Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung
   
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Gerhild Krebs

2146 Steine – Mahnmal gegen Rassismus

Platz des Unsichtbaren Mahnmals, Schloßplatz, Saarbrücken

Baugeschichte

Unter dem dunklen Kopfsteinpflaster des Mittelstreifens auf dem Saarbrücker Schloßplatz befinden sich die Ortsnamen aller jüdischen Friedhöfe, die bis 1933 auf deutschem Boden bestanden, eingemeißelt in 2146 Steine und mit der beschrifteten Seite nach unten gelegt. Von diesen 2146 Steinen hat das Denkmal seinen offiziellen Namen. Die ersten 24 Steine tragen die Namen der von der Jüdischen Gemeinde Saar benannten jüdischen Friedhöfe des Saarlandes. Jeden Tag begehen Bürgerinnen und Bürger seither diesen Weg und den „Platz des Unsichtbaren Mahnmals“ am Saarbrücker Schloß, in dem 1935–1945 die Gestapo-Zentrale des Saarlandes und des Gaues Westmark untergebracht war. Soweit die Angehörigen der Gemeinden, deren hier gedacht wird, nach 1933 nach Frankreich hatten fliehen können, war ihr Schicksal und ihr häufiger Tod in der Deportation mit der deutsch-französischen Geschichte eng verflochten. Als Mahnmal vor einer der nationalsozialistischen Verfolgungszentralen für Lothringen, die Saar und die Westpfalz lenken die Steine das Gedenken zugleich aber auch auf alle Verfolgten dieser Jahre in der Region. Die jüdische Kultur in Deutschland wird – ob beabsichtigt oder nicht – symbolisch zum Stellvertreter für die Opfer des „Dritten Reiches“, insgesamt und in der Region. Auf Initiative von Jochen Gerz und einer Gruppe von Studentinnen und Studenten der Hochschule für Bildende Künste Saar entstand von April 1990 bis Mai 1993 dieses Mahnmal, das in der Bevölkerung als „Unsichtbares Mahnmal gegen Rassismus“ bekannt ist. Zu der studentischen Gruppe gehörten Martin Blanke, Christian Cordes, Yvonne de Grazia, Jens Freitag, Daniel Funke, Beate Miller, Gabi Raddau und Isabel Reichert. Das heutige Denkmal wurde von ihnen in einer Nacht- und Nebelaktion begonnen. Ohne öffentliche Autorisierung begann die Gruppe im Sommer 1990, nachts Steine aus dem bereits mit insgesamt rund 8000 Pflastersteinen gepflasterten Weg zum Schloß zu entfernen und gegen Ersatzsteine auszutauschen. Die originalen Steine wurden mit den eingemeißelten Ortsnamen beschriftet und danach ebenso heimlich wieder gegen die provisorischen Ersatzsteine ausgetauscht. Die Abgeordneten des Stadtverbandstages Saarbrücken beschlossen in ihrer Sitzung vom 18. August 1991, das Denkmal zu realisieren. Die weiteren Ortsnamen, welche die Jüdischen Gemeinden Deutschlands bis zum Herbst 1992 nannten, wurden ebenfalls in Steine eingemeißelt und diese in zwei Bauabschnitten eingesetzt. Das Mahnmal wurde am 23. Mai 1993 von Ministerpräsident Oskar Lafontaine, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, und dem Präsident des Stadtverbandes Saarbrücken, Karl-Heinz Trautmann, der Öffentlichkeit übergeben. Dabei wurden auch die Schilder zum Platz des Unsichtbaren Denkmals enthüllt und dieser ebenfalls der Öffentlichkeit übergeben. Der Stadtverband publizierte ein Buch mit der vollständigen Liste der Friedhöfe als Dank des Saarlandes und der Stadt Saarbrücken an die jüdischen Gemeinden.

Das Mahnmal und die jüdische Tradition

Die Deutschen jüdischen Glaubens bildeten nicht die einzige, doch mit Abstand die größte Einzelgruppe unter den Verfolgten des NS-Regimes. Das Unsichtbare Mahnmal wiederbelebt symbolisch die zerstörte jüdische Kultur in Deutschland und verleiht ihr eine neue, virtuelle Realität, indem auf den Zustand vor 1933 rekurriert wird. Diese virtuelle Realität kontrastiert mit der materiellen Realität der inzwischen vielfach geschändeten und teilweise zerstörten Friedhöfe. Zugleich trägt das Unsichtbare Mahnmal der materiellen Realität eben dieser Zerstörung Rechnung – die Steine liegen mit dem Gesicht nach unten, so wie man in frühen Kulturen nur Verbrecher und rituelle Opfer bestattete. Die Entscheidung, die Steine mit der beschrifteten Seite nach unten zu legen, deutet in vielfältiger Form auf die verschwiegene historische Lebens- und Religionserfahrung deutscher Juden im Laufe der Jahrhunderte. Die Steine symbolisieren in einem weiteren Sinne die vielen Tausenden Angehörigen einer verborgenen, aus den Zentren der öffentlichen Räume verbannten Kultur, deren Träger seit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahr 70 durch römische Truppen in alle Winde zerstreut worden waren und christlichen oder islamischen Gesellschaften jahrhundertelang als Sündenböcke dienten. Die Steine des Mahnmals werden aber gleichzeitig zu positiven Trägern der jüdischen Überlieferung, die das Schreiben der Namen von Toten und den Erhalt ihrer Grabstätten gleichsetzt mit der Gewißheit, im göttlichen Buch des Lebens verzeichnet zu bleiben und am Jüngsten Tag zu ihrem Gott zurückkehren zu können. Die umgedrehten Steine, dem Alltag und der Abnutzung entzogen, können weiterhin gedeutet werden als steinerner Schutzraum, in dem die Erfahrung dieses Völkermordes über die verwitternde Erinnerung eines Menschenalters hinaus Bestand haben kann. Das Unsichtbare Mahnmal enthält sich jeder eigenen Aussage, indem es einfach nur die Orte der Totenehrung ins Gedächtnis ruft, den Ort des Nicht-mehr-Seins, und damit zugleich die menschliche und kulturelle Leere, die der Rassismus des NS-Systems in Deutschland hinterlassen hat. Es erinnert daran, daß man den Ermordeten noch das Letzte zu nehmen versucht hat, ihre Totenstätten.

 

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Memotransfront - Stätten grenzüberschreitender Erinnerung Rainer Hudemann unter Mitarbeit von Marcus Hahn, Gerhild Krebs und Johannes Großmann (Hg.): Stätten grenzüberschreitender Erinnerung – Spuren der Vernetzung des Saar-Lor-Lux-Raumes im 19. und 20. Jahrhundert. Lieux de la mémoire transfrontalière – Traces et réseaux dans l’espace Sarre-Lor-Lux aux 19e et 20e siècles, Saarbrücken 2002, 3., technisch überarbeitete Auflage 2009. Publiziert als CD-ROM sowie im Internet unter www.memotransfront.uni-saarland.de.