Dambach-la-Ville, Morhange, Sundhoffen,
Rosheim, Vogelsheim, weiterhin Berthelming, Bouzonville, Burtécourt,
Chambrey, Creutzwald, Hargarten, Hayange, Koenigsmacker, Landroff, L’Hôpital,
Metz, Metzervisse, Réding, Sarralbe
und Thionville. Die ausgebaute Grundform findet sich in Barr, Bénestroff,
Bitche, Mutzig, Rémilly, Sarreguemines, Téterchen und am
ehemaligen Bahnhof von Haguenau. Gebäude links und rechts des Uhrturms
haben die Bahnhöfe in Augny, Lauterbourg und Sierck-les-Bains, einen
Uhrturm mit zwei Dachschrägen statt vier diejenigen in Bischheim,
Lauterbourg und Sierck-les-Bains
2. Bahnhof im Villenstil
Grundform: Kubisches Gebäude mit seitlichem Zwerchgiebel, eventuell
mit Glocke, ähnelt einer bürgerlichen Villa. Es finden sich
regional unterschiedliche Ausformungen. Etwa acht Orte erhielten diesen
Bahnhofstyp: Salonnes, Haboudange, Conthil, Distroff, Carling, Bourg-Bruche,
Drulingen, Frouday, Rountzenheim, Saales, Saint-Blaise-La Roche, Poutay
und Stephansfeld (Bas-Rhin).
3. Bahnhof im neoklassizistischen Stil
Diese ausgesprochen repräsentative Architektur wurde selten und
vor allem in Grenzorten verwendet. Orte mit diesem Bahnhofstyp sind Amanvillers,
Deutsch-Avricourt und Bischwiller (Bas-Rhin).
4. Bahnhof mit schlichter Gebrauchsarchitektur
Dieser Bahnhofstyp wurde üblicherweise an unbedeutenden Strecken
errichtet und war am weitesten verbreitet. Heute sind diese gebauten Zeitzeugen
selten geworden, da ungenutzt und architektonisch unbedeutend. Es waren
zweigeschossige Bahnhofsgebäude mit Satteldach, gelegentlich mit
Stockwerkgesims und Sandsteinrahmung der Fenster. In etwa 72 Orten findet
sich dieser Bahnhofstyp. Zwei Achsen hat er in Langensulzbach, Mattstaff,
Rosteig und Soucht, drei Achsen in
Epfig, Ferrette, Kruth, Saint-Louis-lès-Bitche, Sewen, Wingen-sur-Moder
und Woerth, noch mehr Achsen in Molsheim und Obernai (Elsaß).
Quellen und weiterführende Literatur
Baudoin, Laurent, Les gares d’Alsace-Lorraine. Un héritage
de l’Annexion allemande (1871–1918), Sarreguemines 1995.
Wilcken, Niels, Architektur im Grenzraum. Das öffentliche Bauwesen
in Elsaß-Lothringen (1871–1918), Saarbrücken 2000, S.
281.
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