Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
    Druckversion (PDF)    
 

Gerhild Krebs

Siedlung der Grube Von der Heydt

Von der Heydt, Burbach/Saarbrücken

Die Unterbringung der Bergleute in Von der Heydt war jahrzehntelang katastrophal. Dies änderte sich erst allmählich nach 1875 durch den Bau mehrerer Schlafhäuser. Davon hob sich die Unterbringung der Bergbeamten in der für sie errichteten Siedlung deutlich ab. Insgesamt spiegeln die erhaltenen Reste der Schlafhäuser und der Grubensiedlung die soziale Hierarchie im preußischen Bergbau wider. Eine solche soziale Hierarchie herrschte auch unter französischer Verwaltung ab 1919, doch drückte sie sich in Von der Heydt nur in geringem Umfang durch Bautätigkeit aus, da die Infrastruktur der Grube bereits bestand.

Beamtensiedlung

Am bewaldeten Osthang des Tales baute die Bergwerksverwaltung in zwei Bauphasen 1870–1885 und 1880–1890 die Wohnsiedlung für 55 Beamte und ihre Familien (Von der Heydt 1–22). Sie ist die älteste noch erhaltene Beamtensiedlung im Saarrevier und steht heute unter Denkmalschutz. Es existieren noch das Inspektionsgebäude, die aufwendige Direktorenvilla (Von der Heydt 20) und verschiedene Dienstwohnungen für Bergbeamte. Die unterschiedlichen Haustypen, die bis zur Jahrhundertwende entstanden, spiegeln sowohl die jeweilige Entstehungszeit als auch die Hierarchie der Beamten von der Direktorenvilla (mit parkartiger Gartenanlage) über die Häuser der Beamten der höheren Laufbahn (eine Familie pro Haus) bis zu den Beamten mittlerer und unterer Laufbahn (zwei bis sechs Familien pro Haus) und schließlich den Obersteigern (je zwei Familien in massiven, unverputzten, zweigeschossigen Sandsteinbauten). Selbst die kleinsten eingeschossigen Häuser in rotem Ziegel für die untersten Chargen waren von den Planern aber großzügig bemessen worden im Vergleich zu den winzigen Prämienhäusern der Bergleute an anderen Orten des Saarreviers großzügig bemessen worden. Zu jedem Beamtenhaus gehörte jeweils ein Gartengrundstück mit Wirtschaftsgebäude. Bereits ab 1870 hatten die Kinder der Beamten ein eigenes Schulgebäude. Es ist heute ein Wohnhaus. Nach 1965 wurden von der Saarberg AG mehrere leer stehende Häuser der Beamtensiedlung abgerissen.

Schlafhaus I

Zwischen 1871 und 1876 (vorwiegend 1873–1875) wurde das solide Schlafhaus I gebaut. Es ist exemplarisch für das Schlafhaussystem im preußischen Bergbau des 19. Jahrhunderts. Das lang gestreckte, zweiflügelige, zweigeschossige Gebäude mit Dreiecksgiebel ist unterteilt von einem Mittelrisaliten mit Akroterien, Lisenen und Gesimsen als gliedernde Elemente der Fassade, der ein halbrunder Platz vorgelagert ist. In einem Flügel befanden sich Funktionsräume wie Waschgelegenheiten, Einzeltoiletten, Koch-, Eß-, Lese- und Unterhaltungsräume für ca. 250 Bergleute. Geschlafen wurde in Sälen zu acht Betten. Seinen Spitznamen „Casino“ erhielt das Schlafhaus I, weil das Casino der Bergbeamten den gesamten anderen Flügel beanspruchte. Es hatte einen Bierkeller, dessen überaus reich verzierter Eingang wie ein Stollenmundloch aussah (1875). Die funktionale Ausstattung entsprach der gutbürgerlicher Villen: Es gab einen Ausschank (mit alkoholischen Getränken), je ein Lese- und Billardzimmer, eine überdachte Kegelbahn sowie einen Musikpavillon für Sonntagskonzerte. Den Bergleuten war der Zutritt zum Casino verboten. Die Gesamtinvestition von 250.000 Mark in das Schlafhaus I war für damalige Verhältnisse sehr hoch und wurde in den Selbstdarstellungen Preußens ausführlich dokumentiert als Musterbeispiel staatlicher Arbeiterfürsorge.

