Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

Europe 1

Sendeanlage, Ittersdorfer Straße 101, Felsberg-Berus/Überherrn

Baugeschichte

Die private Rundfunkgesellschaft Télé Monte Carlo (TMC) mit Sitz in Monaco erhielt nach dem Krieg zunächst Senderechte für Frankreich, bevor sie sich ab 1952 zur weltweit operierenden Europe Communication SAM (Société Anonyme Monégasque) entwickelte. Um TMC zu finanzieren, entschloß man sich zum Bau eines weiteren exterritorialen Langwellensenders mit hoher Sendeleistung, der vom Saarland aus unmittelbar an der französischen Grenze und als Konkurrenz zu RTL den französischsprachigen Raum abdecken sollte. Im Rahmen der Bauplanung bereisten der Gesellschafter der Holdinggesellschaft Images et Sons, Charles Michelson, und der Programmdirektor Louis Merlin den grenznahen Saargau. Sie fanden einen geeigneten Standort am Rande des Saartals, von dem aus die Sendehalle weithin zu sehen gewesen wäre, mußten diesen aber wegen der Einwände der damaligen Gemeinde Altforweiler einige Hundert Meter weiter auf den Bann der damaligen Gemeinde Felsberg verlegen, so daß die Sendehalle an ihrem heutigen Standort vom Saartal aus nicht sichtbar ist. Wegen der im Saargau häufigen Versteinerungen in den Muschelkalksedimenten, die Michelson und Louis bei ihrem Gang über die Höhen des Saargaues fanden, beschlossen sie, der späteren Sendehalle die Form einer aufgeklappten Jakobsmuschel zu geben. Als Architekt wurde Jean-François Guédy engagiert. Er wollte – als einer der ersten Architekten seiner Zeit – eine freitragende Halle aus Beton errichten und plante sie daher als verglaste Spannbetonhalle mit Hängedach. Der vorgesehene Grundriß zeigte infolge seiner Muschelform nur eine Symmetrieachse für die 86 x 46 m große Halle. Die Wände der Halle sollten in regelmäßigen Abständen von tragenden Pfeilern unterbrochen sein, die am oberen Rand von einem Ringanker eingefaßt sein würden. Die Achse der Halle würde dabei die tiefsten Punkte verbinden (heutige Maße: vorne 9,50 m, hinten 4,24 m), während die Seiten der Halle aufsteigen sollten (heutige maximale Höhe: 16,22 m). Am 15. Juni 1954 erfolgte die Grundsteinlegung; nach der Ausschalung des Daches am 9. September 1954 verformte sich jedoch der obere Ringanker und das Dach stürzte ein. Der Sendebetrieb wurde trotz des Zusammenbruchs des Daches organisiert und ab dem 1. Januar 1955 in Holzbaracken provisorisch aufgenommen. Nach Guédys Freitod übernahm im Oktober 1955 der Architekt Eugène Freyssinet, ehemaliger Generalinspektor für Brücken und Straßen in Frankreich, die Bauleitung und vollendete den Bau noch im gleichen Jahr. Die Konzeption Guédys mit Pfeilerkonstruktion und Ringanker blieb erhalten, Freyssinet verstärkte aber die Sicherung des Hallendaches durch sechs zusätzliche Zugbänder, die vom Zentrum der Muschel ausgehend zum Hallenrand verlaufen. Dazu wurden neue Stahlseile angebracht und von unten mit Heraklit eingeschalt. Auf diese Unterlage wurde die Decke ohne Dehnungsfuge mit nur 4 cm Beton gegossen. Auf den Höhen des Saargaues wechseln unter Umständen die Windrichtung und Windgeschwindigkeit extrem rasch, so daß die Hallendecke, ganz wie ihr architektonisches Vorbild eines Zeltdaches, manchmal regelrecht „flattert“. Vor einigen Jahren wurde die Halle restauriert. Dabei wurden zusätzliche Stahlseile und ein neuer Ringanker angebracht. Europe 1, weltweit stärkster Langwellensender, sendet bis heute auf 183 kHz ein Programm, das in Paris produziert wird und in ganz Frankreich sowie weit nach Deutschland hinein empfangen werden kann. Die heutige Betreibergesellschaft der technischen Zentrale in Berus ist die Europäische Rundfunk- und Fernseh GmbH EUROPA 1 unter der Geschäftsführung von Gilbert Binger; sie hat ihren Sitz in Saarbrücken.

