Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
    Druckversion (PDF)    
 

Gerhild Krebs

Glasmacherfamilie Raspiller

Alte Fabrik der Cristallerie, Saarstraße 14, Wadgassen; ehemalige Glashütte und heutige chapelle-école de la Sainte-Vierge, Ferme de Raspiller und Wegekreuz, Grand-Soldat (Soldatenthal)/Abreschviller; Erbbegräbnisstätte Raspiller, Chemin du Cimetière, Abreschviller; ehemalige Glashütte, Rue Victor Hugo, und Erbbegräbnisstätte Raspiller, Schœneck; Palais Barabino, 9 Avenue Saint-Rémy, Forbach; ehemalige Glashütte Fenne, Hausenstraße, Völklingen

Grenzüberschreitende Unternehmer seit der Frühen Neuzeit

Erste nachweisbare Vorfahren der Familie hießen Rastpichler (frühes 14. Jahrhundert). Glasmacher dieses Namens betrieben im 16. bis 17. Jahrhundert zeitweise die Glashütte in Hall/Tirol. Durch weiträumige Wanderungen der Glasmacher, die wegen des großen Holzverbrauches oft innerhalb einer Generation die Standorte wechseln mußten, wandelte sich der Familienname bis zum 18. Jahrhundert zur Form Raspiller. Der Kinderreichtum der Glasmacher erforderte ebenfalls Abwanderung nach spätestens einer Generation, da die Zahl der Arbeitsplätze an einer Hütte nicht vergrößert werden konnte. Geographisch bewegte sich die Familie von Tirol aus zunächst in den Schwarzwald, dann in den französischen und schweizerischen Jura, wo sie zeitweise eine Glashütte genau auf der Grenze betrieb. Im 18. Jahrhundert wechselten einige Familienmitglieder in die Vogesen, andere gingen nach Lyon. An der Wende zum 19. Jahrhundert ließ sich ein Teil der verzweigten Sippe in Lothringen und dem heutigen Saarland nieder.

Die Glashütte Soldatenthal bei Abreschviller

Ab 1744/1747 arbeitete Peter Josef Raspiller in der Glashütte Soldatenthal bei Abreschviller. Ein Wegekreuz, das dort an seinen Unfalltod 1756 erinnert, ist noch vorhanden. Peter Raspiller, ein Sohn von Peter Josef und Regina Raspiller, zog weiter ins nahe Lettenbach zur Glashütte St. Quirin. Ein weiterer Sohn, Johann Baptiste, blieb zunächst in der Glashütte Hang/Bourg-Bruche. Nach 1771 arbeitete er ebenfalls in Soldatenthal, wo er ab 1780 Miteigentümer war. Infolge der Revolution wurde die bis dahin lukrative Hütte 1792 zeitweilig geschlossen, aber schon 1805 waren wieder 70 Personen dort tätig.

Von den sechs Söhnen des Johann Baptiste Raspiller zog der älteste, ebenfalls Johann Baptiste genannt, nach Plaine de Walsch zur dortigen Hütte. Der jüngste Sohn Mathias blieb zunächst bis ca. 1815 in Soldatenthal und beerbte den Vater als Mitbesitzer. Er heiratete 1811 Maria Restignat (Restignad) aus Abreschviller, die mit ihren gemeinsamen Kindern in Soldatenthal blieb. Der in den Quellen als Glasfabrikant bezeichnete Mathias behielt seinen Anteil an der Hütte Soldatenthal, ging aber ca. 1820 zur auf preußischem Gebiet gelegenen Glashütte Fenne/Völklingen, wurde dort Miteigentümer und Direktor bis zu seinem Tod 1832. Die Hütte Soldatenthal war wegen Holzmangels schon um 1830 einem chronischen Geschäftsrückgang ausgesetzt. Die Familie verkaufte alle ihre Anteile 1837, die Hütte schloß 1843. Der Standort der abgerissenen Glashütte ist heute durch ein später erbautes Gebäude mit kombinierter Schule und Kapelle gekennzeichnet. Nahe dem Standort der alten Glashütte gibt es bis heute einen Bauernhof Raspiller. Der in Soldatenthal ansässige August Raspiller, einer der Söhne von Mathias, war 1854–1857 technischer Leiter und später stiller Anteilseigner der Cristallerie Wadgassen; von 1887 bis zu seinem Tod 1909 war er außerdem Präsident der Vereinigten Glashütten Vallerysthal und Portieux.

