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Gerhild KrebsEhemalige Beratungsstelle für Saarflüchtlinge41, Rue Nationale, ForbachBaugeschichte und NutzungAls am Morgen des 15. Januar 1935 über Rundfunk das Ergebnis der Volksabstimmung über die Zukunft des Saargebietes vom 13. Januar 1935 bekannt gegeben wurde, richtete Max Braun (Vorsitzender der Sozialdemokratischen Landespartei des Saargebietes, SLS) noch am gleichen Tag in Forbach im Haus Rue Nationale 41 eine Beratungsstelle für Saarflüchtlinge ein. Mit dem zeitgenössischen Begriff „Saarflüchtlinge“ waren einerseits Personen – hauptsächlich Männer, aber auch ganze Familien – gemeint, die ab 1933 aus dem Gebiet des Deutschen Reiches ins Saargebiet geflüchtet waren, andererseits diejenigen Saarländer, deren Flucht erst nach der Abstimmung 1935 begann. Finanzielle Träger der Beratungsstelle waren der Internationale Gewerkschaftsbund, die Sozialistische Arbeiter-Internationale, die Sopade, der Matteotti-Fonds und die französische Gewerkschaft CGT. Bis Ende März 1935 suchten Tausende von Flüchtlingen den Weg über die Grenze, um dem Haß ihrer nationalsozialistisch gesinnten Nachbarn und der Regierungsgewalt der Nationalsozialisten zu entgehen, die seit dem 28. Februar 1935 ab 12 Uhr mittags auch im Saargebiet galt. Wegen der großen Zahl der Flüchtlinge nahm die Arbeit der Forbacher Beratungsstelle rasch einen Umfang an, der dem eines größeren städtischen Amtes vergleichbar war, ohne daß die Räumlichkeiten hätten ausgedehnt werden können. In der Beratungsstelle wurden sogenannte Nansen-Ausweise vergeben. Dieses Dokument des Internationalen Nansen-Amtes des Völkerbundes für Staatenlose (benannt nach dessen erstem Leiter, dem Polarforscher Frithjof Nansen) war ein international gültiger Paß. Da die Vergabekriterien nicht klar definiert waren, erhielten nur etwa 1200 Flüchtlinge einen solchen Ausweis. Von der Beratungsstelle aus wurden die Flüchtlinge in provisorische Auffanglager (sogenannte Centres d'hébergement) geschickt. Die französische Regierung löste mit dem Hinweis auf den Nansen-Ausweis die Auffanglager bis zum 20. September 1935 auf. Dadurch änderte sich auch die Aufgabe der Forbacher Beratungsstelle. Sie diente nun vor allem als Koordinations-, Informations- und Kontaktstelle für die über ganz Frankreich verstreuten Flüchtlinge. Sie wurde am 30. April 1936 gleichfalls aufgelöst und ersetzt durch eine Zweigstelle des staatlichen französischen „Office pour les Refugiés Sarrois“. Das Office Sarrois kümmerte sich wie zuvor die Beratungsstelle um die Ausstellung von Personalpapieren für die Flüchtlinge, vermittelte ihnen Arbeitsplätze und verwaltete für die dringendsten Fälle einen Hilfsfonds. Bereits seit dem 24. Januar 1935 hatte die Forbacher Beratungsstelle die „Nachrichten von der Saar“ als hektographierte Informationsblätter verschickt. Nach der Schließung der Auffanglager wurde hier auch die Zeitschrift der Einheitsfront herausgegeben, das Informationsblatt „Von Emigranten für Emigranten“. Die Zeitschrift wurde von zwei Kommunisten (Herbert Wehner, August Hartmann) und zwei Sozialdemokraten (Max Braun, Albert Grzesinski) gemeinsam redigiert. Das Wohn- und Geschäftshaus Rue Nationale 41 wurde nach dem Zweiten Weltkrieg umgebaut. Regionalhistorischer KontextDie Flüchtlinge benötigten vor allem gültige Ausweispapiere, aber auch viele andere Fragen waren von der Beratungsstelle zu