Schlafhaus II

Das größere Schlafhaus II im neoromanischen Stil wurde 1886 oberhalb von Schlafhaus I errichtet. Im Gegensatz zur repräsentativen Gestaltung von Schlafhaus I ging man bei diesem nur für die Arbeiter bestimmten Bau zurück zu strenger Funktionalität und baute wesentlich preiswerter. Als das Schlafhaus II, erbaut 1886–1889 für 288 Personen, im Jahr 1890 endlich bezugsfertig war, kündigte sich während der Großen Streikzeit (1889–1893) bereits an, daß die Saarbergleute ihren niedrigen Arbeitslohn und die schwierigen Lebensbedingungen angesichts der erwirtschafteten Überschüsse nicht mehr einfach hinnahmen. Die Ära der Schlafhäuser endete allmählich durch den Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel. 1905 wurde im Zuge der Elektrifizierung auch eine Straßenbahnlinie zwischen St. Johann und Riegelsberg gebaut, wodurch viele Bergleute täglich in die näheren Heimatgemeinden fahren konnten – die Monatskarte kostete 3 Mark, etwa einen Schichtlohn. Die Schlafhäuser verloren dadurch an Bedeutung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden sie auch in Von der Heydt nicht mehr benötigt – das mittlerweile errichtete Schlafhaus III wurde in Arbeiterwohnungen umgewandelt.