Architekturhistorischer Hintergrund

Guédys Konzeption entstammt architekturgeschichtlich der Tradition des Zeltbaues, mit der vor dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend in den USA experimentiert wurde. Der erste erfolgreich fertiggestellte Bau dieser Art war 1953 die Sportarena von Raleigh (USA), die „in der modernen Architekturgeschichte als epochaler Inkunabelbau gefeiert“ wurde (Skalecki, Faltblatt des Staatlichen Konservatoramtes, unpaginiert). Fast zur gleichen Zeit wurde in Karlsruhe nach Plänen deutscher Architekten die Schwarzwaldhalle errichtet (1953–1954). Gegenüber diesen beiden fast gleichzeitig geplanten und errichteten Hallen weist Guédys Konstruktion entscheidende Unterschiede auf, da in Felsberg für diese damals weltweit größte Betonhalle erstmals eine hängende Decke und die Bauform mit nur einer Symmetrieachse vorgesehen war. Das heutige Dach ist in seiner durch Freyssinet modifizierten Form federnd auf den Stahlseilen gelagert und gleicht dadurch Winddruck wie Ausdehnung durch An- oder Absteigen aus. Diese Eigenschaften kennzeichnen die Sendehalle als „architekturgeschichtlich weltweit herausragendes Bauwerk der Nachkriegsmoderne“ (Skalecki, ebd.).

Medienpolitik an der Saar nach 1945

Die Errichtung des privaten Senders außerhalb der französischen Landesgrenzen diente vorwiegend dem Ziel, die entsprechenden französischen Gesetze legal umgehen zu können, denn diese Gesetze legten damals ein staatliches Monopol für den Betrieb von Radiosendern fest und enthielten ein Verbot von Werbesendungen. Die Errichtung des neuen Senders im Saarland machte ihn zu einem Teil der komplexen politischen Beziehungen Frankreichs mit der Saar. Das deutschsprachige Radio Saarbrücken hatte als Reichssender Saarbrücken ab 1935 bestanden, wurde seit 1945 unter Kontrolle der französischen Militärregierung betrieben und am 24. Oktober 1952 als Saarländische Rundfunk GmbH neu gegründet (heute: Saarländischer Rundfunk). Daneben war bereits am 16. Mai 1952 als Fernsehproduktionsgesellschaft die Tele Saar/Saarländische Fernseh AG geschaffen worden (heute: Telefilm Saar). Ihr Gründer Frédéric Billmann war zunächst Leiter des Informationsamtes der französischen Militärregierung gewesen und 1948 zum Generaldirektor des Saarbrücker Senders ernannt worden; ab 1952 war er Geschäftsführer für die technischen Anlagen der Saarländischen Rundfunk GmbH. Hauptaktionäre der Tele Saar waren der damalige Prinz und spätere Fürst Rainier von Monaco und der staatenlose Charles Michelson, die auch die Holding Images et Sons besaßen. Die Tele Saar wurde mit Hilfe des Senders Europe 1 finanziert, da die Einnahmen der Rundfunkverwaltung dafür nicht reichten. Als Gegenleistung für die von der Saarregierung erteilte Genehmigung zum Bau des Senders auf dem Felsberg mußte Images et Sons einen Fernsehsender installieren und der Tele Saar täglich ein kostenloses Fernsehprogramm von drei Stunden Dauer liefern. Die französische Kulturpolitik nach 1945 an der Saar folgte der Maxime einer „pénétration culturelle“, d.h. einer Durchdringung der saarländischen Mentalität mit französischer Kultur, welche die Bevölkerung dem wirtschaftlichen Anschluß an Frankreich und einer dauerhaften kulturellen Dominanz Frankreichs im Saarstaat geneigt machen sollte. Im Rahmen dieser Politik diente die Errichtung eines privaten Radiosenders an der Saar dem französischen Interesse, sowohl direkt wie indirekt die Medienlandschaft an der Saar zu beeinflussen – Rainier von Monaco und Michelson waren beide keine französischen Staatsbürger, standen aber durch die Tele Saar in enger geschäftlicher Verbindung mit Billmann. Die Situierung des privaten Rundfunksenders im Saarland bot weitere medienpolitische Vorteile von großer Tragweite: Zum einen konnte das französischsprachige Programm von Europe 1, in Paris produziert, im Saarland (und auf Bundesgebiet in der gesamten früheren französischen Besatzungszone) empfangen werden. Es ergänzte also das deutschsprachige Programm aus Saarbrücken, das ohnehin technisch von Billmann und ideell immer noch vom französischen Staat gesteuert wurde. Zum zweiten wurde die technische Ausrüstung von Tele Saar nach französischer Norm gestaltet, so daß im Saarland das deutsche Fernsehprogramm nicht zu empfangen war. Dies hinderte zugleich die ARD, über das deutsche Fernsehprogramm ihrerseits kulturellen Einfluß auf das Saarland auszuüben. Zum dritten war das an Tele Saar gelieferte Fernsehprogramm französisch geprägt, enthielt die französischen Fernsehnachrichten aus Paris und ein entsprechendes Filmprogramm (beides wurde vor der Sendung synchronisiert). Diese Programmstruktur sicherte eine französische Kulturdominanz im frühen Saar-Fernsehen.

