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Gerhild KrebsRathaus St. JohannRathausplatz, St. Johann/SaarbrückenBaugeschichteDas neogotische St. Johanner Rathaus wurde in neubebautem Gebiet (1880–1900) außerhalb der alten Stadt St. Johann errichtet. Das geplante Ensemble aus Rathaus, Rathausplatz (damals Kaiser-Wilhelm-Platz) und Johanneskirche sollte, einer Stadtplanung von Eduard Kreyßig folgend, ein neues städtisches Zentrum für St. Johann bilden (1888). Diese Planung wurde schon ab 1889 nach den von Camillo Sitte entwickelten Prinzipien des ästhetischen Städtebaues überarbeitet. Den Auftrag für den Entwurf und die künstlerische Leitung des Rathausbaues erhielt der Architekt Georg Josef Ritter von Hauberrisser (1841–1922), der zuvor die Rathäuser in München und Wiesbaden gebaut hatte. Der Grundstein wurde am 22. März 1897 gelegt, das Rathaus eingeweiht am 23. Juni 1900, beendet waren die Arbeiten im Jahre 1909. Nun diente das Rathaus der gerade vereinigten Großstadt Saarbrücken. Schon 1922–1928 und erneut 1932–1937 erhielt es Anbauten (Kaltenbach- und Gerberstraße). Das erste Glockenspiel am Turm war ein Geschenk des Reichsbundes für das Deutschtum im Ausland, der es 1935 zur Feier der Saarabstimmung stiftete, mit Glocken, die ausschließlich nationale Lieder spielten. Ihr Spiel endete 1941 für Kriegszwecke im Schmelzofen. Das Rathaus wurde 1944 bei einem Luftangriff beschädigt, 1948 restauriert, 1994–1998 instand gesetzt und erneut erweitert. Anläßlich der 1000-Jahr-Feier der Stadt Saarbrücken 1999 stiftete die Handwerkskammer des Saarlandes ein neues Glockenspiel mit jahreszeitlich wechselndem Repertoire. Hauberrisser gestaltete auch den Innenausbau des Rathauses und fast den gesamten zweistöckigen Festsaal. Für die Gemälde schrieb das preußische Ministerium der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten einen landesweiten Künstlerwettbewerb aus. Vorher legte die Stadt St. Johann fest, daß wichtige Ereignisse der Stadtgeschichte in monumentalen Gemälden dargestellt werden sollten. Die Wahl fiel auf den Berliner Kunstmaler Wilhelm August Wrage (1849–1925). Die Wandgemälde im FestsaalAuf der Südwand ist rechts die überlieferte Ortsgründung von St. Johann dargestellt: Bischof Arnulf von Metz (580–641) weiht die Johanniskapelle – nach dieser Kapelle ist die heutige Johannisstraße an der neogotischen Johannes-Basilika benannt, die an der Stelle der alten Kapelle steht. Der linke Teil zeigt die Verleihung des Freiheitsbriefes an St. Johann im Jahr 1321/1322. Die Gestaltung schließt an mittelalterliche Darstellungen solcher Ereignisse an. Mit dem Rückgriff auf die mittelalterliche Gründungstradition meldete St. Johann gewissermaßen ikonographisch einen Anspruch auf Gleichberechtigung, wenn nicht Vorherrschaft gegenüber der Schwesterstadt (Alt-)Saarbrücken an. Die Konkurrenz des aufstrebenden, die wesentlichen neuen Bauten wie den Bahnhof und die Bergwerksverwaltung erringenden St. Johann mit Alt-Saarbrücken sollte nach der Vereinigung der drei Saar-Städte (hinzu kam noch Malstatt-Burbach) 1909 noch lange anhalten. An der Westseite (Richtung Frankreich) befindet sich im oberen Wanddrittel der Reichsadler, darunter befindet sich das neue Stadtwappen mit dem Reichsadler, der im Brustschild die früheren St. Johanner Farben trägt. Dieses Motiv erscheint zusammen mit dem Stadtwappen von Saarbrücken, ebenfalls in Gestalt eines Adlers mit Brustschild. Die Saarstädte Saarbrücken und St. Johann durften wegen der Bedeutung der Schlacht von Spichern mit besonderer kaiserlicher Erlaubnis den Reichsadler in ihren Wappen führen, die alten Farben erschienen von da an nur noch im Brustschild des Adlers. Ein Spruchband enthält in historisierendem Schriftzug das Datum der Schlacht „6. August 1870“. Daneben stehen zu beiden Seiten plastische Ritterfiguren in spätmittelalterlicher Vollrüstung. Der St. Johanner Festsaal war bis 1918 einer der touristischen Anziehungspunkte für Schlachtfeldtouristen, die nach Spichern (Spicheren) und in die Saarstädte kamen. Der Festsaal und die Gemälde wurden 1988 renoviert. Nicht leicht zu deuten ist die Figur des St. Georg mit dem Drachen an der Außenfassade. Sie könnte auf den Sieg über Frankreich hindeuten; doch vermied man zugleich an der Bahnhofsfassade im nahen Metz eine Georgs-Figur, um gerade diese Interpretation zumindest in Lothringen nicht in den Vordergrund treten zu lassen. Am Reichstagsgebäude in Berlin verkörperte ein St. Georg den Reichseiniger Bismarck in seinem Sieg über die Zerstrittenheit der deutschen Länder. Um die Jahrhundertwende erfuhr diese Figur in Deutschland also verschiedene Sinngebungen, die in Saarbrücken in ähnlicher Weise vermutet werden können. Quellen und weiterführende LiteraturBecker, Irmgard Christa (Hg.), 100 Jahre Rathaus St. Johann. Ausstellung
zum hundertsten Geburtstag des Rathaus St. Johann vom 4.8.–8.9.2000,
Saarbrücken 2000. Kranz-Michaelis, Charlotte, Das Rathaus Georg Hauberissers in St. Johann an der Saar, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 19 (1971), S. 444–451. Stadtarchiv Saarbrücken, Bestand St. Johann, Nummer 371, S. 55–56, Brief Wrages; die Verfasserin dankt Frau Archivleiterin Dr. Becker für den Hinweis. Wittenbrock, Rolf, Die drei Saarstädte in der Zeit des beschleunigten Städtewachstums (1860–1908), in: Ders. (Hg.), Geschichte der Stadt Saarbrücken, Bd. 2, Saarbrücken 1999, S. 11–130, dort S. 34f.
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