Die Glashütte Schœneck/Forbach

Die anderen vier Söhne von Johann Baptiste Raspiller zogen ins nahe lothringische Schœneck bei Forbach. Dort war direkt an der Grenze nach 1770 ein neuer Betrieb unter dem Namen Christianshütte entstanden, der ab 1778/1780 als Flaschenglashütte bekannt wurde. Die Gründung fiel in die Zeit der morganatischen Witwe des Herzogs Christian IV. von Zweibrücken: Die Gräfin von Forbach (geb. Marie Anne Camasse) residierte nach seinem Tod 1771 in ihrem Witwensitz, dem heutigen Palais Barabino/Forbach, und benannte die neukonzessionierte Glashütte nach dem verstorbenen Gatten. Christianshütte hieß der Schœnecker Betrieb bis zur Revolution. Die Schœnecker Hütte wurde vermutlich von Glasmachern aus dem nahen Gersweiler bei Saarbrücken gegründet. Dafür sprechen die Namen der ersten vier Beständer, die Brüder Johann und Georg Daniel König, Maria Anna Greiner (alle Gersweiler) und Johann Peter Lintzler (Großblittersdorf bzw. Grosbliederstroff). Die ersten drei waren zuvor schon als Besitzer in Gersweiler belegt, wo seit 1775 eine Glashütte bestand. Maria Anna Greiner, Kreinerin genannt, war eine Schwester von Elisabeth Greiner, der Ehefrau von Johann Baptiste Raspiller in Hang/Bourg-Bruche. Wie Familie Raspiller war auch Familie Greiner eine jahrhundertealte Glasmachersippe. Maria Anna Greiner heiratete zunächst den Glashändler Peter Charlier aus Plaine de Walsch und hatte fünf Kinder aus dieser Ehe. Nach seinem Tod heiratete sie in zweiter, kinderloser Ehe Caspar Mayer, ebenfalls aus Plaine de Walsch, und beerbte diesen als Mitbesitzerin der Schœnecker Glashütte und der Glashütte Gersweiler, wo er zuletzt Meister gewesen war. Die Kreinerin besaß außerdem Betriebsanteile an einer weiteren Glashütte: La Houve in Creutzwald. 1790 verkaufte sie die Hälfte ihres Anteils an der Schœnecker Hütte dem neu eintretenden Beständer Heinrich Ludwig Wentzel, Enkel des Friedrichsthaler Glashüttengründers Johann Martin Wentzel. Infolge der Revolution wurde die Schœnecker Hütte 1793 vom französischen Staat beschlagnahmt, die Produktion scheint jedoch nicht unterbrochen worden zu sein. Andreas Raspiller fing 1794/1795 im Schœnecker Betrieb an. Er heiratete Barbara Kestenbach, Tochter eines Mitbesitzers der Hütte. Lorenz Raspiller kam vor 1801 nach Schœneck. Dort heiratete er im gleichen Jahr die Tochter eines Tagelöhners, Anna Maria Melling, und firmierte 1803 bereits als Mitbesitzer. Der dritte nach Schœneck gezogene Raspillersohn Josef traf 1803 ein. Bei seiner Eheschließung 1804 in Abreschviller mit Maria Theresia Chartrian (aus der Familie des gleichnamigen Schriftstellers) wurde er bereits