Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

„Dorf im Warndt“

Zum Schützenhaus, Siedlerstraße, Forststraße, Tulpenstraße, Blumenstraße, Rosenstraße, Nelkenstraße, Gartenstraße, Friedrich-Ebert-Straße, Karlstraße, Brunnenstraße, Bertholdstraße und Albert-Schweitzer-Straße, Großrosseln

Baugeschichte

„Dorf im Warndt“ heißt es zwar bis heute, aber die als nationalsozialistische Mustersiedlung bezeichnete Gründung südlich von Ludweiler auf dem Großrosseler Bann, deren erster Spatenstich am 24. November 1936 erfolgte, wurde als Teil des künftigen nationalsozialistischen Saarbrücken geplant. Es sollte eine Stadtrandsiedlung Saarbrückens mit insgesamt 400 sogenannten Kleinsiedlerstellen werden, dazu eine Gaststätte, ein Café, eine Papierwarenhandlung, eine Bäckerei, eine Gemischtwarenhandlung und ein Friseurladen – und eine Schule als Geschenk des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB). Georg Laub und Hermann Stolpe vom Saarbrücker Stadtbauamt (unter dessen Leiter Walther Kruspe) planten die Siedlung. Auftraggeber war das gaueigene pfälzische Reichsheimstättenamt. Die Stadt Saarbrücken erwarb die Grundstücke, die meiste Arbeit verrichteten die ausgelosten Siedler des ersten Bauabschnitts selbst. Es wurden 122 sogenannte Siedlerstellen, d.h. Einzelhäuser, und fünf sogenannte Volkswohnhäuser, d.h. Häuser mit mehreren Wohnungen errichtet. Am 1. Juli 1938 war der erste Bauabschnitt von „Dorf im Warndt“ fertig (Zum Schützenhaus, Siedler-, Forst-, Tulpen-, Blumen-, Rosen-, Nelken-, Gartenstraße und heutige Friedrich-Ebert-Straße). Mit Hilfe der unbezahlten Eigenarbeit, eines Reichsdarlehens und je eines Arbeitgeberdarlehens der Völklinger Hütte und der Saarbergwerke AG schuf man das nötige Eigenkapital zum Baubeginn der weiteren Häuser im zweiten Bauabschnitt. Vom zweiten Bauabschnitt wurden bis zum 1. Juli 1939 einige Volkswohnhäuser errichtet und 1943 weitere Häuserzeilen mit Siedlerstellen begonnen (Karl-, Brunnen-, Berthold- und Albert-Schweitzer-Straße). Der Grundstein für die nach Hans Schemm benannte Schule wurde am 13. März 1938 gelegt. Ihre Planung oblag der NSLB-Bauabteilung in Bayreuth; sie wurde wegen des Krieges jedoch nur im Rohbau erstellt. 1957–1959 wurde der Festsaal („Weihehalle“) der halbfertigen Schule als katholische Kirche und Kindergarten umgestaltet.