klären, deren Hauptaufgabe es war, „die Saaremigranten – unabhängig von ihrer politischen Couleur – in sozialen und rechtlichen Fragen zu beraten und gegebenenfalls finanzielle Unterstützung zu leisten“ (Schock, S. 174). Max Braun, seit 1923 als Funktionär der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Saargebiet tätig gewesen, hatte 1933 das Vermögen und die Häuser des Landesverbandes seiner Partei vor der Enteignung durch die Nationalsozialisten gerettet, indem er die Umbenennung des Landesverbandes in eine rechtlich eigenständige Form unter dem Namen Sozialdemokratische Landespartei des Saargebietes veranlaßte. Braun war als Vorsitzender der SLS bis zur Abstimmung der prominenteste Hitlergegner an der Saar gewesen. Er hatte zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 15. Januar 1935 mit aller Kraft daran gearbeitet, ein Abstimmungsergebnis für den Status Quo zu erzielen – trotz der Hetzkampagnen in der nationalsozialistisch gesteuerten Presse, vielen Morddrohungen und einem Attentat auf sein Leben. In der Forbacher Beratungsstelle arbeitete Braun zusammen mit Emil Kirschmann und Johanna Kirchner. Kirschmann war Sopade-Funktionär, Kirchner Funktionärin der Arbeiterwohlfahrt; beide hatten seit 1933 im Saargebiet gelebt. Die Forbacher Adresse in der Rue Nationale diente auch als Anlauf- und Koordinationsstelle für den antifaschistischen Widerstand. Johanna Kirchner war dafür zuständig, die von den Flüchtlingen erhaltenen Informationen an den Vorstand der Sopade weiterzuleiten, der sich so ein klareres Bild über die Lage im Deutschen Reich machen konnte. Max Brauns Ehefrau Angela Braun-Stratmann, Leiterin des von ihr gegründeten Landesverbandes der Arbeiterwohlfahrt im Saargebiet in den Jahren 1925–1935, war mit ihrem Mann geflohen und ab 1936 als Mitarbeiterin in der Pariser Zentrale des „Office pour les Refugiés Sarrois“ tätig, das den Saarflüchtlingen unbürokratisch Arbeitsgenehmigungen erteilte. Dort waren schließlich auch Max Braun, Emil Kirschmann, Georg Denicke und Marie Juchacz tätig, die zusammen über die Fluchtstationen Forbach und Moulin-lès-Metz (Rue de Verdun 7) nach Paris kamen. Innerparteilich stand Max Braun wegen seiner Zusammenarbeit mit der Saar-KPD in der Einheitsfront (dem überparteilichen Zusammenschluß der Hitlergegner an der Saar 1934/1935) im Gegensatz zu Otto Wels, dem Vorsitzenden der Sopade in Prag. Die innerparteilichen Konflikte zwischen der von Braun geführten SLS (Exilsitz in Paris) und der Sopade blieben bis 1939 bestehen, während sich beispielsweise die Saar-KPD voll auf ihre Exil-Parteileitung in Paris stützen konnte. Bei Kriegsausbruch 1939 mußten alle Flüchtlinge das französische Grenzgebiet zu Deutschland verlassen. Die meisten männlichen und viele weibliche Saarflüchtlinge wurden als feindliche Ausländer klassifiziert und in Lagern interniert. Unter ihnen befanden sich viele aktive Widerstandskämpferinnen und -kämpfer. Nicht wenige von ihnen erlitten ein Schicksal wie das von Johanna Kirchner. Sie wurde zunächst ins Departement Meuse deportiert, im Juni 1942 in Aix-les-Bains von der Sûreté verhaftet und an die Gestapo ausgeliefert. Über das Lerchesflur-Gefängnis in Saarbrücken und ein weiteres Gefängnis in Frankfurt führte ihr Weg ins Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit. Sie wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt, nach acht Monaten nahm jedoch der Volksgerichtshof