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Gerhild KrebsEhemalige Flüchtlingsauffanglager in LothringenZwischen dem 15. Januar 1935 um 9:00 Uhr, als das Ergebnis der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935 übers Radio bekannt gegeben wurde, und dem Ende des Monats März 1935 machten sich mehrere Tausend Flüchtlinge auf den Weg über die Grenze nach Lothringen. Im bisherigen Saargebiet, nunmehr Saarland genannt, herrschten ab dem 1. März 1935 die Nationalsozialisten. Die Flüchtlinge hatten allen Grund zu gehen: Überall im Saarland sammelte sich in den Stunden und Tagen nach der Abstimmung der Mob, aufgepeitscht von der Deutschen Front und durch Radiosendungen aus dem Reich. Vor den Häusern von Status-Quo-Anhängern bildeten sich aufgehetzte Menschengruppen, die liturgische Totengesänge anstimmten, schrieen, Steine warfen, fluchten und verprügelten, wessen sie habhaft werden konnten. Übergriffe auf Hab und Gut, Drohungen gegen Leib und Leben der Status-Quo-Anhänger waren an der Tagesordnung. Der Status Quo wurde symbolisch als Strohpuppe verbrannt, per Sarg oder Grabstein zu Grabe getragen, Dankgottesdienste und lokale Feiern abgehalten, um die Rückkehr zu Deutschland zu zelebrieren. Während die meisten noch feierten, fahndete bereits die Gestapo nach ihren ersten Opfern. Unter den Flüchtlingen, die man im nationalsozialistischen Deutschland nur „Emigranten“ nannte – als ob ihre Flucht eine freiwillige gewesen wäre –, waren außerdem Hunderte von Personen, die zuvor bereits aus dem Reich geflüchtet waren: Gewerkschaftsmitglieder, Funktionäre der Arbeiterbewegung, ihrer Kultur- und Sozialorganisationen, Mitglieder und Funktionäre der Sozialdemokratischen und der Kommunistischen Partei und Menschen, die einfach nicht Hitler dienen wollten. Die Mehrheit der Flüchtlinge waren Männer, ein Teil aber auch Ehepaare und ganze Familien. Die französische Regierung richtete im grenznahen Lothringen insgesamt 67 Notlager ein, um den Ansturm der vielen Menschen zu bewältigen: solche Centres d'hébergement gab es bisherigem Kenntnisstand nach unter anderem in einer Forbacher Turnhalle sowie in Bouzonville (Busendorf) und Teterchen bei Boulay-en-Moselle (Bolchen). In diese Auffanglager wurden die Flüchtlinge von der Forbacher Beratungsstelle für Saarflüchtlinge geschickt, die als erste Fluchtstation hinter der Grenze fungierte. Die Einrichtung der Auffanglager bedeutete jedoch nicht, daß alle Flüchtlinge aufgenommen wurden: „Wenn Frankreich auch in großem Umfang und mit erheblichen finanziellen Aufwendungen sich der saarländischen Flüchtlinge annahm, darf man daraus nicht schließen, daß es keine Ausnahmen oder Rückschläge gegeben hätte“ (Schock, S. 172). Am 9. Februar 1935 wurden beispielsweise rund 300 Saareinwohnerinnen und -einwohner zwangsweise von der Forbacher Beratungsstelle zur Grenze zurückgebracht, darunter hochschwangere Frauen. Manche Flüchtlinge waren so verzweifelt, daß sie an Ort und Stelle versuchten, sich durch Aufschneiden der Pulsadern umzubringen. Die Forbacher Beratungsstelle vergab im Auftrag des Völkerbundes einen provisorischen Paß, den für Aufenthalt und Arbeitserlaubnis wichtigen „Nansen-Ausweis“. Wer ihn bekam, konnte sich bis Kriegsbeginn relativ frei bewegen, eine Wohnung mieten und eine Arbeit aufnehmen. Mit Hinweis auf den Paß löste die französische Regierung die Auffanglager bis zum 20. September 1935 auf. Die Auffanglager existierten nur in den wenigen Monaten zwischen Januar und September 1935. Sie wurden offenbar notdürftig in Schulen oder Turnhallen eingerichtet. Ob es eine Lagerverwaltung im engeren Sinne gab, ist bislang unbekannt. Ob es bauliche Veränderungen an den bestehenden Gebäuden gab oder beispielsweise eigens Baracken gebaut wurden, konnte bislang ebenfalls nicht rekonstruiert werden. Nach derzeitigem Kenntnisstand hat sich in Lothringen keine bauliche Spur der Centres d'hébergement erhalten. Sie werden hier beschrieben, weil sie die humanitäre Reaktion der damaligen französischen Regierung und der Bevölkerung in Lothringen belegen. Quellen und weiterführende LiteraturHerrmann, Hans-Walter (Hg.), Widerstand und Verweigerung im Saarland 1935–1945, Bd. 1, Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard, Das zersplitterte Nein: Saarländer gegen Hitler, Bonn 1989, S. 118. Schock, Ralph, „Denk ich an Deutschland in der Nacht...“. Saarländer im Exil, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard u.a. (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815–1955, 2. Auflage, Bonn 1988, S. 172–177.
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