als Mitbesitzer der Schœnecker Hütte bezeichnet. Anton Raspiller war mindestens seit 1809 in Schœneck tätig. Er heiratete Susanna Schmidt, Tochter des Glasmeisters Martin, der einer der letzten Mitbesitzer der Glashütte Sophie (1717/1718–1774) in Stieringen bei Forbach (Stiring-Wendel) gewesen war. Der Betrieb in Schœneck, bald nur noch Raspiller-Hütte genannt, ermöglichte dem Dorf einen starken Aufschwung. Dazu trug besonders die expansive Tätigkeit von Andreas Raspiller als Betriebsleiter bei. Gegen die von ihm geplante Aufstellung eines zweiten Glasofens mit weiteren zwölf Arbeitsplätzen wehrte sich 1809 die gesamte regionale Konkurrenz in Gersweiler, Illingen, Quierschied, Friedrichsthal und St. Ingbert. Der zweite Ofen wurde 1810 vom zuständigen Ingenieur au Corps Impérial des Mines unter der Auflage genehmigt, daß Baupläne vorgelegt und die Feuerung künftig nur mit Steinkohle betrieben würde. Der zunächst eher exportorientierte Vertrieb wurde bis 1815 vorwiegend auf dem Wasserweg über die Saar bis nach Holland abgewickelt. Danach orientierte sich die Schœnecker Hütte in Richtung des innerfranzösischen Marktes und belieferte vorwiegend Kunden in Lothringen und dem Elsaß. Im Todesjahr von Andreas Raspiller 1837 beschäftigte man 50–60 Personen. 1843 gründete die Familie zusammen mit den Unternehmerfamilien Villeroy & Boch und Karcher ein Konsortium zur Errichtung der Cristallerie Wadgassen. Als technische Leiter in Wadgassen waren 1843–1857 nacheinander Eugen und August Raspiller tätig, zwei Söhne von Mathias, dem ersten Raspiller in Fenne. Während sich Familie Raspiller stärker in Fenne und Wadgassen engagierte, wurde in Schœneck 1855 Adolf Wilhelm Leibrock Mitbesitzer. Die Hütte hieß nun Raspiller & Leibrock. Der Kaufmann Leibrock kam nicht aus Glasmacherkreisen: der Vater hatte als Militärarzt im Majorsrang beim Husarenregiment von Saarbrücken gedient, die Mutter entstammte der Saarbrücker Kaufmannsfamilie Fauth, er selbst heiratete eine Großnichte des Generals Kléber (Strasbourg). Nach dem Krieg 1870/1871 verlor die Schœnecker Hütte ihre mehrheitlich französischen Kunden, besonders ab 1881 ließ das Geschäft spürbar nach wegen hoher französischer Einfuhrzölle auf Flaschenglas. Es gelang dem Betrieb nicht, sich kurzfristig den deutschen Markt zu erschließen, auf dem bereits starke Konkurrenz einheimischer Hütten herrschte. Da ein Eisenbahnanschluß fehlte, war die Hütte zu diesem Zeitpunkt ohnehin nicht mehr konkurrenzfähig und schloß 1882. Ihre Gebäude ließ der Fenner Hüttendirektor Heinrich Raspiller d.J. 1885 abreißen, nachdem er die Geschäftsanteile von Adolf Leibrock aufgekauft hatte.

