Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Blieskastel

Regionalhistorischer Kontext

Die Herrschaft der deutschen Reichsgrafen von der Leyen über Blieskastel und seine Umgebung hatte mit der Flucht der letzten regierenden Gräfin Marianne am 15. Mai 1793 geendet. Blieskastel teilte damit das Schicksal der anderen linksrheinischen Adelsterritorien in dieser Zeit. Als einzige der ehemaligen regierenden Landesherren schilderte Marianne später in ihrer französisch abgefaßten Beschreibung „Journal des mes malheurs dans la révolution l’an 1793" (Bericht meines Unglücks im Jahre 1793 während der Revolution) die Geschehnisse aus ihrer Sicht. Die Blieskasteler, die nicht fliehen konnten, mußten mit der neuen Situation zurechtkommen. Als Bewohner einer Stadt, die innerhalb weniger Jahrzehnte zur glanzvollen Barockresidenz ausgebaut worden war, befürchteten sie Schlimmes. Um eine Schleifung der Stadt zu verhindern und sich in gutes Licht zu setzen, bemühten sie sich noch im gleichen Jahr (und nochmals 1794) während der Kämpfe zwischen dem revolutionären Frankreich und den europäischen Monarchien darum, mit der Republik vereint zu werden oder wenigstens eine französische Schutzgarantie zu erhalten. Blieskastel wurde jedoch von den Revolutionstruppen erobert. Die Stadt und ihre Umgebung litten nach der Zerstörung des gräflichen Schlosses, wie die besetzten Territorien allgemein, vor allem unter Kontributionen und Truppeneinquartierungen, insbesondere im sogenannten „Plünderwinter“ 1793. Im Juni 1794 schien es zeitweise, als würden die preußischen Truppen die französischen besiegen, weswegen die Blieskasteler nun wiederum Graf Philipp von der Leyen brieflich ihrer Treue versicherten. Nachdem die linksrheinischen Territorien im Frieden von Campo Formio (1797) vorläufig an Frankreich gefallen waren, bemühte man sich in Blieskastel, den Ideen und Gepflogenheiten der Revolution zu folgen, veranstaltete Revolutionsfeste und errichtete am 10. Februar 1798 einen Freiheitsbaum. Blieskastel wurde im gleichen Jahr Kantonsstadt im Saar-Departement. Der Frieden von Lunéville bestätigte 1801 die Gebietsentscheidung von 1797. Die Blieskasteler Brunnen-Huldigung an Napoleon von 1804 (Napoleon- oder Schlangenbrunnen) mußte wegen seiner Abdankung bereits 1814 widerrufen werden. Im gleichen Jahr schickte die Stadt noch eine letzte Ergebenheitsadresse an Philipp von der Leyen, doch ab 1816 fiel der Kanton wie das gesamte östliche Saarland an Bayern. Dessen König Maximilian Joseph I., der seine Krone Napoleon verdankte, huldigten die Blieskasteler 1823 mit der Maximiliansäule. 1918 rückten die französischen Besatzungstruppen mit ihren Fahrrädern in Blieskastel ein. Eine Kranzniederlegung am Schlangenbrunnen und eine Militärparade wurden durchgeführt. Es waren auch Soldaten aus dem kolonialen Marokko bei der Truppe. Ihr Erscheinen als Mitglieder der Besatzungsarmee war die erste Begegnung vieler Blieskasteler mit Menschen anderer Hautfarbe. Da im zeitgenössischen europäischen Verständnis „Neger“ als Menschen zweiter Klasse galten, wurde die Pflicht, ihnen gehorchen zu müssen, als doppelte Erniedrigung empfunden. Solche Reaktionen der Bevölkerung waren nach 1918 an verschiedenen Orten im damaligen Saargebiet – wie im übrigen Rheinland – zu beobachten und fügten dem Abstimmungskampf 1933–1935 rassistischen Zündstoff hinzu. Am 4. Mai 1921, einen Tag vor Napoleons 100. Todestag, trafen im Verlauf des Nachmittags viele Soldaten und Zivilisten in Blieskastel ein, zwei Geschütze wurden neben dem Schlangenbrunnen aufgestellt, und in Anwesenheit eines französischen Generals erfolgten eine Ordensverleihung und eine feierliche Kranzniederlegung mit Salutschüssen. Im gleichen Jahr wurde erstmals das Webenheimer Bauernfest (17. Juli 1921) gefeiert, das als Feier bäuerlicher Kultur und Tradition die Zugehörigkeit zu Deutschland bezeugen sollte und somit eine politische Gegeninszenierung zur Napoleon-Feier darstellte. Auch der französische Staatsrat Victor Rault, 1920–1926 Präsident der Regierungskommission des Völkerbundes, setzte sich 1922 persönlich für die Restaurierung des Schlangenbrunnens ein im Streben, die historischen Verbindungen des Saarraums mit Frankreich zu betonen. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Komplexität der deutsch-französischen Geschichte ebenfalls nur selektiv dargestellt. 1937 erschien im Verlag der Saarbrücker Zeitung (Saarbrücker Druckerei und Verlag AG) das Buch „Reichsgräfin Marianne von der Leyen, Leben – Staat – Wirken“ von Ludwig Eid und Wolfgang Krämer. Als Sonderdruck daraus gab Krämer 1939 den Text ihrer Beschreibung mit dem geänderten Titel „Meine Flucht vor den Schergen Robespierres 1793" neu heraus, „im Hinblick auf den nahenden 150jährigen Gedenktag dieser einzigartigen Flucht“ (Vorwort), der allerdings noch vier Jahre entfernt war. Währenddessen jubelte die Mehrheit der Bevölkerung in Blieskastel Hitler zu, als dieser am 10. Oktober 1938 die Stadt und ihre Umgebung im Zuge einer Westwallinspektion durchfuhr.

Quellen und weiterführende Literatur

Eid, Ludwig/Krämer, Wolfgang, Reichsgräfin Marianne von der Leyen geb. von Dalberg, Saarbrücken 1937.

Legrum, Kurt, Festschrift 900 Jahre Blieskastel, Blieskastel 1998, S. 30–34 u. 56–58. Die Verfasserin dankt an dieser Stelle Herrn Stadtarchivar Kurt Legrum (Blieskastel), für die Hinweise zur Kranzniederlegung 1918 und den Veränderungen an der Inschrift.

Legrum, Kurt, Spaziergang durch die gräflich-leyensche Residenz Blieskastel, St. Ingbert 1995 (Wege in die Region, Bd. 3), S. 24f., 62f.; Anmerkung: Durch einen Fehler bei der Drucklegung wurde das Manuskript des Verfassers versehentlich verändert, so daß auf S. 25 fälschlich auf das Datum der Kaiserkrönung am 2. Dezember 1804 verwiesen wird.

Linsmayer, Ludwig, Politische Kultur im Saargebiet 1920–1932, St. Ingbert 1992.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 23.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.