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Gerhild KrebsVersöhnungskirche, VölklingenMoltkestraße 35, VölklingenBaugeschichteNach dem Brand der alten evangelischen Kirche von Völklingen, der Martinskirche (Im Alten Brühl), am 12. Februar 1922, benötigte die damals einzige evangelische Gemeinde in Völklingen dringend ein neues Kirchengebäude im Stadtzentrum. Röchling finanzierte einen großen Teil des Baues durch ein Darlehen von 250000 Mark, hinzu kamen 150000 Mark der internationalen Regierungskommission des Völkerbundes, weitere Mittel wurden von der Bevölkerung im Rahmen eines Kirchenbaubasars aufgebracht. Die neobarocke evangelische Kirche, einer der letzten Kirchenbauten dieses Stils, wurde nach Plänen des Architekten Franz Kuhn (Heidelberg) errichtet. Die Bauleitung vor Ort hatten die Architekten Hans Henlein und Franz Wagner (beide Völklingen). Auf Wunsch des Presbyteriums und des Hauptstifters Röchling wurde eine historistische Gestaltung, d.h. in einem damals bereits antiquierten Stil, erwartet. Kuhn lehnte sich daher bei seinem Entwurf an die Saarbrücker Stengelbauten an. Die Grundsteinlegung erfolgte am 4. Juli 1926 und die Einweihung am 13. Mai 1928. Die Altarbibel, ein Geschenk des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg mit seiner handschriftlichen Widmung anläßlich der Einweihung, wird bis heute hier aufbewahrt. Außen rechteckig, bietet sich der zwischenzeitlich restaurierte Kirchenraum innen im Bereich der Kirchenbänke als Muschelform dar, damit ein vorchristliches Sinnbild für den unendlichen Zyklus des Lebens aufgreifend, das sich im Spätbarock besonderer Beliebtheit erfreut hatte. Die Gestaltung der Orgel der Firma E. F. Walcker (Ludwigshafen), die am 28. März 1930 eingeweiht wurde, verbindet spätromantische und moderne Elemente des Orgelbaus; sie wurde 1979 restauriert. Das Deckengemälde von 1936 in der Kassettenkuppel, ein Fresko von Waldemar Kolmsperger, zeigt ein traditionelles christliches Motiv: den Tag des Jüngsten Gerichts mit Christus in der Mitte, umgeben von den rauchenden Schloten der Industrielandschaft, den verstorbenen Mitgliedern der Stifterfamilie Röchling, einem zur Freiheit aufstrebenden Adler als Sinnbild der Saarabstimmung 1935 und der Gruppe der für den Bau Verantwortlichen (Architekten, Pfarrer, Kirchenmeister) mit einem kleinen Modell der Kirche – letztere Gruppe ikonographisch angelehnt an mittelalterliche Abbildungen adliger Kirchenstifter. Das Bildprogramm der Kirchenfassade zeigt vier Allegorien von 1932/1935, die beiderseits des Haupteingangs durch je zwei übereinander angeordnete vollplastische Gußstatuen nach Entwürfen des Bildhauers Viktor Funk verkörpert werden: Als Bild für die Barmherzigkeit wählte Funk eine Krankenschwester, für die Arbeit einen Eisengießer, für die Liebe eine Mutter mit Kind, und für die Treue einen Soldat, der mit einer Stielhandgranate bewaffnet seinen verwundeten Kameraden deckt. Die Statuen, eine Stiftung der Familie Röchling, wurden 1935 im Röchlingschen Werk gegossen. Die Kirchenfassade wurde 1984/1985 renoviert. Die neue Kirche wurde zunächst einfach nur Stadtkirche genannt, da die Gemeinde mit rund 9500 Mitgliedern jahrelang die einzige evangelische Pfarrgemeinde in Völklingen war. 1968 erhielt die Kirche nach einer Umfrage bei den Gemeindemitgliedern den neuen Namen Versöhnungskirche zur Unterscheidung von den zwischenzeitlich entstandenen evangelischen Kirchen in anderen Stadtteilen Völklingens. Regionalhistorischer KontextDie evangelische Stadtkirche Völklingens entstand 1926–1928 im Kontext des politischen Kampfes um die Saar als „nationales Denkmal für den Protestantismus im bedrohten Grenzland“ (Broschüre Versöhnungskirche, S. 57). Die Kirchengemeinde war damals stark bürgerlich geprägt und infolgedessen eher gegen die politischen Ideale der linken Arbeiterbewegung eingestellt, welche nur in den Randbezirken der Stadt eine nennenswerte Anzahl von Protestanten umfaßte. Das liberalkonservative deutschnationale Ingenieurcorps der Völklinger Hütte spielte eine besonders wichtige Rolle im damaligen evangelischen Gemeindeleben. Die geplante Allegorie der Treue an der Kirchenfassade führte von Anfang an zu internen Auseinandersetzungen in der Kirchengemeinde, denn nur die Entwürfe für die Figuren Arbeit und Liebe waren mit dem Presbyterium