Jakobsmuschel und Jakobsweg

Der architektonische Anklang der Felsberger Sendehalle an die geologische Formation des Muschelkalks wurde von Michelson und Merlin glücklich gewählt, zumal das nahe Sierck-les-Bains im Mittelalter eine wichtige Station des Pilgerweges nach Santiago de Compostela war. Die Jakobsmuschel ist bis heute das klassische Pilgerzeichen Westeuropas.

Bauwirkung heute

Die Sendehalle in Felsberg, die als architektonische Leistung ihrer Zeit so ungewöhnlich und wegweisend war, zählt heute zu den herausragenden technischen Denkmalen des Saarlandes. Sie hat ihren futuristischen Charakter nicht verloren, wirkt mit ihrem nach den Enden des Ovals hin hochgeschwungenen Dach weiterhin ungewöhnlich, in der ländlichen Umgebung sogar geradezu exotisch. Die Restaurierung des Denkmals änderte fast nichts an der optischen Wirkung des Baues, dagegen stören die kubischen Nebenbauten, die zwischenzeitlich aus technischen Gründen benötigt wurden, den visuellen Eindruck der Halle. Das Bauwerk beherrscht weiterhin die sonst unbebaute Hochfläche des Saargaues an dieser Stelle – zusammen mit den vier zugehörigen Sendetürmen von 270–280 m Höhe, im Volksmund „Beruser Sendetürme“ genannt. Die Sendetürme sind bei gutem Wetter aus rund 30–40 km Entfernung zu sehen. Die Sendehalle kann auf Anfrage besichtigt werden; vor einigen Jahren wurde sie beim grenzüberschreitenden „Tag des Denkmals“ (jährlich im September) als technisches Denkmal besonders herausgestellt. Die bauliche Reminiszenz der Sendehalle an die Versteinerungen der Gegend, ihr (ungeplanter) kulturgeschichtlicher Hintergrund in der Pilgertradition, ihr medienpolitischer Zusammenhang als Instrument französischer Interessen an der Saar und ihre architekturgeschichtliche Bedeutung als Beton-Zeltbau sind im Saarland zu wenig bekannt bzw. fast vergessen. Auch in Lothringen und Luxemburg kennt kaum jemand dieses Bauwerk.

Quellen und weiterführende Literatur

Altmeyer, Klaus, Rundfunk im Saarland. Vom Besatzungssender zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in privater Konkurrenz, in: Saarländischer Journalistenverband (Hg.), MenschenMedienMächte. 50 Jahre Saarländischer Journalistenverband II 1947–1997. Eine Dokumentation, Saarbrücken 1997, S. 61–67.

Saarländischer Rundfunk (Hg.), Unser Sender an der Saar. 50 Jahre Rundfunk im Saarland, Saarbrücken 1985, S. 40–55 u. 104f.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Denkmalliste des Saarlandes, Saarbrücken 1996, erstellt vom Referat 2: Inventarisation und Bauforschung (Dr. Georg Skalecki), Stand: 1.8.1996, S. 242.

Staatliches Konservatoramt des Saarlandes (Hg.), Sendehalle Europe 1 in Felsberg, Saarbrücken o.J., Text des Faltblattes: Dr. Georg Skalecki.

Stigulinszky, Roland, „Vom hundertsten ins Tausendste“. Saarmediengeschichten in Auszügen, in: Saarländischer Journalistenverband (Hg.), MenschenMedienMächte. 50 Jahre Saarländischer Journalistenverband II 1947–1997. Eine Dokumentation, Saarbrücken 1997, S. 69–75, dort S. 73f.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.