Nutzung der Schlafhausanlage nach 1919

Das Schlafhaus II wurde im Jahr 1923 von der französischen Bergwerksverwaltung, den Mines Domaniales, mit einer St. Albert-Kapelle versehen und ist seither als „Die Kirch“ bekannt. Nach der Teilstillegung der Grube (1932) hatten die leer stehenden Gebäude wechselnde Funktionen. Eine zwischenzeitliche Nutzung der Schlafhausanlage, die man ab 1935 verdrängte und die daher bisher nie erwähnt wurde, konnte kürzlich anhand von kommunalem Aktengut nachgewiesen werden: Zwischen Mitte 1933 und Januar 1935 dienten die Schlafhäuser zur Unterbringung von Flüchtlingen aus dem Deutschen Reich. Die Saarländische Friedensgesellschaft und Liga für Menschenrechte im Saargebiet (Sitz: Saarbrücken) leitete dieses Heim. Wie viele Menschen dort für wie lange untergebracht waren und unter welchen Bedingungen sie dort lebten, bleibt aufgrund der lückenhaften Akten unklar. Sicher ist, daß das Lager nachts von Wachtposten umstellt war. Die Flüchtlinge konnten sich tagsüber auch außerhalb des Lagers frei bewegen. Sie befanden sich offenbar in den meisten Fällen nur wenige Wochen oder einige Monate dort; im August/September 1934 hielten sich z.B. 62 Männer und zwei Frauen im Lager auf. Allem Anschein nach war Von der Heydt eine Art Durchgangsstation auf dem Fluchtweg nach Frankreich. Die Friedensgesellschaft versuchte Anfang 1934, den erwerbslosen Flüchtlingen eine Arbeitsmöglichkeit zu schaffen, scheiterte jedoch am Widerstand der französischen Grubenverwaltung, welche die Aufstellung der benötigten Maschinen nicht gestattete. So konnten die Flüchtlinge sich weder durch Arbeit ernähren, noch den Vorwurf der Bevölkerung und der lokalen deutschen Verwaltung entkräften, sie lägen auf der faulen Haut. Die letzten Flüchtlinge verließen das Lager wohl kurz nach der Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses (15. Januar 1935) und gingen vermutlich zunächst nach Frankreich. In der Nacht vom 23. auf den 24. Januar 1935 fand in Von der Heydt ein Überfall statt, bei dem eine Gruppe unbekannter Männer unter anderem mehrere Schüsse abgab. Ziel war es offenbar, etwaige noch anwesende Emigranten zu vertreiben, tätlich anzugreifen oder umzubringen. Die Täter stammten aus den umliegenden Dörfern, wie ihre Ortskenntnis nahe legt. Der Vorfall wurde von der Polizei nicht verfolgt und bald zu den Akten gelegt. Während der NS-Zeit war in Schlafhaus I zunächst eine Art Kaderschule untergebracht. Während des Zweiten Weltkrieges diente die Schlafhausanlage der nationalsozialistischen Verwaltung als Ostarbeiterlager. Die Vorgänge in diesem Lager können wegen fehlender Lagerakten nicht rekonstruiert werden. Aus bruchstückhaft erhaltenen Friedhofsakten geht hervor, daß dort zahlreiche Frauen und einige Männer aus Polen, Rußland und der Ukraine untergebracht waren, die als Zwangsarbeiter in der Grube arbeiteten. Ein Teil von ihnen, darunter einige im Lager geborene Kinder, kam dort ums Leben; sie wurden in Riegelsberg bestattet. Nach dem Krieg beherbergte Schlafhaus I die Geologische Sammlung der Saarbergwerke, die inzwischen im Gebäude der ehemaligen Bergingenieurschule in Saarbrücken (Trierer Straße) untergebracht ist. 1989 wurde Schlafhaus I zum Aussiedlerwohnheim umgebaut. Von Schlafhaus II ist nur noch der rechte Seitenflügel erhalten; er wurde 1989–1990 umgebaut und ist seither Dienstsitz der Landesforstverwaltung des Saarlandes. Die erhaltene Bausubstanz der Grube und Siedlung Von der Heydt spiegelt noch deutlich die preußische Zeit des Saarbergbaues wider, während sich die zwei Phasen französischer Bergverwaltung auf baulicher Ebene nur durch den Umbau von Schlafhaus II (1923), dafür aber auf der Nutzungsebene durch die Teilstillegung (1932), Umnutzung (1951) und zeitweise Nutzung als Flüchtlingslager (1933–1935) eindringlicher bemerkbar gemacht hat.

Quellen und weiterführende Literatur

Krebs, Gerhild, Geschichte des Köllertals 1918–1948. Die Dörfer Köllerbach und Püttlingen, Manuskript.

Oberhauser, Fred, Das Saarland. Kunst, Kultur und Geschichte im Dreiländereck zwischen Blies, Saar und Mosel, 2. Auflage, Köln 1999, S. 17, 40, 129–130.

Schmitt, Armin, Denkmäler saarländischer Industriekultur. Wegweiser zur Industriestraße Saar-Lor-Lux, 2. Auflage, Saarbrücken 1995, S. 156–161, Zitate S. 158, 159.

Serve, Hans-Jürgen, „Diese Leute gehen Sonnabend in ihre Heimath...“. Bergmannsleben in Von der Heydt, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard u.a. (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815–1955, 2. Auflage, Bonn 1988, S. 50–55.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 142–143, 289–290.

Stadtverband Saarbrücken (Hg.), Werkswohnungen des Preußischen Bergfiskus und der Mines Domaniales Françaises. Eine Dokumentation zum Werkswohnungsbau der preußischen und französischen Grubenverwaltung zwischen 1815 und 1935 im Stadtverband Saarbrücken, Saarbrücken 1985, S. 74–76; Anmerkung: die Dokumentation macht keine Angaben zum Umbau von Schlafhaus II.

Landesarchiv Saarbrücken, Bestand Depositum Bürgermeisterei Riegelsberg, Nummer 158 grün, 168 grün, 178 grün; Anmerkung: vorläufige Bestandsnummern; gesichtet durch Gerhild Krebs 1996/1997.

 

>> zurück zum Seitenanfang

   
   
   
Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.