abgesprochen, die beiden anderen Entwürfe sah das Presbyterium erst, als sie im Mai 1932 fertiggestellt waren. Die pazifistisch und sozial motivierten Bedenken, die der Presbyter F. Weiß damals gegen das martialische Bild des Weltkriegssoldaten in einer Industriegemeinde geltend machte, scheinen jedoch eine Minderheitsposition gewesen zu sein, denn sie verhinderten auf Dauer nicht die Zustimmung des Presbyteriums zur Aufstellung der Figuren. Man „wollte es sich mit den Röchlings nicht verderben" (Broschüre Versöhnungskirche 1988, S. 44). Im Kontext des politischen Kampfes um die Saar ist bedeutend, daß die Entwürfe der Fassadenstatuen zwar seit 1932 vorlagen, aber erst 1935, nach der Rückkehr des Saargebietes, im Röchlingschen Betrieb gegossen und aufgestellt wurden. Der Standpunkt Röchlings in dieser Angelegenheit wurde nun erst wirklich offenkundig. Auch sein monarchistischer und revisionistischer geistiger Hintergrund in seinem Verhältnis zur Kriegsniederlage und den Bestimmungen des Versailler Vertrages kommt in diesen Figuren zum Ausdruck. Die Treue als typisch soldatische Eigenschaft zu reklamieren, bedeutete, daß Röchlings Auftragswerk die sogenannte Dolchstoßlegende propagierte, den konservativen Mythos des angeblich „im Felde unbesiegten“, aber von den demokratischen Politikern Weimars „verratenen“ deutschen Heeres; d.h. daß er letztlich die Demokratie als Staatsform für Deutschland ablehnte. Diese Grundhaltungen Hermann Röchlings sind auch in seiner Lebensgeschichte wiederholt erkennbar. Der Einfluß der Röchlings und der überzogene Nationalismus im Zusammenhang mit dem Schicksal des Saarlandes wirkten in der Kirchengemeinde bis nach dem Zweiten Weltkrieg fort: Als 1947 der neue Pfarrer Obermann in sein Amt eingeführt wurde, nahm Kirchenrat Wehr Anstoß an der Figur und empfahl ihre Entfernung, was das Presbyterium jedoch ablehnte. Später spaltete sich die Gemeinde, was nach Auffassung von Stadtarchivar Hans Obermann, einem der Autoren der Jubiläumsbroschüre zum 60jährigen Jubiläum der Kirche, unter anderem auf diesen ungelösten innergemeindlichen Konflikt zurückzuführen ist. Das in den frühen 1990er Jahren amtierende Presbyterium der Kirchengemeinde der Versöhnungskirche entschloß sich unter Zusammenarbeit mit einer Friedensgruppe und dem Ausschuß für Gottesdienst und Gemeindeleben, eine erläuternde Informationstafel zum Aussehen der Fassade zu erstellen, die nach Pfingsten 1993 aufgestellt wurde. Der wesentlich von Hermann Röchling finanzierte Bau der heutigen Versöhnungskirche ist aber nicht nur auf den politischen Zusammenhang der Auseinandersetzung um die Saar zu sehen, sondern außerdem auf ähnliche Motive zurückzuführen wie die Stiftungen für Kirchenbauten der Unternehmerfamilien de Wendel (Stahlkirche im lothringischen Crusnes), Stumm (zwei evangelische Kirchen in Neunkirchen (Christuskirche) und am Halberg in Brebach/Saarbrücken) sowie Villeroy & Boch (katholische Kirche St. Peter-und-Paul, Mettlach). Diese Kirchenbauten stehen im Zusammenhang mit dem jeweiligen Wunsch der selbst christlich geprägten, patriarchalischen Unternehmerdynastien der Großregion, sich in den traditionellen Konnex religiöser Stiftertätigkeit zu stellen, wie er im Mittelalter herrschte: als Fürsorger für das Seelenheil ihrer Untergebenen und in der Darstellung der christlichen als ihrer eigenen ethischen Werte. Letztlich dienten solche Aktivitäten dazu, ihr wirtschaftliches Handeln und ihren Anspruch auf soziale Vorrangstellung als erstrebenswert und vorbildhaft für alle erscheinen zu lassen und so zu legitimieren. Röchling ließ im Vergleich zu den anderen erwähnten Kirchenbauten eine regelrechte Apotheose seiner verstorbenen Familienmitglieder im Deckengemälde anbringen und suchte seinen in zwei Kriegen unveränderten Willen zur Rüstungsproduktion mit deutsch-nationaler Geste (Allegorie der Treue und Adler im Deckengemälde) als quasi religiöse, moralisch wertvolle Handlung zu überhöhen. Dies zeugt über das Maß anderer Unternehmerfamilien hinaus von einem extrem hohen Geltungsbedürfnis und völlig unreflektierten ökonomischen Machtstreben, verbunden mit völligem Mangel an Verantwortungsgefühl für die Folgen seines Tuns – folglich geradezu vom Gegenteil dessen, was christliche Ethik von Gläubigen fordert.
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