Regionalhistorischer Kontext

Die zeitgenössische Ideologie sprach von einer Stadtrandsiedlung. In Wirklichkeit waren es keine Saarbrücker Familien, sondern Arbeiterfamilien der nahen Gruben und der Völklinger Hütte, die hier untergebracht wurden. „Dorf im Warndt“ sollte Mitglieder der jeweiligen Stammbelegschaften der nahen Industriebetriebe durch Besitz von Haus und Grundstück an die Betriebe binden. Das nationalsozialistische Konzept war nicht neu, sondern eine direkte, aber unausgesprochene Fortsetzung patriarchalischer Sozialfürsorge der Arbeitgeber des 19. Jahrhunderts an der Saar. Die Siedlerstellen und Volkswohnungen waren klein, vollkommen gleichförmig in der Gestaltung, und die Häuser mit Gärten zur minimalen Selbstversorgung versehen – wie die Prämienhäuser der preußischen Bergverwaltung bis 1918. Die nationalsozialistische Verwaltung nahm mit dem Bau von „Dorf im Warndt“ insbesondere dem Völklinger Hüttenbesitzer Hermann Röchling einen Teil der kostspieligen betrieblichen Sozialmaßnahmen ab. Die Lage der Siedlung „Dorf im Warndt“ direkt an der Grenze in einem von zwei Seiten von Frankreich umschlossenen Winkel des Saarlandes verrät eine propagandistische außenpolitische Absicht: „Dorf im Warndt“ sollte für das grenznahe Frankreich ein Vorbild für nationalsozialistische Sozialpolitik und lebendiges Beispiel für Hitlers Friedens- und Aufbauwillen sein. Es wurde aber wegen des von ihm begonnenen Krieges nicht mehr fertiggestellt. Daß die nationalsozialistische Mustersiedlung ausgerechnet im Warndt entstand, wo z.B. im nahen Lauterbach bis 1934 eine Hochburg der Kommunisten gewesen war, belegt ein zweites, auf innenpolitische Wirkung berechnetes Ziel: Die nationalsozialistische Regierung wollte den Warndt mit der Wohnraumschaffung politisch befrieden, um die vielfach nur äußerlich „braun“ gewordenen Arbeiter für sich zu gewinnen. Dies gelang jedoch nicht. In zahlreichen Aktionen und Demonstrationen revoltierten während des sogenannten Grenzgängerstreiks der Warndtbergleute (Januar–Februar 1937) die rund 6000 saarländischen Grenzgänger, die in lothringischen Gruben in Spittel (L’Hôpital) und Kleinrosseln (Petite-Rosselle) arbeiteten. Anlaß des Streiks war der von der Reichsbank verfügte Zwang zum Umtausch des in Franken ausgezahlten Lohnes zum amtlich festgesetzten Wechselkurs in Deutschland. Das entsprach einer realen Lohnkürzung um fast 30%. Die Anweisung der Regierung war Teil der Kriegsvorbereitung, da man auf diese Weise Devisen sparen und die notwendigen Importe für die Rüstungsproduktion sichern wollte. Der politische Kontext der Devisenverordnung wurde auch jenseits der Grenze von der Arbeiterbewegung Lothringens erkannt und in Flugblättern der Gewerkschaft CGT so interpretiert: „Mit diesen erpreßten Millionensummen werden Erze französischer Kapitalisten nach Deutschland verfrachtet, um später als tod- und verderbspeiende Granaten und Flugzeugbomben lothringische Wirtschaft und Kultur zu zerstören“ (zitiert nach Paul, S. 150–151). Die Grenzgänger wurden ab Ende Februar 1937 von der Gestapo verfolgt und viele drakonisch bestraft. Fast 1000 Bergleute aus dem Warndt wurden im März vernommen, davon 800 zu Gefängnisstrafen von jeweils sechs Wochen und Geldstrafen in beträchtlicher Höhe verurteilt. Als angebliche Rädelsführer verhaftete man 21 Bergleute, davon wurden acht zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Trotz einer zugesagten Ausgleichszahlung für die Grenzgänger war die Reaktion des Gauleiters Bürckel insgesamt so hart, daß es zu einem politischen Tauziehen zwischen dem NS-Staat und den Warndtbergleuten kam. Die Regierung arbeitete mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche und löste damit bis zum August 1938 weitere Unruhen im Warndt aus. Von Anfang 1937 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges unterstanden alle Arbeiter im Warndt einer verschärften Überwachung, was wiederum die Arbeit des deutschen Widerstandes im Reich sehr behinderte – bis 1937 war der Warndt ein beliebter grüner Grenzübergang für Kuriere gewesen. Der planende Architekt der Siedlung, Georg Laub (geboren 1906 in Altshausen/Württemberg, gestorben 1986 in Stuttgart) war zweimal im Stadtbauamt der Stadt Saarbrücken tätig (Herbst 1936 bis Frühjahr 1937 und 12. Oktober 1940 bis 22. Dezember 1942). Georg Laub war 1934–1938 Leiter der Planungsabteilung der Deutschen Arbeitsfront (DAF) gewesen, plante ab Mitte Mai 1938 im Auftrag Josef Bürckels (Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich) den Aufbau neuer Siedlungen in der Ostmark und war gleichzeitig Geschäftsführer der Siedlungsgesellschaft Saarpfälzische Heimstätte GmbH in Neustadt/Weinstraße, für die er Haus- und Siedlungstypen entwarf. 1943 zum Wehrdienst eingezogen und bis 1948 in Kriegsgefangenschaft setzte Laub seine Karriere 1949 in der Baurechtsabteilung der Stadt Stuttgart fort, als deren Amtsleiter er 1970 pensioniert wurde. Als Schüler von Paul Bonatz, Paul Schmitthenner und Heinz Wetzel (Technische Hochschule Stuttgart) folgte Laub in seiner Arbeit dem „Heimatstil“ der sogenannten Stuttgarter Schule, die sich schon in den 1920er Jahren gegen den internationalen Stil des Modernen Bauens abgrenzte. Die Vertreter der Stuttgarter Schule waren um ein vermeintlich „deutsches“ Bauen bemüht und benutzten traditionelle Bauformen und Materialien, was in die nationalsozialistische Ideologie paßte und daher stilbildend für den nationalsozialistischen Wohnungsbau wurde. Im Saarland wurden unter anderem in Saarbrücken auf dem St. Arnualer Wackenberg (Lucas-Cranach- und Grünewald-Straße) sowie in Sitterswald und Dudweiler einzelne Straßen oder ganze Siedlungen im Stil der Stuttgarter Schule angelegt. Obwohl die Planung und Durchführung der Siedlung „Dorf im Warndt“ im Dienst der nationalsozialistischen Ideologie gestanden hatte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg von diesem Zusammenhang völlig abstrahiert, man betrachtete nur noch die rein architektonischen Aspekte und sah die Siedlung nun als Vorbild für die Planung ländlicher Siedlungen in Deutschland.

Quellen und weiterführende Literatur

Cohen, Jean/Frank, Hartmut (Hg.), Les relations franco-allemandes 1940–1950 et leurs effets sur l'architecture et la forme urbaine. Projet de recherche commun 1986–1989/Deutsch-französische Beziehungen 1940–1950 und ihre Auswirkungen auf Architektur und Stadtgestalt. Gemeinsames Forschungsprojekt 1986–1989, Abschlußbericht, unveröffentlichtes Manuskript, 3 Bde., Bd. III, Teilband 1, S. 21–39, Teilband 2, S. 662–663.

Paul, Gerhard, Verweigerung und Protest in der „Volksgemeinschaft“. Der Frankenholzer Schulstreik und die Grenzgängerdemonstrationen im Warndt 1937, in: Zehn statt Tausend Jahre. Die Zeit des Nationalsozialismus an der Saar. Katalog zur Ausstellung des Regionalgeschichtlichen Museums im Saarbrücker Schloß, Saarbrücken 1988, S. 146–158, besonders S. 150–151.

Weihsmann, Helmut, Bauen unterm Hakenkreuz, Wien 1998, S. 780, 785; Anmerkung: Weihsmanns Aufzählung von nationalsozialistischen Bauten an der Saar ist nicht vollständig und teilweise zeitlich falsch, da er hiesige Bauten vor 1935 mit einbezieht, obwohl das Saarland erst ab 1935 zum nationalsozialistischen Deutschland gehörte.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.