Regionalhistorischer Kontext

Die Geschichte der Familie Raspiller ist geprägt von grenzüberschreitender, berufsbedingter Mobilität und freier Unternehmertätigkeit. Die handwerklich orientierte, rein itinerante Berufs- und Familientradition unter strikter Wahrung der Produktionsgeheimnisse wurde an der Wende zum 19. Jahrhundert abgelöst von seßhafter Ansiedlung. Die Heiraten einiger Raspiller-Söhne dieser Generation außerhalb der üblichen Glasmachersippen belegen, daß die Kenntnisse zur Glasherstellung längst nicht mehr geheim gehalten werden konnten, sondern durch Fachliteratur bereits weit verbreitet waren. Es war daher nicht mehr nötig, sich weiter an die alten Heiratsregeln zu halten. Zugleich markiert der Beginn des 19. Jahrhunderts, an dem sich die Familienmitglieder halbseßhaft bzw. seßhaft in Soldatenthal, Schœneck und Fenne niederließen, daß die Produktionsbedingungen, die in früheren Jahrhunderten eine Wanderexistenz erfordert hatten, sich nun radikal veränderten. Parallel dazu wandelte sich die Berufstätigkeit der männlichen Familienmitglieder in neue Formen unternehmerischer Tätigkeit im gleichen Industriezweig. Daß sich der Übergang zu seßhaften Industriebetrieben gerade im Gebiet von Lothringen und dem heutigen Saarland abspielte, liegt in der langen lothringischen Glasmachertradition, aber auch in der aufstrebenden regionalen Wirtschaft um die Wende zum 19. Jahrhundert begründet. Durch die Grenzverschiebungen von 1815 und 1871 war die Familie Raspiller wegen ihrer Seßhaftigkeit den wechselnden Landesgrenzen ausgesetzt. Dies führte jedoch nicht zur unmittelbaren Geschäftsaufgabe auf der einen oder anderen Seite der Grenze. Weder trennte die Angliederung des westlichen Saarreviers an Preußen nach dem Zweiten Pariser Frieden den unternehmerischen Familienverband und die in verschiedenen Staaten befindlichen Betriebe, noch war die deutsche Annexion von Elsaß-Lothringen ein Grund, alle Betriebe zu verlassen und nach Frankreich zu gehen. Offenbar ließen sie sich in ihrem unternehmerischen Selbstverständnis von nationalpolitischen Positionen und Zwisten kaum beeindrucken. Die Soldatenthaler Hütte war mit ihrer Abhängigkeit von der Holzzufuhr ein typischer Glashüttenbetrieb nach Art der Frühen Neuzeit. Dagegen erlebte die nach 1800 modern mit Kohle arbeitende Schœnecker Hütte unter der Familie Raspiller einen starken Aufschwung. Daß sie 1882 geschlossen werden mußte, war nur zum Teil eine Folge der Grenzverschiebung von 1871. Faktoren wie die französischen Einfuhrzölle, der hart umkämpfte deutsche Markt und der Rückzug französischen Kapitals haben sicher eine wichtige Rolle gespielt. Das Fehlen eines Eisenbahnanschlusses trug jedoch ebenfalls sehr stark zum wirtschaftlichen Niedergang bei; mit diesem Problem hatte z.B. auch die nahe preußische Glashütte Gersweiler zu kämpfen, die bereits vor 1871 für den deutschen Markt produziert hatte. Die Schließung von Schœneck 1882 fällt zeitlich fast zusammen mit dem Verkauf der Familien-Betriebsanteile in Wadgassen 1883 an Villeroy & Boch. Hieran läßt sich aber kein verzögerter Rückzug auf den französischen Markt ablesen, da die Fenner Glashütte noch bis kurz nach der Jahrhundertwende in Raspillerscher Hand blieb, und August Raspiller ab 1887 Präsident der beiderseits der Grenze gelegenen Hütten Vallerysthal und Portieux war. Ein weiterer rein ökonomischer Grund für den Niedergang dieser und der meisten anderen kleinen Glashütten im Saarrevier – so auch des Fenner Betriebes – waren die wenigen finanzstarken Großbetriebe, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts den regionalen Markt zu beherrschen begannen, darunter die Cristallerie Wadgassen. Die wirtschaftliche Bedeutung der Familie Raspiller endete im Raum Saarbrücken-Forbach mit dem Verkauf der Fenner Glashütte an die lothringischen Unternehmer Leo Hirsh & Leo Hammel 1904 und im Raum Abreschviller mit dem Tod von August Raspiller 1909.

Quellen und weiterführende Literatur

Engelbreit, Raymond, Schœneck – La Verrerie Raspiller 1780–1882, Stiring-Wendel 1982.

Neutzling, Walter, Die Glasmacherfamilie Raspiller, Dillingen 1988/89 (Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Saarländische Familienkunde, Sonderband 21).

 

>> zurück zum Seitenanfang

   
   
   
Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.