den Fall erneut auf und verurteilte sie zum Tode. Sie wurde am 9. Juni 1944 im Gefängnis Berlin-Plötzensee mit dem Fallbeil hingerichtet. Max Braun wandte sich aufgrund seiner Erfahrungen an der Saar und im Exil konsequent von jeglichem Nationalismus ab, den er als entscheidende Quelle für den Faschismus ansah. Dem Ehepaar Braun gelang nach der Besetzung Frankreichs auf Umwegen die Flucht nach London, wo Max Braun 1948 kurz vor der Rückkehr ins Saarland starb. Angela Braun-Stratmann (geänderter Name Angèle Braun) kehrte allein ins Saarland zurück und lebte hier bis 1955. Sie war unter anderem als Journalistin in verantwortlicher Position für die in Saarbrücken herausgegebene Frauenzeitschrift „Charme“ tätig. Nach der Abstimmung über das Europäische Statut des Saarlandes (23. Oktober 1955) verließ sie das Saarland und lebte bis zu ihrem Tod in Frankreich. Eine Straße im Zentrum von Saarbrücken wurde 1951 nach Max Braun benannt, nach dem Ergebnis der Volksabstimmung von 1955 jedoch in Großherzog-Friedrich-Straße umbenannt. Vor dem Hintergrund dieser zweiten Volksabstimmung läßt sich die erneute Umbenennung als Akt politischer Restauration interpretieren, um Brauns Andenken im öffentlichen Raum Saarbrückens zu tilgen. Seine und die Widerstandstätigkeit seiner Frau, Max Brauns herausragende Rolle im Abstimmungskampf 1933–1935 sowie ihrer beider Leben im Saargebiet seit 1923 sollten aus dem öffentlichen Bewußtsein gestrichen werden. Die Neubenennung der Straße nach einem Mitglied der 1792 entmachteten Dynastie Nassau-Saarbrücken verweist auf „eine programmatische und strukturelle Revision der offiziellen Nachkriegserinnerung unter der Regierung Hoffmann“ in der Zeit unmittelbar nach der zweiten Volksabstimmung (Flender, S. 89). Bis heute fehlt im Saarland ein Denkmal für Max Braun und Angela Braun-Stratmann. Die Stadt Saarbrücken ehrte Johanna Kirchner 1985 durch eine Büste nach einem Entwurf des Bildhauers Clemens Strugalla (Frankfurt), aber auch zu dieser Ehrung kam es erst nach einem Protest des saarländischen Landesverbandes der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Die Gedenkstätte Neue Bremm wurde seit Ende der siebziger Jahre zur Erinnerungsstätte für den Widerstand und alle Opfer des nationalsozialistischen Regimes. Quellen und weiterführende LiteraturBies, Luitwin, Der antifaschistische Kampf der KPD im Saargebiet, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935–1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 186–198. Flender, Armin, Öffentliche Erinnerungskultur im Saarland nach dem Zweiten Weltkrieg, Baden-Baden 1998. Maaß, Karin, Johanna Kirchner (1889–1944) – Eine Frau leistet Widerstand, in: Frauenbüro der Landeshauptstadt Saarbrücken/Frauenbibliothek und -dokumentationszentrum Saarbrücken (Hg.), Frauenwege in Saarbrücken, Saarbrücken 2000. Mallmann, Klaus-Michael, „Lieber republikanisch sterben als faschistisch verderben“. Zum Widerstand saarländischer Sozialdemokraten, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar (1935–1945). Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 171–185. Schock, Ralph, „Denk ich an Deutschland in der Nacht...“. Saarländer im Exil, in: Mallmann, Klaus-Michael/Paul, Gerhard/Schock, Ralph/Klimmt, Reinhard (Hg.), Richtig daheim waren wir nie. Entdeckungsreisen ins Saarrevier 1815–1955, 2. Auflage, Bonn 1988, S. 172–177.
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